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ARD-Themenwoche: Stadt.Land.WandelPolen: Warum die Wahlen auf dem Land entschieden werden

08. November 2021, 17:34 Uhr

In Polen geht es der Landbevölkerung deutlich schlechter als den Bewohnern der Städte. Doch die meisten Menschen auf dem Land sind nicht nur ärmer als viele Städter, sie sind auch sehr konservativ. Das machen sich Parteien wie die PiS geschickt zunutze. Und so geht ein tiefer Riss durch die polnische Gesellschaft. Während sich die Landbevölkerung abgehängt fühlt, fürchten die Menschen in den Städten um ihre weltoffene Lebensweise, seit 2015 die nationalkonservative PiS-Partei an die Macht kam. Ihren Wahlsieg verdankt die PiS-Partei vor allem dem Teil Polens, der lange vergessen wurde: dem Land.

In Lipnica Dolna, einem Dorf im Südosten Polens, wohnt Andrzej Leszczyński mit seiner Frau Malgorzata und seinen sechs Kindern. Seit 40 Jahren lebt er in dieser Gegend. Es ist seine Heimat. Leszczyński kann sich ein Leben in der Stadt überhaupt nicht vorstellen: "Wer kann, der fährt aufs Land, um sich von der Stadt zu erholen", sagt er. "Die Stadt ist zu einem anstrengenden Ort für den Durchschnittsmenschen geworden." Und wie viele Landbewohner ist Andrzej Leszczyński seit Jahren ein überzeugter Anhänger der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit PiS.

Andrzej Leszczyński kann sich ein Leben in der Stadt nicht vorstellen Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

40 Prozent der Polen leben auf dem Land

Durch Polens Gesellschaft geht ein Riss, der Stadt und Land voneinander trennt. Polen hat mit nur 60 Prozent einen deutlich niedrigeren Verstädterungsgrad als etwa Deutschland oder Frankreich. 40 Prozent der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Und der Landbevölkerung geht es immer noch schlechter als den Menschen in den Städten. Als einen treibenden Faktor der Ungleichheit zwischen Stadt und Land sieht der polnische Wirtschaftsjournalist Rafał Woś ausgerechnet den EU-Beitritt Polens 2004, obwohl der eigentlich dem ganzen Land Wohlstand bringen sollte: "Die polnischen Eliten waren damals so dankbar. Sie wollten Brüssel zeigen, dass sie gute Schüler waren. Daher wurde alles weggeschoben, was ländlich, provinziell, konservativ und dadurch weniger europäisch, progressiv und kosmopolitisch war. Der ländliche Raum war etwas, das man zurücklassen musste auf dem Weg nach Europa."

Die Landbevölkung suchte sich Arbeit im Ausland

Die Kluft zwischen Stadt und Land in Polen war dramatisch, vor allem was die materiellen Lebensbedingungen anging. Statistisch gesehen hatte ein Dorfbewohner am Ende des Monats nur umgerechnet 360 Euro zur Verfügung – in Städten wie Warschau oder Krakau waren es mit 1.100 Euro mehr als dreimal so viel. Das führte dazu, dass hunderttausende Landbewohner auf der Suche nach besser bezahlten Jobs ins Ausland abwanderten. In Leszczyńskis Dorf arbeiteten damals zeitweise von 2.800 Einwohnern 500 im Ausland. Auch Andrzej Leszczyński wollte 2015 seine Heimat verlassen. "Die Arbeitsangebote waren im Ausland definitiv besser", erinnert er sich. "Vor allem meine Frau und meine Familie hielten mich zunächst davon ab. Aber dann sah ich keinen anderen Ausweg mehr. Ich wollte gehen. Und wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht zum Wechsel der Regierung gekommen wäre, dann wäre ich heute nicht mehr in Polen." Und diesen Wechsel der Regierung hat vor allem die Landbevölkerung vorgenommen.

Die Kluft zwischen Stadt- und Landbevölkerung in Polen ist groß. Neben den wirtschaftlichen Unterschieden, ist auch die politische Ausrichtung gegensätzlich. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die PiS nutzte die Unzufriedenheit auf dem Land geschickt aus

Der zurückgelassene ländliche Raum Polens hat traditionell eine große politische Macht. Auf dem Land werden nämlich die Wahlen entschieden. Das hatte die PiS bei den Parlamentswahlen 2015 erkannt und die Unzufriedenheit der Menschen auf dem Land geschickt für ihre Ziele ausgenutzt. Sie versprach unter anderem, Steuerschlupflöcher für die Reichen zu schließen und die Einführung umfassender Sozialleistungen wie etwa einem Kindergeld. Das wurde auf dem Land weit mehr gewürdigt als in den Städten. Auch Andrzej Leszczyński war von den Versprechen der PiS beeindruckt: "In meinem Bekanntenkreis gab es sehr arme Familien, vor allem wenn der Mann nach einem Unfall nicht mehr arbeiten konnte. Man kann sagen, dass viele dieser Familien jetzt entschieden würdevoller leben." Man kann durchaus sagen, dass die Landbevölkerung PiS an die Macht brachte.

Polens ländlicher Raum hinkt hinter der wirtschaftlichen Entwicklung in den großen Städten weit hinterher. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gott, Ehre, Heimat und Familie

Die PiS spricht aber auch gezielt die Werte der ländlichen Bevölkerung an: Gott, Ehre, Heimat und Familie. Werte, die auch Andrzej Leszczyński viel bedeuten: "Das sind Dinge, die hier auf dem Land immer noch geschätzt und gepflegt werden. Wo sich nicht an diese Werte gehalten wird, beginnen die Probleme. Leider wollen sich nicht alle mit diesen Werten identifizieren."

Die PiS gewinnt auf dem Land die Wahlen

Genau gegen jene konservative Ausrichtung der PiS richtet sich der Protest der Städter, während die Partei auf dem Land damit punktet. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 haben etwa in Andrzejs Gemeinde 82 Prozent Andrzej Duda gewählt, den Präsidentschaftskandidaten der PiS. Die Wahl zeigte, wie gespalten das Land ist. Präsident Duda wurde in einer Stichwahl mit 51 Prozent wiedergewählt. Knapper kann eine Wahl kaum ausfallen. Während vor allem die Menschen auf dem Land die PiS gewählt haben, waren die Städte und der Westen Polens Hochburgen der oppositionellen Bürgerplattform.

Die von der PIS-Regierung eingeführten sozialen Leistungen für Familien haben sich besonders im ländlichen Raum positiv ausgewirkt und das Leben in den Dörfern stabilisiert. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

In Polen haben sich die Ungehörten Gehör verschafft, aber auch hier gibt es zunehmend ein Umdenken. Die Versprechungen der Pis reichen nicht aus.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 08. November 2021 | 19:30 Uhr