Initiative osteuropäischer Journalisten"Demokratie stirbt ohne freie Medien"
In Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei wehren sich Journalisten gegen Eingriffe in die Pressefreiheit. Sie wollen nicht hinnehmen, dass die Medien in ihren Ländern politisiert werden und gründen ein "Visegrád-Netzwerk".
"Obwohl wir verschiedene Sprachen sprechen, haben wir gemeinsame Sorgen um die heutige Lage in unseren Ländern", lese ich in der gemeinsamen Erklärung, die von elf Journalisten in Prag unterzeichnet wurde. Sie kommen aus vier Ländern, alle von regierungskritischen Medien oder Journalistenorganisationen. Der tschechische Journalistenverband "Syndikát novinářů" hatte das Auftakttreffen zum Thema Pressefreiheit in Ost- und Mitteleuropa initiiert.
Die Politisierung der Medien
Die Journalisten zeichnen in ihrer Erklärung ein düsteres Bild der Medienlandschaft. Sie fürchten, dass man die öffentlichen Medien "marginalisieren möchte, damit sie sich den Regierungen nicht in den Weg stellen". Sie wollen "keine Rückkehr der autoritären Regime, die ihre Politik mit der angeblichen Verteidigung der nationalen Sicherheit rechtfertigen". Ohne freie Medien würde die Freiheit und Demokratie nicht überleben, schreiben sie in der Erklärung.
Aus Polen waren beim Prager Treffen zwei meiner Kollegen dabei: Seweryn Blumsztajn und Wojciech Maziarski, beide Journalisten bei der liberalen "Gazeta Wyborcza". Sie repräsentierten in Prag die polnische Journalistengesellschaft, die wir vor fünf Jahren gegründet haben. Unser Ziel war es, eine kritische Stimme in der Mediendebatte zu werden.
Auch damals, in Zeiten der liberalen Regierung der Bürgerplattform, konnten wir beobachten, wie Politiker in Polen versuchten – unabhängig von der Parteizugehörigkeit – Medien immer mehr zu beeinflussen. Heute, nach der Verstaatlichung der öffentlichen Medien und der Pläne der regierenden Partei PiS, die privaten Medien zu "repolonisieren", ist die Politisierung der Medien in Polen ein Faktum. Sie sind stark polarisiert und es gibt kaum noch ein Medium, das eine neutrale Berichterstattung anstrebt.
Alle vier Länder sind betroffen
Was in Polen seit einem Jahr unter der PiS-Regierung geschieht, ähnelt vor allem der Entwicklung der letzten Jahre in Ungarn, doch auch tschechische und slowakische Kollegen haben schon länger Gründe, sich Sorgen zu machen. Ein Beispiel liefert die Geschichte der regierungskritischen slowakischen Zeitung SME. Vor zwei Jahren wurde sie von dem politiknahen Konzern Penta übernommen, der durch Korruptionsskandale bekannt geworden war.
Der Chefredakteur Matúš Kostolný und rund 60 andere Journalisten verließen die Zeitung und gründeten ein eigenes Blatt sowie das Internetportal "Dennik N". Heute ist Kostolný einer der Mitbegründer des Komitees "Freiheit für die Medien". Ein anderer Unterzeichner ist Márton Gergely, früher stellvertretender Chefredakteur der größten meinungsbildenden ungarischen Zeitung "Népszabadság".
Sie hatte in den letzten Jahren Regierungsskandale aufgedeckt, wurde dann aber im Oktober 2016 von regierungsnahen Oligarchen aufgekauft und zugemacht. Somit vertrat Gergely in Prag "die Belegschaft einer nicht existierenden Zeitung". Er sieht die Lage in Ungarn als "ein mahnendes Beispiel dafür, wie die Medienlandschaft in den Abgrund geraten kann".
Die neue Initiative als Chance
Mein Kollege Wojciech Maziarski von der "Gazeta Wyborcza" befürchtet, dass in Polen nach der Verstaatlichung der öffentlichen Medien der nächste Schlag die Privaten treffen wird. Die PiS spricht von der Repolonisierung der Medien und das richtet sich vor allem gegen deutsche Konzerne, die die überwiegende Mehrheit der Printmedien in Polen besitzen.
"Gazeta Wyborcza" gehört zwar nicht dazu, doch bereits jetzt bekommt das regierungskritische Blatt die finanziellen Folgen der Machtübernahme durch die PiS zu spüren. Staatlichen Institutionen dürfen die Tageszeitung nicht mehr abonnieren oder Annoncen in dem Blatt schalten. Die Initiative "Freiheit für die Medien" sieht Maziarski als Chance, dass die Sorgen nicht nur unter den Kollegen im eigenen Land bleiben, sondern dass die Stimme der Journalisten auch der internationalen Öffentlichkeit bewusst wird.
Die Solidarität hat ihre Tradition
Dass so eine Initiative ausgerechnet von diesen vier Ländern gegründet wird, ist eigentlich kein Wunder, wenn man in die Geschichte zurückblickt: Die "polnisch-tschechisch-slowakische Freiheitsroute", ein Wanderweg im Riesengebirge, erinnert an die 70er-Jahre, als sich dort Mitglieder der tschechoslowakischen Charta 77 mit den späteren Solidarnosc-Aktivisten trafen.
Man denke auch an den ungarischen Aufstand von 1956 gegen die Sowjets, als Tausende von Polen Blut für die Opfer in Budapest spendeten.1991 trafen sich die führenden Politiker von Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei im ungarischen Visegrad und sprachen über ein politisches Bündnis: das Visegrad-Dreieck wurde Realität. Nach dem Zerfall der Tschechoslowakei wurde daraus die Visegrad-Gruppe.
Das gemeinsame Ziel war es damals, die Mitgliedschaft in der EU und in der NATO voranzutreiben. Jetzt bekommt die Visegrad-Zusammenarbeit eine neue unerwartete Dimension und zwar nicht in der Regie der Politiker. Der Anstoß kommt von unten und ist ein Beweis dafür, dass in diesen vier Ländern die Zivilgesellschaften – trotz aller Schwierigkeiten – noch intakt sind.
(Zuerst veröffentlicht am 15.02.2017)