Ukraine-KriegBulgarien: Spagat im Russland-Ukraine-Krieg
Bulgarien ist neben Ungarn das einzige Nato-Land in der EU, das sich dagegen sträubt, Waffen an die Ukraine zu liefern. Das traditionell russlandfreundliche Balkanland muss sich jedoch entscheiden und davon hängt die Stabilität der erst seit Dezember amtierenden Regierung in Sofia ab.
"Immer mit der EU, niemals gegen Russland" – Diese Worte des früheren bulgarischen Exilmonarchen und Ministerpräsidenten Simeon von Sachsen-Coburg und Gotha fassen die bulgarische Außenpolitik seit dem EU-Beitritt 2007 gut zusammen. Gleichzeitig hat der Ausspruch einen historischen Bezug. Denn der letzte bulgarische Zar Boris III., Simeons Vater, führte Bulgarien an der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg, weigerte sich jedoch, bulgarische Soldaten an die Ostfront gegen die Rote Armee zu schicken. "Immer mit Deutschland, niemals gegen Russland" lautete die außenpolitische Linie von Zar Boris III. Bis heute ist die traditionell russlandfreundliche Politik größtenteils historisch bedingt. Allerdings nicht ausschließlich.
Kurz nachdem Russland am 24. Februar seinen Krieg gegen die Ukraine begonnen hatte, verlor der bulgarische Verteidigungsminister Stefan Janew seinen Posten. Er hatte sich zuvor auf Facebook gegen eine Stationierung von NATO-Truppen im Mitgliedsland Bulgarien ausgesprochen und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als "Operation" bezeichnet. "Kein Minister kann die Ereignisse in der Ukraine anders nennen als 'Krieg'", begründete Ministerpräsident Kiril Petkow die Entlassung seines Ministers. Nun plant der bisher parteilose Janew eine eigene Partei zu gründen und wird sich bei den zahlreichen Freunden Moskaus in Sofia einreihen.
Historisch enge Beziehung Bulgariens zu Russland
Als zentrales Ereignis in der Freundschaft Bulgariens mit Russland gilt der russisch-türkische Krieg 1877/78 und die auf den Krieg folgende "Befreiung" Bulgariens von der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft. Nach Bulgariens zwiespältiger Position im Zweiten Weltkrieg galt das Land während des Kalten Krieges im Ostblock als treuester Verbündeter der Sowjetunion. Die Wende 1989 verwandelte dann den politischen Einfluss Moskaus in wirtschaftliche Abhängigkeit. Bis heute bezieht Bulgarien Erdgas und Erdöl fast ausschließlich aus Russland. Als Bulgarien 2007 der Europäischen Union beitrat, bezeichnete der damalige russische Botschafter bei der EU, Wladimir Tschischow, das Land als eines der "trojanischen Pferde" des Kremls. Damals regierte in Sofia die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP), die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangen war.
An der derzeitigen Koalition unter dem politisch unerfahrenen Ministerpräsidenten Kiril Petkow von der gerade erst gegründeten Reformpartei PP "Wir setzen den Wandel fort" sind die Sozialisten ebenfalls beteiligt. Allerdings ist die Nachfolgepartei der Bulgarischen Kommunistischen Partei nur Juniorpartner in der komplizierten Viererkoalition, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Korruption in Bulgarien zu bekämpfen. Recht schnell musste Regierungschef Petkow jedoch erkennen, dass die Korruption in Bulgarien eng mit den Netzwerken der russischen Geheimdienste und dem ehemaligen bulgarischen Staatssicherheitsdienst verknüpft ist. Und auch mit dem eigenen Koalitionspartner, den Sozialisten.
Spagat zwischen pro-russischen Sozialisten und pro-westlichen Reformern
Schon während des Kosovo-Konflikts 1999 und der russischen Besetzung der Krim zeichnete sich ab, dass die Sozialisten die Kremlpolitik unterstützen würden. Sowohl im bulgarischen als auch im Europaparlament stimmten sie nach der Krim-Annexion gegen Russland-Sanktionen und gegen ein EU-weites Verbot der russischen Staatsmedien Russia Today und Sputnik. Heute stellt die Sozialistische Partei mit ihrer Weigerung, Waffen an die Ukraine zu liefern, die Regierung vor eine regelrechte Zerreißprobe. Die BSP widersetzt sich unter dem Vorwand, eine "Einmischung in den Krieg" vermeiden zu wollen, entschieden einer klaren bulgarischen Positionierung gegenüber Russland. Die übrigen drei Parteien der Koalitionsregierung haben Putins Krieg scharf verurteilt.
Die Entlassung des Verteidigungsministers zeigt darüber hinaus, dass Kremlfreunde in der Regierung nicht länger geduldet werden. Aber dieser Schritt war auch ein Signal des Regierungschefs Petkow an den moskautreuen Staatspräsidenten Rumen Radew, sich von ihm emanzipieren zu wollen. Denn der Präsident und Oberbefehlshaber der Armee vertritt die Position der Sozialistischen Partei und befürchtet, dass Waffenlieferungen an die Ukraine Bulgarien als Konfliktpartei in den Krieg hineinziehen würden. Somit hat auch die Frage nach Militärhilfe für Kiew das Potential, die Koalition in Sofia zu gefährden. Und nicht zuletzt gegen die extrem populistische, nationalistische und offen Kreml-freundliche Partei "Wazraschdane" (Wiedergeburt) muss sich die Regierungskoalition in puncto Waffenlieferungen an die Ukraine im Parlament behaupten.
Russlands Ukraine-Krieg verändert die öffentliche Meinung zu Russland
Allerdings sind nicht nur Sozialisten und Nationalisten in Bulgarien traditionell russlandfreundlich, auch in der Bevölkerung gibt es große Sympathien für Russland. Doch das ändert sich gerade. Waren noch zu Jahresbeginn etwa die Hälfte der Bulgaren positiv gegenüber Moskau und Putin eingestellt, sind die Sympathiewerte einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Alfa Research zufolge mittlerweile auf unter 30 Prozent gesunken.
Dazu beigetragen hat sicherlich auch das Agieren der russischen Botschafterin in Sofia Eleonora Mitrofanowa. In ihrer Grußbotschaft an das bulgarische Volk zum Jahrestag der Beendigung der osmanischen Herrschaft durch den russisch-türkische Krieg 1877/78 verglich sie diesen "Befreiungskrieg" mit Russlands Krieg in der Ukraine. Dass russische Diplomaten wegen Spionage aus Bulgarien ausgewiesen wurden, bezeichnete sie als "antirussischen Kurs", den Bulgarien verfolge, um dem "Big brother USA" zu gefallen. Umgehend sorgten diese Äußerungen und weitere verbale Entgleisungen Mitrofanowas für Proteste in der Hauptstadt Sofia und anderen Großstädten des Landes.
Vielerorts wurde daraufhin die Forderung laut, die russische Botschafterin auszuweisen. Und die Regierung in Sofia handelte: Sie rief den bulgarischen Botschafter in Moskau vorübergehend zurück und erwartete, dass Moskau, dipolmatischen Gepflogenheiten folgend, auch seine Botschafterin abziehen würde. Doch Mitrofanowa ist nach wie vor in der bulgarischen Hauptstadt.
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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | 17. April 2022 | 22:30 Uhr