SprachverwandtschaftWihajster? – Soviel Deutsch steckt in der polnischen Sprache
Urlaub an der Ostsee, Citybreak in Krakau, ein kurzer Einkaufsbesuch östlich der Oder? In der Theorie müsste man sich als Deutscher sprachlich in Polen immer zurechtfinden, denn in einem gewissen Sinne sprechen alle Polen Deutsch. In der Sprache der slawischen Nachbarn wimmelt es buchstäblich von deutschen Entlehnungen. Doch nicht nur die Polen, sondern auch die Deutschen überhören deren Ursprung meist.
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Wie macht man aus einem deutschen Wort ein polnisches? Mit ein bisschen Humor könnte das am Beispiel von "Kübel" ganz einfach erklärt werden. Da reicht es nur, den Umlaut wegzulassen und das "L" mit einem Schrägstrich zu schmücken. So entsteht das Substantiv kubeł (Eimer), hinter dem kaum ein Pole ein Fremdwort vermutet. "Kübel" ist übrigens eine Vokabel, die zweimal polonisiert wurde und als kibel unter anderem umgangssprachlich für Toilette verwendet wird. An die 3.000 Entlehnungen aus dem Deutschen nennt das polnische "Große Fremdwörterlexikon".
Daher gibt es nur wenige Lebensbereiche, die von diesem linguistischen Einfluss unberührt blieben. Beispiele gefällig? Was ein von der täglichen Routine gelangweilter Deutscher als Hamsterrad bezeichnet, nennt der Pole kierat – in der Regel ohne zu wissen, dass er dabei das nur leicht modifizierte altdeutsche Wort "Kehrrad" verwendet. Kaum einer Mutter östlich der Oder fällt auch beim Anziehen ihres Kindes ein, dass sich rajtuzy (Strumpfhose) direkt von der deutschen Reithose ableitet.
"Die meisten Germanismen nehmen wir als solche überhaupt nicht wahr", sagt die ehemalige Polnischlehrerin Małgorzata Makowska. "Bis auf Menschen, die ein tieferes sprachliches Bewusstsein entwickelt haben, betrachten wir sie als Teil des polnischen Wortschatzes. Mittlerweile klingen sie auch für polnische Muttersprachler völlig vertraut", betont die Pädagogin.
Die ältesten Germanismen sind über 1.000 Jahre alt
Deutsche Worte seien in mehreren Wellen ins Polnische eingesickert, sagt Prof. Radosław Pawelec von der Universität Warschau. "Die erste kam bereits mit der Christianisierung Polens im 10. Jahrhundert. Die ältesten Germanismen, wie ołtarz von 'Altar' oder ofiara, also 'Opfer', übernahmen wir zwar aus dem Deutschen, doch ihr tatsächlicher Ursprung liegt in der lateinischen oder der griechischen Sprache. Die zweite Welle setzte im Mittelalter ein und hing mit der Entwicklung der Städte und der Einwanderung einer sehr großen Gruppe deutschsprachiger Siedler zusammen. Deutsch war damals in vielen Städten des Königreichs Polen die dominierende Sprache. Einen anderen Charakter haben die Entlehnungen aus dem 19. Jahrhundert, da es sich bei ihnen oft um Lehnübersetzungen oder eine direkte Übersetzung ganzer Wendungen aus dem Deutschen handelt", erklärt der Sprachwissenschaftler.
Deutsch ist neben Latein und Französisch die Sprache, die im Laufe der Jahrhunderte den polnischen Wortschatz am stärksten beeinflusste. Die meisten Polen, aber auch viele Deutsche, die das Nachbarland besuchen, überhören oder übersehen die Entlehnungen allerdings, weil diese im Laufe der Jahrhunderte in Klang und Schreibweise an das Polnische angepasst wurden. Dass sich hinter burmistrz das deutsche Wort "Bürgermeister" verbirgt, ist in Polen kein weit verbreitetes Wissen. Auch bei ratusz und rynek vermutet man kaum das Rathaus und den Ring. Das letztere Wort stand in einigen Teilen des deutschen Sprachraums, insbesondere in Schlesien, für "Marktplatz" und wurde in dieser Bedeutung ins Polnische übernommen.
Mittelalterliche Behördensprache
Im Mittelalter wurden viele Städte in Polen nicht nur nach deutschem Recht organisiert, sondern in Teilen auch von Deutschen bewohnt. Das beweisen weitere Beispiele aus dem Verwaltungsbereich, wie rada (Rat), gmina (Gemeinde), wójt (Vogt) und sołtys (Schultheiß). Auch Ritter (rycerz) und Soldat (żołnierz – von Söldner) haben im Polnischen linguistisch gesehen deutsche Wurzeln, obwohl dies auf den ersten Blick nicht erkennbar ist.
In vielen Fällen sind die polnischen Varianten von dem deutschen Original aber nicht so weit entfernt, um Worte wie dach (Dach), rynna (Rinne), jarmark (Jahrmarkt), szpital (Spital), warsztat (Werkstatt) oder pech (im Sinne: Pech haben) zu nennen. Da sie aber seit dem Mittelalter gebräuchlich sind, würden höchstwahrscheinlich neun von zehn Polen spontan behaupten, dass es sich dabei um urslawischen Wortschatz handelt. Zu den wenigen Ausnahmen, bei denen man wohl keinen Zweifel bezüglich ihrer Herkunft hat, gehören bruderszaft und geszeft. Das erstere Wort bedeutet "Brüderschaft trinken", mit dem letzteren bezeichnet man ein anrüchiges Geschäft.
Selbst die Namen einiger polnischer Nationalgerichte haben einen deutschen Ursprung: Beispielsweise leitet sich die Bezeichnung "żur", die für eine saure Mehlsuppe steht, von dem mittelniederdeutschen"sūr" (sauer) ab. Ähnlich verhält es sich wahrscheinlich auch bei bigos. Der Name dieses Eintopfs aus gedünstetem Sauerkraut mit verschiedenen Wurst- und Fleischsorten, bei dessen Zubereitung ständig Flüssigkeit hinzugefügt werden muss, ist – so eine der Erklärungen – auf "Beiguss" zurückzuführen.
Die Dusche ist nach einem Österreicher benannt
Eine der originellsten Entlehnungen ist prysznic (Dusche) – und das, obwohl es gar keinen ähnlich klingenden deutschen Begriff gibt. Diese Bezeichnung leitet sich von Vincenz Priessnitz ab, einem im 19. Jahrhundert im ehemaligen Österreichisch-Schlesien tätigen Pionier der Wasserheilkunde. Das wohl lustigste deutsche Wort, das auch an der Weichsel gebraucht wird, ist wiederum wihajster – von "wie heißt er?". Damit wird meistens ein Gegenstand bezeichnet, dessen Namen man nicht kennt oder vergessen hat.
Obwohl Polnisch – wie die meisten europäischen Sprachen – heute stark vom Englischen beeinflusst wird, hinterlässt die deutsche Sprache auch weiterhin ihre Spuren: Das beweisen solche jungen Entlehnungen wie szyberdach (Schiebedach), mikrowela (umgangssprachlich: Mikrowellenherd), szrot (Schrottplatz). Da steht einer reibungslosen Kommunikation im nächsten Polenurlaub wohl nichts mehr im Wege, oder?
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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Heute im Osten | 11. Mai 2024 | 11:24 Uhr