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Franziska Ferber: Klärt über das Tabu "ungewollte Kinderlosigkeit" auf. Bildrechte: Lisa-Marie Schmidt

"Babytourismus" in TschechienInterview Franziska Ferber: Tabuthema "ungewollte Kinderlosigkeit"

17. Oktober 2020, 18:00 Uhr

Franziska Ferber hatte einen klaren Lebensentwurf: Mann, Kinder, Haus und Hund. Doch mit 30 Jahren wird ihr klar: Ganz so einfach wird sich dieser Entwurf nicht erfüllen lassen. Trotz Kinderwunschbehandlung wird sie einfach nicht schwanger. Sie und ihr Mann müssen einen Weg finden, mit der Kinderlosigkeit umzugehen. In ihrem Buch "Unsere Glückzahl ist die Zwei" beschreibt Ferber den Weg, der sie aus der Verzweiflung über die Kinderlosigkeit führte.

Frau Ferber, wie ist Ihre Geschichte?

Ich habe meinen Mann kennengelernt, nach ein paar Jahren wurden wir ein Paar und haben relativ zackig gesagt: So, wir gründen eine Familie. Wir sind relativ fröhlich und zuversichtlich gestartet. Doch nach der Hochzeit stellten wir fest: Es passiert gar nichts in Sachen Schwangerschaft. Wir sind dann sehr schnell in eine Kinderwunschklinik gegangen, weil wir dachten: Wenn wir Hilfe brauchen, dann brauchen wir die eben. Wir sind sehr handfeste, sehr schnell entschlossene und sehr bodenständige Menschen. Die Ärzte sagten damals: Ja - ihr werdet Unterstützung brauchen, aber wir können Euch helfen. Wir fanden es zwar schade, dass es auf natürlichem Weg nicht klappen konnte, waren aber bereit, den Weg auf uns zu nehmen. Dann ist der erste ICSI-Versuch katastrophal gescheitert, der zweite ebenso und beim dritten war uns dann schon klar, dass es möglicherweise mit einem Kind nichts mehr wird.

Während des letzten Versuches bin ich ohnmächtig geworden, sehr schwer gestürzt und musste in eine Klinik. Und das war der Moment, wo uns dämmerte: Die Belastung ist anscheinend so groß, dass wir den Weg so nicht weitergehen können. Ab da mussten wir uns damit auseinandersetzen, wie ein Leben ohne Kind aussehen kann und wie wir trotzdem glücklich werden können.

Wie haben Sie das hinbekommen, die Vorstellung zu akzeptieren: Wir bleiben ohne Kind?

Es ist ja keine Entscheidung, die man mit einem Fingerschnipsen trifft und dann ist alles gut und easy. Ich erinnere mich, dass mein Mann an meinem Krankenhausbett saß und mich fragte, ob ich mir sicher wäre, dass wir weiter dieses hohe Risiko tragen möchten.  Also uns gefährden für ein Kind, das es ja de facto noch gar nicht gibt und das, wo die Chancen doch so schlecht sind.

Das hat eine ziemlich große Erleichterung in mir ausgelöst, da ich für mich schon ahnte, dass es diesen Weg geben könnte. Aber ich wollte meinem Mann nicht den Traum vom Kind nehmen – und als er diese Möglichkeit dann von sich aus ansprach, war es für mich sehr erleichternd.

Dann begann die Zeit des Abschiednehmens. Es hat dann schon ein paar Jahre gedauert, bis mir klar wurde, dass es gar nicht um einen Abschied geht, weil ein Abschied ja irgendwann abgeschlossen ist. Wir würden aber ein Leben lang kinderlos bleiben. Es ist wohl eher ein "Lebe wohl".

Wir dachten erst, wir bräuchten vielleicht nur ein neues Hobby, eine neue Beschäftigung. Und auch das hat eine Weile gedauert, bis wir gemerkt haben: Es geht hier nicht um einen Zeitvertreib – hier geht es um Sinn und um eine Aufgabe, denn ein Kind wäre ja auch nicht nur ein Zeitvertreib gewesen. Und als wir verstanden haben, dass es um etwas Größeres geht – also um Sinn und Aufgabe und um ein Lebenskonzept – da lag es immer noch nicht auf der Hand, aber wir hatten eine Richtung, in die wir gehen konnten. Und diese Richtung haben wir verfolgt – und das tun wir bis heute, indem wir immer wieder schauen: Wie kriegen wir Fülle in unser Leben, wie kriegen wir Zufriedenheit in unser Leben – trotz Allem.

Und wie kriegen Sie das?

Wir haben sehr tief in uns hineingehört. Jeder für sich, aber auch als Paar. Wir haben sehr genau geschaut: Was haben wir uns eigentlich von dem Leben mit Kind versprochen? Was haben wir gedacht, wie es dann ist? Welche Träume hätten wir denn gelebt mit Kind? Und ein Teil war für mich tatsächlich der Hund. Ich habe immer gedacht: Wenn ich Kinder habe, dann ändert sich für mich die berufliche Situation, dann ist auch Platz für einen Hund. Und dann kam die Frage: Kann der Hund nicht trotzdem kommen, auch wenn kein Kind kommt? Das war der schnelle und leichte Teil. Der schwierigere war die Frage nach einer Aufgabe. Also wem oder was widme ich denn dann mein Leben? Welche Spuren kann ich kreieren? Und daraus ist dann für mich mein heutiger Beruf geworden.

Ich habe gesagt: Ich möchte nicht, dass es Frauen so geht wie mir. Dass sie dieses Gefühl haben, sie brauchen Unterstützung und sie hätten so gern mal jemanden, mit dem sie sprechen können. Jemanden, der das selber erlebt hat. Der einen neutralen Blick hineinbringen kann. Der aber auch Tipps, Tricks, Methoden, Vorgehensweisen an der Hand hat, die helfen können. Und darin habe ich tatsächlich meine Aufgabe gefunden. Ich wollte zum einen über das Tabu "ungewollte Kinderlosigkeit" aufklären – aber vor allen Dingen als Coach Frauen in dieser schwierigen Lebensphase begleiten.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich begleite und unterstütze hauptsächlich Frauen, die unter ihrem unerfüllten Kinderwunsch leiden. Die damit kämpfen, dass sie nicht schwanger werden - die merken, wie der Kinderwunsch in alle ihre Lebensbereiche eindringt. In die Partnerschaft, selbst in den Job, in die Gesundheit, in die Familie, in Freundschaften und die sich zunehmend traurig fühlen.

Mein Ziel ist es immer handfeste, pragmatische, umsetzbare Lösungswege für die Probleme, die die Frauen haben, zu entwickeln. Also, dass sie aus jedem Gespräch, das ich mit ihnen führe, dass sie aus jeder Einheit meiner Online-Kurse rauskommen und sagen: Ok, da habe ich etwas ganz Konkretes in der Hand, was ich tun kann, das mir das Leben erleichtert.

Warum brauchen diese Frauen Unterstützung? Warum ist Ihre Arbeit so wichtig?

Der Kinderwunsch ist ein völliges Tabu-Thema in unserem Land. Es betrifft sechs Millionen Menschen – und keiner spricht darüber. Das heißt, wenn ich selber eine Betroffene bin, habe ich sehr wenige Gesprächspartner. Im besten Falle meinen Mann, vielleicht noch eine Freundin.

Ich fühle mich oft völlig alleine, fühle mich isoliert. Gleichermaßen geht es beim Kinderwunsch um etwas Existenzielles – nämlich eine Familie zu werden. Und wenn alle Anderen das schaffen und man selber nicht, fängt man an zu zweifeln und zu verzweifeln. Und immer und immer trauriger zu werden. Und das ist der Moment, wo Hilfe und Unterstützung angeraten ist. Weil diese Trauerspirale immer schlimmer wird.  Und da alleine wieder herauszukommen, ist schwer. Ich glaube, an der Stelle kann Unterstützung sehr gut helfen.

Wie funktionieren Ihre Coachings?

Als ich mich damals selbstständig gemacht habe – vor bald fünf Jahren – da habe ich gedacht, ich miete ein Büro und schaffe dieses Coaching-Angebot für Münchnerinnen und das Einzugsgebiet. Und nun bin ich ganz selten im Büro – sondern arbeite zu 90 Prozent übers Telefon und Skype. Außerdem habe ich mehrere Online-Coaching-Kurse, die aus mehreren Lektionen bestehen, die ich aber individuell begleite. Das heißt, ich tausche mich mit jeder Frau, die einen solchen Kurs absolviert, nach jeder Lektion aus – es gab eine Hausaufgabe, die schreibt sie mir. Dann gucke ich da drüber. Oft merke ich, dass die Frauen schon eine Ecke weiter gekommen sind – manchmal braucht es noch einen Schubser – manchmal einen alternativen Dreh – aber 90 Prozent meiner Arbeit laufen über Telefon, Skype und die Online-Coaching-Kurse.

Ab wann sollte eine Frau aus Ihrer Sicht ihren Traum vom Kind aufgeben?

Viele in meiner Generation sind mit dem Satz aufgewachsen: Wenn Du dich genug anstrengst, kannst du alles schaffen. Das ist per se ja auch richtig. Auch in die Kinderwunschzeit sollte man am Anfang mit diesem Mantra einsteigen. Keiner setzt sich freiwillig die ganzen Spritzen – keiner unterzieht sich freiwillig einer Punktion. Da lohnt es sich natürlich schon, sich für sein Ziel anzustrengen. Zum Problem wird es, wenn diese Anstrengung sich nicht lohnt – also man nicht schwanger wird. Dann tendiert man dazu zu glauben, sich noch mehr anstrengen zu müssen. Dann sucht man mehr oder weniger aufgeregt und angstgetrieben nach der Nadel im Heuhaufen.

Ich habe in der Situation immer gedacht: Irgendein Baustein im Schwangerwerden fehlt noch und habe deshalb alles ausprobiert, was der Markt hergibt, ohne dass ich meinem Ziel näher gekommen wäre.

Ich glaube, es gibt für viele einen Zeitpunkt, an dem sie nur noch monothematisch aufgestellt sind: Wenn ich nicht mehr in den Urlaub fahre, weil ich denke, ich könnte schwanger werden, wenn ich nicht mehr auf private Feste gehe, weil ich Sorge habe, dass meine Freunde verkünden, dass sie schwanger sind, und ich denke, ich halte das nicht aus.

Ich glaube auch, dass man achtsam mit sich sein muss, wenn man merkt, dass sich alles nur noch um den Kinderwunsch dreht, bei gleichzeitig sich mehrenden Anzeichen der Enttäuschung.

Wenn also die Lebensqualität und die Lebensfreude nicht mehr da sind und sie komplett dem Kinderwunsch untergeordnet werden, dann glaube ich, ist ein Zeitpunkt erreicht, an dem man zumindest mal darüber nachdenken könnte, ob das noch der richtige Weg ist.

Wie funktioniert Ihre Strategie im Alltag?

Es ist immer abhängig von der Tagesform. Wenn ich schlecht geschlafen und den Kopf voller Dinge habe, dann passiert mir es schon manchmal, dass ich eine glückliche Familie beobachte und denke: Ach – so hätte das für uns auch sein können. Und natürlich bleibt da ein Stich im Herzen. Aber es ist nicht mehr so, dass es mich fassungslos macht und hoffnungslos macht – sondern dass ich denke: Ok – das hatten wir uns vorgestellt – und inzwischen kriege ich es fast immer hin, dass ich die Perspektive wechsele und sage: aber unser Leben heute haben wir uns zwar sehr mühsam – aber auch sehr glücklich zusammengepuzzelt. Und wir trauen uns heute Dinge, die wir uns früher nie getraut hätten. Also: Aus der Kinderlosigkeit ist oft auch eine Kinderfreiheit geworden.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Heute im Osten - Reportage | 17. Oktober 2020 | 18:00 Uhr