Live-Musik und neue PläneEisenach: Ältester Jazzclub im Osten feiert 65. Jubiläum
Eisenach ist Bach-Stadt. Doch nicht nur das. Zu DDR-Zeiten war die Kleinstadt in Thüringen auch eine Hochburg des Jazz. Vor 65 Jahren setzten Enthusiasten dort die Gründung einer Jazz-AG durch – obwohl die Musik des Klassenfeinds in den Fünzigern auf dem Index stand. Daraus wurde ein echter Club, der heute in der Kulturfabrik Alte Mälzerei residiert, zusammen mit dem beeindruckenden Jazzarchiv. Gefeiert wird das Jubiläum mit Live-Musik und neuen Plänen.
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- Vor 65 Jahren gründeten Enthusiasten den Jazzclub Eisenach als AG Jazz bei der FDJ im VEB Automobilwerk Eisenach.
- Club-Mitglieder schufen einen einzigartigen Freiraum und erlebten Musik als echte "Weltanschauung".
- Zum Jubiläum sind Live-Konzerte im heutigen Domizil in der Alten Mälzerei geplant.
Der Jazzclub Eisenach ist ein einzigartiger Fall, sagt Musikwissenschaftler Simon Bretschneider, der im Lippmann+Rau-Musikarchiv arbeitet. Das liege an dem riesigen ehrenamtlichen Engagement von Anfang an. Gegründet worden sei der Club in den 1950er-Jahren – und damit in einer Zeit, als eigentlich alles verboten worden sei. Die Jazzfreunde der Stadt machten Bretschneider zufolge immer weiter, sodass nun 65-jähriges Jubiläum gefeiert werden kann: "Es ist der älteste noch betriebene Jazzclub im Osten Deutschlands!"
Die politisch Verantwortlichen waren misstrauisch diesem Aufbruch gegenüber.
Reinhard Lorenz, Jazzclub Eisenach
Jazz auf dem DDR-Index
Gründer Manfred Blume, so erinnert sich der langjährige Vorsitzende Reinhard Lorenz im Gespräch mit MDR KULTUR, habe damals die FDJ-Funktionäre im VEB Automobilwerk Eisenach mit viel Rhetorik überzeugen müssen: "Das war nicht ganz einfach zu managen, weil in den Fünfzigern über diese Musik, glaube ich, noch sehr viel irrige Meinungen existierten."
Jazz habe als "Musik des Klassenfeinds" gegolten, berichtet Lorenz. "Die politisch Verantwortlichen waren misstrauisch diesem Aufbruch gegenüber, den die jungen Leute damals an den Tag legten." Jazz sei die Musik der unterdrückten Schwarzen, so argumentierte Blume damals, um die Gründung durchzubringen. Und er wies darauf hin: Die Nationalsozialisten hätten Jazz und Swing abgelehnt.
Musik als "Weltanschauung", Jazzclub Eisenach als Freiraum
Lorenz ist seit mehr als 50 Jahren Mitglied. Dem Jazzclub Eisenach, den Konzerten und Vortragsabenden verdanke er seine Weltsicht, sagt er heute. Mit der Musik hätten junge Leute damals der Sehnsucht, aus der eingemauerten DDR auszubrechen, gefrönt: "Und das hat ja Folgen für unser aller persönliche Entwicklung gehabt."
Bei dem einen sei es der Jazz gewesen, bei dem anderen der Rock'n'Roll oder das Buch von Jack Kerouac. Lorenz zitiert Manfred Krugs berühmten Ausspruch: "Wie soll ich eine Weltanschauung haben, wenn ich mir die Welt nicht anschauen kann?" Die Welt habe ihm Weltanschauung gebracht, so Lorenz.
Über die Thüringer Jazzclubs in der DDR-Zeit hat der Erfurter Musikwissenschaftler Martin Breternitz promoviert. Darüber, was sie bei allen regionalen Unterschieden verbindet, sagt er: "Ich glaube, die Suche nach einer eigenen Nische verbunden mit großem Musikenthusiasmus." Dabei fand das Ganze immer in der Gemeinschaft statt, führt Breternitz weiter aus: "Das mögen an manchen Orten drei, vier, fünf Jazz-begeisterte Menschen gewesen sein. Anderswo waren das vielleicht auch mal 50 wie beispielsweise hier in Eisenach."
Neues Domizil in der Alten Mälzerei
Die Jazz-Freunde hatten lange nach einem eigenen Domizil in Eisenach gesucht, berichtet Club-Mitglied Lorenz:
Wir suchten einen Jazzkeller, in dem wir wie Existenzialisten gekleidet, Pfeife rauchend und mit Jazz-Musik im Hintergrund die Revolution vorbereiten konnten.
Reinhard Lorenz | Jazzclub Eisenach
Mitte der 1980er-Jahre fanden sie genau so etwas: den Gewölbekeller der Alten Mälzerei.
Live-Konzerte zum Jubiläum und große Pläne
Dort hat der heutige Vereinsvorsitzende Daniel Eckenfelder in den 1990er-Jahren sein erstes Konzert beim Jazzclub erlebt und war gleich fasziniert von Musik, Ort und Clubmitgliedern. Er ist sicher, das Konzert als Kunstform werde nicht aussterben: "Ich glaube, dass künftig die Menschen solche Räume wieder mehr und mehr suchen werden. Räume, wo Musik live gemacht wird, um bei aller ständigen Verfügbarkeit irgendwann mal da zu sein, wenn etwas live entsteht."
Außerdem gilt es, sich um Stiftung und Archiv zu kümmern – um das, was der Jazzclub über viele Jahre geschaffen hat. Die Stiftung will für die wertvollen Nachlässe und Sammlungen gleich neben der Alten Mälzerei einen Neubau errichten. Und nicht nur das: "So soll hier bei uns dann eine Ausstellung zu erleben sein, die sich der populären Musik und ihrer Wirkung auf die Menschen widmet. Anseh- und hörbar."
Das ist die Vision. Zum Jubiläum hat der Jazzclub Eisenach wieder Konzerte in der ganzen musikalischen Bandbreite organisiert: von Blues und Jazz über Rock bis Gypsy Swing.
Mehr über Eisenach als Jazzhauptstadt der DDR (zum Aufklappen)
- 1959 wurde in Eisenach der erste Jazzclub der DDR gegründet. Manfred Blume war der Initiator und Leiter.
- Nach dessen Tod im Jahr 1986 übernahm Reinhard Lorenz bis 2009 den Vorsitz.
- 1999 gründete er mit einigen Club-Mitgliedern das Internationale Jazzarchiv Eisenach, das heute Lippmann+Rau-Musikarchiv heißt und von der Lippmann+Rau-Stiftung für Musikforschung und Kunst getragen wird.
- Dazu taten sich zwei enthusiastische Partner zusammen, die die Jazztradition in Eisenach seit den 1950er-Jahren prägten: Horst Lippmann und Fritz Rau (1930-2013) holten als Konzertveranstalter viele internationale Musiker in die Stadt. Der Jazzclub Eisenach, der sein Archiv beisteuerte, war 1959 der erste der DDR.
- Seit 1989 haben der Jazzclub und damit auch das Archiv ihr festes Domizil in der 1875 erbauten, heutigen Kulturfabrik "Alte Mälzerei". Im Gewölbekeller finden regelmäßig Konzerte statt.
- Das Jazzarchiv ist mittlerweile eine der umfassendsten Sammlungen Europas mit mehr als 80.000 Tonträgern und Filmen, 60.000 Büchern und Musikzeitschriften. Hinzu kommen etwa 60.000 Fotografien, Programmhefte und Konzertplakate sowie Musikinstrumente, Rundfunkmanuskripte und Briefe. Nicht nur Schellackplatten werden gesammelt, sondern auch CDs, Kassetten und VHS.
- Als Rarität gehört auch Benny Goodmans Klarinette zur Sammlung.
Quelle: MDR KULTUR
Redaktionelle Bearbeitung: KS, BH
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 30. Januar 2024 | 06:15 Uhr