PolenWarum die polnischen Bauern gegen die PiS kämpfen
Erboste Landwirte, die mit ihren Treckern die Straßen blockieren – solche Bilder häufen sich seit September in Polen. Kleine Bauernhöfe haben es immer schwerer, manche kämpfen ums Überleben. Der Bauernverein Agrounion wird zu ihrem Sprachrohr. Er will mit der Regierung verhandeln, wird von den Machthabern aber ignoriert. Vielleicht aus Angst – denn der Anführer der Agrounion hat nicht nur große Ambitionen, sondern auch gute Chancen, Polens Politik ordentlich aufzumischen.
Die Proteste der Agrounion (polnisch "Agrounia") sind ebenso spektakulär wie umstritten. Das Abladen großer Mengen von Äpfeln, Kartoffeln und Schweinsköpfen in Städten und vor Behördensitzen, das Ausschütten von Gülle, das Verbrennen von Heu und Autoreifen sind zu üblichen Requisiten geworden. Im August war dieses Schauspiel gleich zwei Mal zu bewundern. Und die Teilnehmer dieser Protestaktionen sagen: "Die PiS muss uns anhören, denn sie hat uns den Wahlsieg zu verdanken. Mit unseren Stimmen ist sie an die Macht gekommen. Wenn diese Stimmen weg sind, wird die PiS nie wieder etwas gewinnen."
Wie die PiS Sympathien auf dem Land verspielt
Jahrelang hatte die PiS-Partei eine Vormachtstellung auf dem Land. Doch die bröckelt nun. Einer der Hauptgrüne, die dazu führten, war der Versuch, ein relativ restriktives Tierschutzgesetz zu verabschieden. Die Idee war edel: Man wollte das Wohl der Tiere verbessern, das rituelle Schächten verbieten (Polen liefert relativ Fleisch in arabische Länder) und die Pelztierzucht abschaffen. Angeblich wollte PiS-Chef Jarosław Kaczyński dadurch jüngere, umweltbewusste Wähler gewinnen.
Doch der Schuss ging nach hinten los. Die Landwirte haben es als Angriff nicht nur auf ihre finanziellen Interessen, sondern auch auf die altbewährten Traditionen verstanden. Die Botschaft, die auf dem Lande ankam: Für die PiS sind Tiere wichtiger als Menschen. Die Enttäuschung war umso größer, als sie ein solches "linksgrün versifftes", wie sie es nennen, Gesetz ausgerechnet von der nationalkonservativen PiS nicht erwartet hätten. Zehntausende Bauern kamen Anfang September zu Protesten nach Warschau – organisiert von der Agrounion. Gemüse, Eier, Fleisch und ein totes Schwein wurden medienwirksam vor Kaczyńskis Haus abgeladen. Es wurde der größte Bauernprotest seit 20 Jahren – und er war von Erfolg gekrönt, denn die PiS legte das Tierschutzgesetz auf Eis. Seitdem ist die Agrounion im Aufwind.
Ein neuer Akteur auf der politischen Bühne
Das Gesicht und der Kopf hinter den Bauernprotesten ist der 33-jährige Landwirt Michał Kołodziejczak. Als Vorsitzender der Agrounion kämpft er gegen vermeintlich unfaire Praktiken der Handelsketten, organisiert Kontrollen in Supermärkten, Demos und Straßenblockaden. Eine scharfe Zunge, Charisma und Entschlossenheit sind seine Markenzeichen.
Zwei von drei Schweinekoteletts auf polnischen Tischen und in polnischen Geschäften kommen aus Spanien, Dänemark, Deutschland und Litauen. Darüber wollen wir sprechen, so kann es nicht weitergehen.
Michał Kołodziejczak, Vorsitzender der Agrounion
Eines seiner Hauptziele: 70 Prozent der Lebensmittel in polnischen Supermärkten sollen von polnischen Erzeugern stammen. Außerdem fordert Kołodziejczak eine Kennzeichnung der Produkte mit der Flagge des Herkunftslandes, höhere Ankaufspreise für Agrarprodukte und ein entschiedenes Vorgehen gegen die Afrikanische Schweinepest, die sich in Polen seit Jahren ausbreitet.
Mit seinen 15 Hektar Land, auf denen er Kartoffeln, Kohl und Getreide anbaut, kann er nach heutigen Maßstäben als Kleinbauer gelten. 2014 kam er über die Wahlliste der PiS in die Lokalpolitik. Doch dann wurde er wegen seiner Protestaktivitäten aus der Partei ausgeschlossen. Heute ist er einer ihrer schärfsten Kritiker und kündigt einen "Bauernaufstand" an, der dazu führen soll, dass eine künftige Regierungsbildung ohne ihn nicht möglich ist. Und er hat gute Chancen, dieses Ziel zu erreichen, denn auf dem Land gärt es – trotz des enormen Wohlstandszuwachs seit dem EU-Beitritt Polens 2004.
Schwere Zeiten für Kleinbauern in Polen
Während in den meisten EU-Ländern rund 2-3 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind, liegt dieser Anteil in Polen immer noch bei etwa 10 Prozent, mit einem hohen Anteil von Kleinbauern, die von der Landwirtschaft allein nicht mehr leben können. Solche Kleinbauern haben viel zu befürchten – die landwirtschaftliche Produktion wird immer professioneller und die Kleinbauern stehen im Wettbewerb mit großen Betrieben, die auf mehreren Hundert oder Tausend Hektar Land wirtschaften und Tierproduktion im industriellen Maßstab betreiben. Es wird für sie immer schwerer, den hohen Anforderungen der Handelsketten, den epidemiologischen Standards und den Umweltauflagen zu genügen, so dass Kleinbetriebe aus der polnischen Landschaft allmählich verschwinden.
Soziale Wohltaten wirken nicht mehr
Lange Zeit gelang es der PiS, ihre Vormachtstellung auf dem Land zu behalten – und gerade die Stimmen der Landbevölkerung hatten ihr die letzten Wahlsiege beschert. Das neue Kindergeld "500 plus" und die 13. Rente kamen in den im Schnitt immer noch etwas ärmeren ländlichen Gebieten besonders gut an. An die vielfach kritisierten Privilegien der Kleinbauern wagte sich die PiS nicht heran: Statt der regulären Einkommens- und Umsatzsteuer zahlen sie nur eine günstige Hektarpauschale und an die Sozialversicherung führen sie nur sehr niedrige Beiträge ab.
Unerfüllte Wahlversprechen, ungelöste Probleme der Landwirtschaft
Doch inzwischen bricht das politische Monopol der PiS auf dem Land zusammen, weil sie viele ihrer Wahlversprechen nicht eingehalten hat. Das wichtigste davon: Polnische Bauern sollten dieselben EU-Zahlungen bekommen, wie Landwirte aus den alten EU-Ländern, die etwa 30 Prozent mehr pro Hektar erhalten. Ebenso ist die versprochene Aufstockung des polnischen Schweinebestands nicht erfolgt, ganz davon zu schweigen, dass die Regierung im Kampf gegen die Afrikanische Schweinepest und Vogelgrippe versagt. Auch das Verbot, landwirtschaftliche Flächen an Nicht-Landwirte zu verkaufen, hat sich als Flopp erwiesen und wurde wieder gelockert – statt Bodenspekulationen einzudämmen, hat es Bauern nur das Leben schwer gemacht. Ungelöst bleibt auch die Frage, wie Pandemieverluste ausgeglichen werden, denn die Schließung der Gastronomiebetriebe im Lockdown bedeutet für viele Landwirte große Absatzeinbrüche. So ist es kaum verwunderlich, dass die PiS-Partei im letzten Jahr laut einer CBOS-Umfrage mehr als 10 Prozentpunkte auf dem Land verloren hat. Dass Stimmen im ländlichen Raum der PiS-Partei sicher sind, weil die Bevölkerung dort konservativer ist, oder dass sie mit sozialen Wohltaten gekauft werden können, war in der PiS-Partei offenbar ein weit verbreiteter Irrglaube.
Agrounion bald im Parlament?
In dieser Situation kann die Agrounion den Machthabern eine Menge Ärger bereiten. Kołodziejczak ist gerade dabei, seinen Verein in eine Partei umzuwandeln. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IBSP Anfang September zufolge, würde sie mit fünf gut Prozent schon jetzt den Sprung ins Parlament schaffen. Experten schätzen, das ihr Potential sogar auf sechs Prozent steigen könnte. Und die Agrounion hat neue große Proteste angekündigt. Ihr Motto bleibt unverändert: "Das ist ein Krieg gegen die Regierung. Er wird an Schwung gewinnen. Wir werden nicht einfach aufgeben, was wir haben. Wir haben viel zu verlieren und wir müssen es verteidigen."
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Dieses Thema im Programm:MDR Aktuell Radio | 04. September 2021 | 07:15 Uhr