Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
Der jugoslawische Kult-Kiosk K67 könnte es bald als LEGO-Bausatz in den Handel schaffen – wenn genügend Menschen dafür stimmen. Momentan gibt es nur diese Prototypen. Bildrechte: Nikola Opačić

(N)OstalgieSozialismus im Legoland: Jugoslawischer Kult-Kiosk K67 soll wieder auferstehen

17. April 2024, 09:26 Uhr

Der rote Kiosk stach hervor aus dem sozialistischen Grau. Im ganzen Raum des jugoslawischen Vielvölkerstaates verstreut, verband er unbewusst breite Landesteile. Die vertraute Form und Farbe weckte Gefühle der Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit. Nun soll der berühmte jugoslawische Kiosk als Lego-Bausatz wiederbelebt werden.

Jugo-Nostalgiker werden im postjugoslawischen Raum grundsätzlich verhöhnt. Im Unterschied zur Ostalgie in Deutschland ruft Jugoslawien-Nostalgie deutlich kritischere, sogar feindselige Reaktionen hervor. Nachkriegsgenerationen, geboren nach dem Zerfall des Tito-Landes, spotten, wenn jemand über die "guten, alten jugoslawischen Zeiten" schwärmt. Ältere Bürger können richtig böse werden, wenn man sich positiv über den angeblichen "Völkerkerker" äußert. Viel Geschichtsklitterung hat dazu beigetragen. Das dogmatische Argument aller Jugoslawienhasser lautet: Wenn es allen so gut ging in der "kommunistischen Diktatur", warum habe man dann mit solcher Leidenschaft Krieg geführt?

Gilt als Meisterwerk des jugoslawischen Designs: 2007 wurde der Kiosk K67 auch am Bauhaus Dessau ausgestellt. Bildrechte: picture-alliance/ dpa | Martin Schutt

Umso verwunderlicher ist der jüngste Hype um den roten Kiosk, in dem vor den Jugoslawienkriegen im ganzen Vielvölkerstaat u.a. gekochte Würstchen (nebst Zeitungen und anderen Waren) verkauft wurden, Fachbezeichnung K67. Er ist sicher eines der ästhetischen Symbole Jugoslawiens – und allem Jugoslawien-Bashing zum Trotz stieß der Belgrader Architekt Nikola Opačić auf lauter Sympathie, als er auf die Idee kam, den Kiosk wieder ins Leben zu rufen – und zwar gebastelt aus Legosteinen.

Ein weiter Weg zum Lego-Bausatz

Entworfen wurde der Kiosk in den 1960er-Jahren vom slowenischen Architekten Saša Janez Mächtig (83). Er war erst 25 Jahre alt, als er ihn entwarf. "Meine Idee, seinen Kiosk aus Lego zu bauen, hat ihm gefallen", sagt Opačić. Der Weg bis dahin ist aber noch lang. Im Februar dieses Jahres hat sich Opačić offiziell bei Lego für dieses Projekt beworben. Nun müssen aber bis 2026 mindestens 10.000 Menschen auf der Lego-Webseite für diese Idee Stimmen, damit es die Chance bekommt, als offizieller Lego-Bausatz in den Handel zu kommen. Aktuell geht es in Richtung 5000er-Marke.

Zwei Architekten: Saša Janez Mächtig (links) hat in den 1960ern den berühmten jugoslawischen Kiosk K67 entworfen, Nikola Opačić will ihn nun als Lego-Bausatz wiederbeleben. Bildrechte: Nikola Opačić

Was sind "Lego Ideas"?

"Lego Ideas" ist eine Plattform, auf der User ihre eigenen Modelle aus Legosteinen einstellen können. Stimmen mindestens 10.000 registrierte User dafür, prüft Lego, ob das Modell als offizieller Lego-Bausatz in den Handel kommt. Die Auflagen sind allerdings streng. In die Bewertung fließt ein, wie stabil und komplex das Modell ist, aber auch welche Absatzchancen es als offizieller Bausatz hätte. Dabei spielen Produktionskosten und eventuell zu erwerbende Lizenzrechte eine Rolle. Auch Verpackung und Marketingstrategien werden mit bedacht. Am Ende überwindet nur ein Bruchteil der eingereichten Vorschläge die Hürde zur Bausatz-Fertigung.

Opačićs Aufruf an seine Landsleute und die Menschen im postjugoslawischen Raum, bei Lego den jugoslawischen Kiosk zu unterstützen, könnte man auch wie eine aparte Meinungsumfrage deuten, wie es denn heutzutage um die Jugo-Nostalgie steht. Denn die große Mehrheit in den nach dem Zerfall Jugoslawiens entstandenen Staaten hat gar kein Verständnis für die Wiederbelebung jugoslawischer Symbolik.

Schon die Idee einer jugoslawischen, südslawischen Gemeinsamkeit ist im Großen und Ganzen ein politisches Tabu. Denn die heutigen nationalen Populisten aller Völker, die einst friedlich in Jugoslawien lebten, nähren sich von der Ideologie der Trennung und Feindseligkeit.

Würstchen vom Kiosk: Geschmack der Kindheit

Bei mir ruft der rote Kiosk den Duft und Geschmack von gekochten Würstchen in Erinnerung. Sie versetzen mich zurück in die unbekümmerte Kindheit. Ich kann mich gut an die Kioske erinnern: drinnen ein kleiner Herd, auf dem ein großer Topf mit heißen Würstchen steht. An der kurzen Theke eine Tube mit billigem Senf, später auch mit Ketschup, wenn ich mich richtig erinnere. Zuerst bekam man die Würstchen zwischen zwei Brotscheiben, irgendwann wurden eigens dafür Semmeln gemacht.

Der Kiosk K67 tauchte oft als Schnellimbisstand in den Straßen Jugoslawiens auf, und so gibt es nun auch eine Lego-Variante mit den Würstchen, die für viele den Geschmack der Kindheit darstellen. Bildrechte: Nikola Opačić

Ein Kollege dachte darüber nach, warum die gleichen Würstchen zu Hause nie so gut schmeckten wie die aus dem roten Kiosk. Er kam zum Schluss: Im Kiosk wurden die Töpfe den ganzen Tag über nicht gewaschen, das Wasser wurde nur nachgefüllt – das führte dazu, dass sich eine Fettschicht bildete, die zum besonderen Geschmack beitrug.

Diese Kioske standen in Belgrad an jeder Ecke. Auch in der Nähe meiner Grundschule war einer. In der Schulpause formte sich stets eine Schlange davor. Die Würstchen, die an diesem Kiosk verkauft wurden, waren das jugoslawische Fast-Food schlechthin.

Meisterwerk jugoslawischen Designs

Doch wie kam der Architekt Opačić auf diese ausgefallene Idee, einen Würstchenkiosk als Legobausatz wiederzubeleben? Seine Leidenschaft seien Architektur, Design und Lego, erklärte er in einem Interview für die serbische Tageszeitung "Danas". Ohne Lego hätte sich wahrscheinlich seine Liebe zur Architektur im frühen Alter nicht entwickelt. Architektur führte ihn zum Design, und der rote Kiosk K67 sei eben ein Meisterwerk des jugoslawischen Designs.

Opačić faszinierte die einfache, direkte Form des Kiosks, seine Modularität, Vielfältigkeit und die Möglichkeit der Wiederverwendung – wie bei Lego. All das seien Eigenschaften der Moderne. Des Weiteren gefiel ihm die Befürwortung der Idee der Gemeinschaft und Zugehörigkeit, bei Lego wie beim Kiosk, sowie die Art und Weise, wie der urbane Raum im ehemaligen gemeinsamen Staat erlebt wurde.

Eine weitere häufige Nutzung des K67: Zeitungskiosk – hier in der Lego-Ausführung, die es momentan nur als Prototypen gibt. Bildrechte: Nikola Opačić

Auch das berühmte Museum der Modernen Künste in New York (MoMA) erkannte die ästhetische Qualität der jugoslawischen Architektur und widmete ihr 2018 eine Ausstellung unter dem Titel "Auf dem Weg zur konkreten Utopie: Architektur in Jugoslawien, 1948-1980". Selbstverständlich war dort auch der Prototyp des Kiosks K67 zu sehen.

Das Gefühl der Zugehörigkeit

Die integrative Wirkung des Kiosks bestätigt auch der Belgrader Regisseur Ivan Markon (58). "Jugoslawien, Kindheit – das ist mein erster Gedanke an diesen Kiosk", sagt er. "Diese rote Farbe stach hervor aus dem sozialistischen Grau. Auch das Design war für diese Zeit ultramodern, obwohl wir uns dessen damals natürlich nicht bewusst waren", ergänzt er.

Eine Ausstellung in Belgrad warb für die Idee, den jugoslawischen Kiosk K67 als Lego-Bausatz wiederzubeleben. Bildrechte: Nikola Opačić

Markov verglich den roten jugoslawischen Würstelstand mit den gelben Eisenbahnstationen in Österreich-Ungarn: Beide waren auf den ersten Blick erkennbar, im ganzen Raum der Vielvölkerstaaten verstreut, und verbanden so unbewusst die unterschiedlichen Landesteile. Die vertrauten Formen und Farben weckten Gefühle der Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit. Das war einmal. Heute könnte der Nostalgie hervorrufende Kiosk ein einzigartiges Denkmal bekommen – gebaut aus Legosteinen.

Mehr zum Thema

Ein Angebot von

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Heute im Osten | 13. April 2024 | 07:21 Uhr