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Krieg in der UkraineMoldau: Angst vor der Ausweitung des Krieges

09. Mai 2022, 14:08 Uhr

Nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine fürchtet man in der benachbarten Republik Moldau, dass der Krieg übergreifen könnte. Sorge macht die abtrünnige Region Transnistrien, die von Russland unterstützt wird. Dort haben die Behörden wegen einer Reihe von Anschlägen die höchste Terror-Warnstufe ausgerufen. Die pro-europäische Regierung in Chișinău versucht derweil einen politischen Balanceakt.

von Mila Corlateanu, Chișinău

Anlass zur Sorge: Zerstörte Funkmasten in Transnistrien. Bildrechte: IMAGO/SNA

Ende April hat Russland angekündigt, neben dem Donbass auch die Südukraine besetzen zu wollen, um so einen Landkorridor zur Krim zu schaffen. Das sagte der stellvertretende Kommandeur der Truppen des Zentralen Militärbezirks, Rustam Minnekajew, im Gespräch mit russischen Nachrichtenagenturen. Doch nicht nur das: "Die Kontrolle über den Süden der Ukraine ist ein weiterer Weg nach Transnistrien, wo es ebenfalls Beweise für die Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung gibt", so Minnekajew. Transnistrien liegt in der Republik Moldau, deren Regierung angesichts solcher Aussagen sehr beunruhigt ist.

Angriffsgrund Minderheitenschutz

Zur Erinnerung: Anfang der 1990er Jahre hatte sich die Region Transnistrien nach blutigen Auseinandersetzungen von der Republik Moldau losgesagt und für unabhängig erklärt. Sie ist aber international nicht anerkannt, und daher völkerrechtlich immer noch Teil der Republik Moldau. Faktisch wird die Region von der russischen Armee, von so genannten "Friedenstruppen" kontrolliert.

In Transnistrien sind zahlreiche Volksgruppen beheimatet, daher sind Russisch, Ukrainisch und Moldauisch gleichberechtigte Amtssprachen. Im Alltag ist aber Russisch die dominierende Sprache in der Region. Dementsprechend groß ist die Sorge in Moldau, Moskau könnte die russischsprachige Bevölkerung in Transnistrien als Vorwand nutzen, um seine Großmachtsansprüche auf diese Region auszuweiten, ganz ähnlich dem Vorgehen in den Regionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine seit 2014.

Anschläge in Transnistrien

Schüsse auf ein Regierungsgebäude in Tiraspol, der größten Stadt Transnistriens, Ende April und Anschläge auf zwei Sendemasten befeuerten diese Sorgen. Denn ein Aufflammen des Konflikts in Transnistrien könnte eine neue Front im Ukraine-Krieg eröffnen. Derzeit schieben sich die Konfliktparteien gegenseitig die Verantwortung für die Anschläge zu.

Ein Regierungsgebäude in Tiraspol nach dem Beschuss. Bildrechte: IMAGO/ITAR-TASS

Wadim Krasnoselski, der die international nicht anerkannte Republik Transnistrien anführt, spricht von "Terroranschlägen" und behauptet, diese seien in der Ukraine geplant worden. Die Ukraine dagegen wirft Russland vor, an den Provokationen beteiligt zu sein. Und der russische Duma-Abgeordnete Leonid Kalaschnikow wiederum sagte der russischen Presseagentur Interfax: "Was in Transnistrien geschieht, ist eine Provokation, die darauf abzielt, Russland tiefer in die Feindseligkeiten in der Region hineinzuziehen."

Politischer Balanceakt

Die moldauische Führung in Chișinău versucht derweil, eine Destabilisierung der Lage in der Region zu verhindern. So hat Präsidentin Sandu wegen der Anschläge in Transnistrien den nationalen Sicherheitsrat einberufen, öffentliche Schuldzuweisungen aber tunlichst vermieden. Und auch in Bezug auf den Krieg in der Ukraine versucht die Regierung einen politischen Balanceakt: Moldau ist verfassungsrechtlich neutral und hat daher alle Staaten, einschließlich der Russischen Föderation, aufgefordert, diesen Status zu respektieren.

Die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Gleichzeitig versucht die pro-westliche Regierung eine Annäherung an den Westen. Anfang März hat die Republik Moldau, genau wie die Ukraine und Georgien einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft eingereicht. Harte Worte in Richtung Moskau oder gar eine Beteiligung an den internationalen Sanktionen gegen Russland gibt es aber dennoch nicht, denn das Land ist abhängig von russischem Gas.

Gespaltene Gesellschaft

In der Frage, wohin sich das Land entwickeln soll, ist die Gesellschaft tief gespalten. Einer aktuellen repräsentativen Umfrage zufolge sind die Moldauer von ihrer pro-europäischen Regierung sehr enttäuscht. Fast die Hälfte der Befragten (44 Prozent) findet sogar, Moldau solle lieber eine weitere Annäherung an Russland suchen. In einer anderen Umfrage lag die Zustimmung zu einem Beitritt zur EU bei 56 Prozent, 43 Prozent wollten lieber einen Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion unter der Führung Russlands.

Ein Lenin-Denkmal in Tiraspol. Bildrechte: IMAGO/NurPhoto

Auch was den Krieg im Nachbarland betrifft, ist das Land gespalten: So glauben 43,6 Prozent der Befragten, dass die NATO und Wolodymyr Selenskyj für den Krieg in der Ukraine verantwortlich sind, nur 41,6 Prozent sehen die Schuld bei Wladimir Putin und Russland. Entsprechend sorgt der Krieg auch innenpolitisch für Streit: Anfang April hat das moldauische Parlament zahlreiche Symbole, die eine Unterstützung Russlands in diesem Krieg signalisieren, verboten. Prompt kündigte die pro-russische Opposition an, diese Zeichen, etwa das schwarz-orange St-Georgs-Band, bei Demonstrationen am 9. Mai trotzdem tragen zu wollen.

Solidarität mit Kriegsflüchtlingen

Das Einzige, was die Moldauer in diesen turbulenten Zeiten eint, ist die Bereitschaft, ukrainischen Flüchtlingen zu helfen. Egal ob pro-russisch oder pro-europäisch, viele haben Familienmitglieder in der Ukraine. Im Verhältnis zu seinen 2,6 Millionen Einwohnern hat Moldau eine sehr große Anzahl an Kriegsflüchtlingen aufgenommen – fast eine halbe Million sind seit Kriegsbeginn ins Land gekommen. Die meisten Geflüchteten sind inzwischen weitergezogen, doch mehr als 100.000 sind in Moldau geblieben. Die Mehrheit der Flüchtlinge wird von moldauischen Familien in ihren Häusern untergebracht, 40 Prozent von ihnen sind Kinder, die in Kindergärten oder die Schule gehen. Eine gewaltige Aufgabe für ein so kleines Land.

Damit die Republik Moldau mit den Kriegsfolgen nicht alleine dasteht, fand Anfang April in Berlin eine Geberkonferenz statt, deren Teilnehmer insgesamt 695 Millionen Euro Hilfszahlungen für das Land zugesichert haben. Deutschland hat einen Kredit über 50 Millionen Euro freigegeben. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock betonte die Wichtigkeit finanzieller und politischer Unterstützung und sagte: "Moldau steht nicht allein".

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 30. April 2022 | 07:15 Uhr