Organisierte KriminalitätSerbiens Führung unter Druck: USA setzen Geheimdienstchef auf Schwarze Liste
Lebensgefährliches Rasen im Sportwagen – womöglich unter Alkohol- und Drogeneinfluss -, Korruption und Drogengeschäfte: In Serbien werden solche Delikte seit Langem auch Amtsträgern vorgeworfen. Polizisten und Staatsanwältinnen, die in solchen Fällen ermitteln, berichten von Drohungen. Nun verlieren sie langsam die Angst, gegen Profiteure des Systems Vučić vorzugehen.
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Anfang März verursachte ein Mann in Belgrad einen Autounfall und verletzte dabei zwei Passantinnen. An sich nichts völlig Ungewöhnliches in einer Großstadt, niemand kam ums Leben. Doch der Mann fuhr einen 300.000 Euro teuren Mercedes McLaren, einen Supersportwagen, und da wurden einige Medien hellhörig. Bald stellte sich heraus, dass es sich um Nikola Petrović, einen ehemaligen Direktor beim staatlichen serbischen Energieversorger handelte, einen Geschäftsmann und Vertrauten von Staatspräsident Aleksandar Vučić.
Für regimekritische Medien war das ein gefundenes Fressen. Kurz zuvor war der Sohn eines anderen Gefolgsmannes des Präsidenten in einem Lamborghini durch Belgrad gerast. Dabei fluchte er wie besessen, forderte die Polizei auf, ihn zu stellen, wenn sie könne, und übertrug – offensichtlich unter Drogen- oder Alkoholeinfluss – alles in einem Livestream auf Instagram.
Die zwei Vorfälle brachten für einen Moment ein Dauerthema wieder auf die Tagesordnung: Korruption und die Privilegien einer Kaste, die offenbar über dem Gesetz steht. Wieder einmal drängten sich die alten Fragen auf: Woher haben diese Leute so viel Geld? Wird die Staatsanwaltschaft Klage erheben? Werden die beiden, wie so etliche andere vor ihnen, ungeschoren davonkommen – ein Umstand, den viele auf ihr Parteibuch zurückführen?
Whistleblowerin kurzzeitig inhaftiert
Vučić-treue Medien bemühten sich, die Fälle der beiden Raser totzuschweigen, die Staatsanwaltschaft rührte sich nicht. In Serbien, wo unter den Stichworten Organisiertes Verbrechen und endemische Korruption fast täglich Affären ans Licht kommen, gerieten die beiden aufsehenerregenden Verkehrsdelikte bald wieder in Vergessenheit.
Bis vor zwei Wochen ein Polizeibericht an die Öffentlichkeit gelangte. Der besagt, dass Nikola Petrović, aus der Chefetage des staatlichen Energieunternehmens und Vertrauter des Staatspräsidenten, mit Alkohol und Kokain vollgepumpt war, als er mit seinem Sportwagen den Unfall baute und zwei Frauen verletzte. Für eine solche Straftat droht eine Gefängnisstrafe.
Es stellte sich heraus, dass die Whistleblowerin die Polizeibeamtin Katarina Petrović aus der Provinzstadt Valjevo war. Prompt wurde sie festgenommen, während der Freund des Staatspräsidenten nach wie vor auf freiem Fuß ist.
Polizistin schließt sich Protesten in Serbien an
Auf Druck von Tausenden Menschen, die daraufhin vor der zentralen Polizeistation in Belgrad demonstrierten, wurde die Polizeibeamtin später frei gelassen. Allerdings wurde sie suspendiert und gegen sie wird nun ein Disziplinarverfahren wegen Weitergabe von vertraulichen Informationen geführt.
Am vergangenen Donnerstag schlossen sich die Polizistin Petrović und ihr Mann, der ebenfalls Polizist ist, den zivilgesellschaftlichen Massenprotesten "Serbien gegen Gewalt" an, die seit über zwei Monaten in Dutzenden serbischen Städten organisiert werden. Unter anderem geht es bei den Protesten nämlich um Gewalt, die staatliche Institutionen ausüben, denen die Bürger Korruption vorwerfen.
"Ich bin keine Heldin. Ich bin keine Politikerin. Ich bin nur ein Mensch. Ich bin eine von euch.", sagte die Polizistin sichtlich gerührt während des Protestes in Valjevo. Ihre Eltern hätten sie dazu erzogen, für die Wahrheit zu kämpfen, erklärte sie. Ihr Vater pflege auch heute noch zu sagen, dass man alles wieder sauber bekommen könne, nur eine beschmutzte weiße Weste nicht. "Ich wünsche uns ein besseres Serbien für alle Kinder", so beendete sie ihre emotionale Rede und erntete großen Beifall.
Rebellion in der Staatsanwaltschaft
Es kommt mittlerweile immer öfter vor, dass vertrauliche und belastende Informationen über mutmaßlich von Staatsbeamten begangene Straftaten aus dem hermetisch geschlossen System der regierenden Serbischen Fortschrittspartei in die Öffentlichkeit gelangen. Die Opposition spricht im Zusammenhang mit all jenen, die unter Druck stehen zu schweigen, von einer "Befreiung von der Angst vor Strafmaßnahmen".
Auch das Handeln von zwei Staatsanwältinnen zeugt davon. Zu Jahresbeginn beschuldigten sie den Belgrader Generalstaatsanwalt, die von ihnen im Umfeld des staatlichen Energieunternehmens geführten Korruptionsermittlungen einstellen zu wollen. Kurz nachdem sie in dem Fall Haftbefehle erlassen hatten, wurde den Staatsanwältinnen der Fall entzogen. Und wieder gingen die Serben auf die Straße, um die zwei "Heldinnen" im Kampf gegen Korruption zu unterstützen.
Größte Marihuanaplantage in Europa
Die mit Abstand unangenehmste Affäre für Präsident Vučić und seine Leute ist die größte illegale Marihuanaplantage in Europa, die zwei Inspektoren der Belgrader Drogenbehörde im November 2019 auf dem Bio-Gemüsehof "Jovanjica" unweit von Belgrad entdeckt hatten. Die Polizisten Slobodan Milenković und Dušan Mitić sind in Serbien mittlerweile ein Synonym für den Widerstand gegen ein System geworden, das weithin als korrupt gilt.
Wie die beiden im laufenden Prozess vor dem Sondergericht für organisiertes Verbrechen aussagten, wurden sie heftigem Druck ausgesetzt, alles unter den Teppich zu kehren. In den Ermittlungen führe nämlich die Spur von der Cannabisplantage bis zur Staatsspitze, so die Drogenfahnder.
Konkret beschuldigen sie den damaligen Chef des Geheimdienstes und jetzigen Innenminister Bratislav Gašić, persönlich in die Erzeugung von Marihuana involviert gewesen zu sein. Der Staatsanwaltschaft werfen sie vor, die Ermittlungen über die Verbindung von Staatsbeamten zur illegalen Drogenplantage blockieren zu wollen. Gašić ist ein treuer Gefolgsmann von Präsident Vučić. Und der persönlich redete die Affäre bereits mehrmals öffentlich klein.
Der formale Inhaber der Drogenplantage ist unter Auflagen auf freiem Fuß und regelmäßig zu Gast in Medien, die von Vučić kontrolliert werden. Die wiederum stellen die Drogenfahnder Milenković und Mitić als die eigentlichen Kriminellen dar.
Amerikanische Sanktionen gegen serbischen Geheimdienstchef
Dass sich nun sogar die US-Regierung einmischt, zeigt, welche Kreise die Sache zieht. Am vergangenen Dienstag erließ das amerikanische Finanzministerium Sanktionen gegen den Chef des serbischen Geheimdienstes Aleksandar Vulin - und zwar nicht nur, weil er, wie es heißt, "bösartige, russische Aktivitäten ermöglichte, die die Sicherheit und Stabilität des Westbalkans degradierten".
Die USA setzten Vulin auch auf die Schwarze Liste, heißt es in einer Erläuterung, weil er in internationalen Drogen- und Waffenhandel involviert gewesen sei und Korruption befördert habe.
Auch Vulin ist einer der engsten Vertrauten von Präsident Vučić. Bevor er Geheimdienstchef wurde, war er Innen- und Verteidigungsminister. Auf der "Bioplantage" Jovanjica pflückte er vor einiger Zeit vor laufenden Kameras "Biotomaten", um für ökologische Landwirtschaft zu werben. Er will nichts davon gewusst haben, dass geradezu vor seinen Augen Marihuana angebaut wurde.
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MDR (usc)
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 24. Juni 2023 | 07:17 Uhr