Neue SchreibweiseKiew oder Kyjiw: Wie heißt die ukrainische Hauptstadt?
Ab sofort wird im deutschen Amtsverkehr die ukrainische Hauptstadt nicht mehr Kiew sondern Kyjiw geschrieben. Damit kommt das Auswärtige Amt einer langgehegten Bitte der Ukraine nach. Doch warum gibt es diese unterschiedlichen Schreibweisen eigentlich? Was spricht für die Änderung, was dagegen? Und warum ist das überhaupt wichtig?
Inhalt des Artikels:
"Überfällig" nannte Außenministerin Annalena Baerbock die veränderte Schreibregelung, die aus Kiew nun Kyjiw macht. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba reagierte hocherfreut, als seine Amtskollegin diese Änderung auf ihrer Ukrainereise zum zweiten Jahrestag des großangelegten Angriffskrieges verkündete: "Wir haben viele Jahre dafür gekämpft, dass die Ukraine nicht durch die russische Sprache betrachtet wird", so Kuleba. "Ich danke allen, die für geschichtliche Gerechtigkeit kämpfen – auch in kleinen Details."
Der Ursprung der Debatte um die verschiedenen Schreibweisen ist die so genannte Transliteration, also das Übertragen eines Namens aus einer Schrift in eine andere, in diesem Fall aus der kyrillischen in unsere lateinische Schrift. Nun ist es so, dass die ukrainische Hauptstadt auf Ukrainisch mit anderen Buchstaben geschrieben wird als auf Russisch. Auf Ukrainisch "Київ", auf Russisch "Киев".
Entsprechend anders sieht dann auch die Transliteration aus, erklärt die Historikerin Corinne Geering vom Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO): "Der wichtige Punkt liegt in der Mitte: Und da orientiert man sich bei einer Umschrift wie Kiew, also mit e, an der russischen Variante, und wenn man sich an der ukrainischen orientiert, dann kann man das mit y-j-i machen oder mit y-i, je nachdem. Aber das sind dann eher Fragen der Konvention der Umschrift."
Mit dem Angriffskrieg wichtig geworden
Als die Ukraine noch Teil der Sowjetunion oder – noch früher – des russischen Imperiums war, hat sich niemand daran gestört, dass die russische Schreibweise zugrunde gelegt wurde und im Deutschen Kiew geschrieben wurde. Dabei blieb man aus alter Gewohnheit auch nach der Unabhängigkeit der Ukraine.
Doch im Lichte des russischen Angriffes auf die gesamte Ukraine, ihre Sprache und ihre Kultur, ist diese Frage politisch brisant geworden, sagt Geering: "Man kann also dadurch, dass man Kyjiw schreibt, zum Ausdruck bringen, dass man sich an der Schreibweise der unabhängigen Ukraine und dementsprechend nicht an der Schreibweise wie sie aus dem russischen Imperium oder aus der Sowjetunion heraus praktiziert wurde, orientiert." Schließlich will Russland nicht nur den Staat Ukraine von der Landkarte tilgen, sondern auch seine Kultur und Geschichte und auch seine Sprache vernichten.
Stammt der Name "Kiew" aus dem Mittelalter?
Der Kulturgeograf Peter Jordan hingegen argumentiert im Gespräch mit dem Medien-Blog Übermedien, dass sich die Bezeichnung Kiew nicht auf die russische Bezeichnung der ukrainischen Stadt beziehe, sondern ihren Ursprung im Mittelalter habe. Damals gab es weder Russland noch die Ukraine noch die dazugehörigen Sprachen in der heutigen Form, doch Kiew/Kyjiw war bereits ein wichtiger Ort. Es war die Hauptstadt eines Großreiches, das heute unter dem Namen alte Rus oder eben Kiewer Rus bekannt ist, und das ungefähr von 880 bis 1240 existierte. In diesem Reich wurden viele Sprachen gesprochen, unter anderem Altkirchenslawisch. "Damals war Kiew so bedeutend, dass es auch im deutschen Sprachraum rezipiert wurde. Dort hat man diesen Namen (…) übernommen", sagt Jordan im Gespräch mit Übermedien. Dies sei eine häufige Entstehungsweise von solchen Fremdbezeichnungen: Die Bezeichnung der Einheimischen werde übernommen und mit der Zeit der eigenen Sprache angepasst.
Sprachliche Gewohnheiten ändern sich nur langsam, gerade, wenn sie schon lange etabliert sind. Für viele Menschen ist eine von heute auf morgen geänderte Schreibweise irritierend. Deshalb wollen viele Medien – unter anderem der MDR – zunächst einmal bei der alten Schreibweise bleiben, um eine leicht verständliche Sprache zu pflegen, die allen zugänglich ist.
Eine sprachliche Geste für die Ukraine
Im Kern der Debatte steht also die Frage, ob man zu dieser sprachlichen Geste der Ukraine gegenüber bereit ist oder lieber alles beim Alten lassen möchte. Der ukrainische MDR-Ostblogger Denis Trubetskoy bevorzugt die Bezeichnung Kyjiw für seine Heimatstadt. Er hält die Geste der Bundesregierung für absolut richtig, wenn auch etwas verspätet: "Der Ukraine wird durch Russland gerade offen das Existenzrecht abgesprochen. Vor diesem Hintergrund ist das ein überfälliges Zeichen des Respekts für die unabhängige Ukraine, für die Sprache und die Kultur der Menschen hier. Und außerdem ist das ja nicht schwierig zu machen." Trubetskoy will die Frage der Schreibweise aber auch nicht überbewerten: "Im Wesentlichen sollte es um das Überleben der Ukraine gehen. Und dazu brauchen wir vor allem Hilfe, Waffen und Munition."
Übrigens: Der Duden erkennt ganze vier Schreibweisen der ukrainischen Hauptstadt an: Kyjiw, Kyiv, Kyïv und Kiew.
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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 24. Februar 2024 | 21:09 Uhr