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Strenge RegelnCorona in Serbien: Hausarrest für ältere Menschen

22. April 2020, 11:59 Uhr

In Serbien dürfen ältere Menschen seit mehr als einem Monat überhaupt nicht mehr das Haus verlassen. Menschen wie Milutin Savković werden so zu Gefangenen in ihrer eigenen Wohnung. Wir haben ihn besucht.

von Andrej Ivanji

Seit sechs Wochen steht der 65-jährige Milutin Savković quasi unter Hausarrest. So wie alle Serben über 65. Bildrechte: Andrej Ivanji


Eigentlich wollte Milutin Savković gerade auf seinem Segelboot in Griechenland sein, ein Geburtstagsgeschenk an sich selbst. Am 12. März feierte der Belgrader seinen 65. Geburtstag. Vier Tage später verhängte die Regierung eine absolute Ausgangssperre für Menschen ab 65. Statt zwischen Mykonos und Samos über das Mittelmeer zu gleiten, sitzt er deshalb seit fast sechs Wochen in der kleinen Wohnung seiner Freundin in einem Neubauviertel der serbischen Hauptstadt fest.

"So bevormundet wurde ich das letzte Mal von meiner Mutter, als ich sechs Jahre alt war", echauffiert sich Savković. Der Freizeit-Segler und Tennisspieler raucht nicht, ernährt sich gesund und befindet sich physisch in Topform. Dass er allein aufgrund seines Alters als Risikogruppe eingestuft und quasi unter Hausarrest gestellt wurde, hält er für altersdiskriminierend.

"Wie Schwachsinnige behandelt"

"Ich kann das wirklich nicht nachvollziehen. Die serbischen Behörden behandeln ältere Menschen, als ob sie schwachsinnig wären. Als ob sie nicht in der Lage seien, sich wie alle anderen vor einer Ansteckung zu schützen", empört sich Milutin Savković. Währenddessen steht er auf und beginnt, nervös im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Nach Wochen in der Isolation hat er angefangen, Beruhigungsmittel zu nehmen.

Er schaut aus dem Fenster. Das gegenüberliegende Gebäude versperrt jedoch den Blick auf die Stadt. Das verstärke das beklemmende Gefühl, seiner persönlichen Freiheit beraubt worden zu sein. Die Geldstrafe für die Verletzung der Ausgangssperre beträgt 1.300 Euro - mehr als das Dreifache des durchschnittlichen Monatslohns in Serbien. Im Wohnblock des 65-Jährigen kontrollieren Polizisten in Zivil, ob die Bewohner sich an die Einschränkung der Bewegungsfreiheit halten.

Trostloser Ausblick. Seit sechs Wochen blickt Milutin Savković auf eine graue Fassade. Bildrechte: Andrej Ivanji

Als das Wetter schlecht war, fiel ihm der Hausarrest leichter. Doch nun scheint die Sonne, es ist angenehm warm und das satte Frühlingsgrün lädt zum Spaziergang ein. Savković bleibt jedoch nur sein kleiner Balkon und der verbaute Ausblick.

In Belgrad gestrandet

Fast fünf Jahrzehnte lebte Milutin Savković in Wien. Erst vor Kurzem überließ er seine kleine Computerfirma seinen Partnern und kam zurück nach Belgrad. Hier konnte er von seiner Rente preiswert leben und die Zeit zwischen Frühjahr und Herbst auf seinem Segelboot genießen. Durch die Coronavirus-Beschränkungen ist er nun in der serbischen Hauptstadt gestrandet: Nach Griechenland darf er nicht und auch die Grenzen zu Österreich sind geschlossen.

Bilder aus einer besseren Zeit: Milutin Savković auf seinem Segelboot. Bildrechte: Andrej Ivanji

Die meisten Freunde von Milutin Savković zeigen jedoch Verständnis für die restriktiven Maßnahmen, die "zu ihrem eigenen Wohl" eingeführt worden sind. Ohne strikte Anweisungen würde in Serbien nichts funktionieren, argumentieren sie. Er solle sich doch mit der Situation abfinden.

"Das kann ich aber nicht, diese Einschränkungen machen keinen Sinn, mittelfristig kann die Isolation nur schädlich für die Gesundheit älterer Menschen sein", sagt Savković: "Das sind doch chinesische Methoden, die in einer Demokratie nichts zu suchen haben."

Onlinearbeit als Beschäftigungstherapie

Um sich zu beschäftigen, hilft Milutin Savković nun den Kollegen in seiner ehemaligen Firma bei der Kundenbetreuung. Dank schnellem WLAN würden die Kunden gar nicht ahnen, unter welchen Zuständen er mit ihnen kommuniziert.

Ab 21. April dürfen Menschen über 65 begrenzt wieder vor die Tür. Dreimal in der Woche dürfen sie dann im Radius von 300 Metern um ihren Wohnort 30 Minuten lang spazieren gehen. Jedoch nur zwischen 18 und 5 Uhr, wenn für alle anderen Serben eine Ausgangssperre herrscht.

Milutin Savković kann darüber nur den Kopf schütteln und von besseren Zeiten träumen. "Ich bin online mit dem Bordcomputer meines Segelboots verbunden", seufzt der gestrandete Segler. Täglich checkt er die Daten. Die Temperatur in der Kabine beträgt derzeit 20 Grad. Alles sei bereit zum Ablegen.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 25. April 2020 | 07:15 Uhr

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