Teenager vor einer Schule
Warum gehen in Chemnitz besonders viele Schüler ohne anerkannten Abschluss von der Schule ab? Die Frage streift viele Problem-Bereiche. (Symbolfoto) Bildrechte: imago/CHROMORANGE

Kein Schulabschluss Warum sticht Chemnitz so hervor?

28. März 2024, 05:00 Uhr

Knapp jeder siebente Schüler hat in Chemnitz 2022 die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen. Das liegt weit über dem sachsenweiten Durchschnitt und fast doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt. Warum sticht Chemnitz so hervor? Die Antwort fällt vielschichtig aus.

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Im Abschlussjahrgang 2022 sind in Sachsen 8,1 Prozent der Schülerinnen und Schüler ohne anerkannten Hauptschulabschluss von der Schule gegangen - insgesamt rund 2.700 junge Menschen. Während die Quote im Landkreis Meißen 6,6 Prozent betrug, lag sie in Chemnitz mehr als doppelt so hoch bei 14 Prozent. Das zeigen Zahlen des Statistischen Landesamtes Sachsen.

Ursachensuche in Chemnitz

"Die hohe Zahl an Schulabgängern ohne Abschluss in der Stadt Chemnitz im Schuljahr 21/22 ist nicht wirklich zu erklären", sagt die stellvertretende Sprecherin des Landesamtes für Schule und Bildung (Lasub), Petra Nikolov, auf Nachfrage von MDR SACHSEN. Könnten besonders viele Kinder aus Migrationsfamilien betroffen sein oder Förderschüler, die gar keinen Abschluss erreichen können, wie Bildungsforscher aus den Zahlen lesen? Lehrermangel, Unterrichtsausfall? "Ursachen könnten einzelne oder alle diese im Konglomerat sein, das liegt allerdings im Reich der Spekulationen", meint Nikolov.

Die Bildungsgewerkschaft GEW Sachsen schließt für die Statistik von 2022 aus, dass Kinder aus ausländischen Familien in Chemnitz besonders häufig ohne Abschluss blieben. "Der Migrationsanteil ist in Leipzig und Dresden auch nicht anders als in Chemnitz", sagt die Vizevorsitzende der GEW, Claudia Maaß. Auch ukrainische Schüler zählten nicht, weil diese Schülergruppe in dem Jahr noch nicht berücksichtigt wurde.

Lehrermangel, Ausfälle: Besonders viele Lücken in Chemnitz

"Wir haben aber in Chemnitz besonders große strukturelle Probleme: Lehrermangel und Unterrichtsausfälle waren und sind enorm hoch", so Maaß. Teilweise müssten Lehrerinnen und Lehrer auch zu Prüfungen an andere Schule gehen, weil dort Lehrkräfte fehlten. Laut GEW ist auch der Krankenstand hoch, so dass Klassen zusammengelegt oder vergrößert würden.

Außerdem habe Chemnitz die meisten Förderschüler im Vergleich zu allen anderen Regionen in Sachsen. Dies zeige die Statistik, so Maaß weiter. Warum, wisse sie nicht.

Wenn an Förderschulen die Jugendlichen keinen Hauptschulabschluss schaffen oder er für sie nicht vorgesehen ist, verlassen sie diese Schulen ganz regulär und sind Teil der Statistik. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern gibt es besonders viele Förderschüler.

In Sachsen funktioniert Inklusion nicht, wie sie sollte, weil seit Jahren die Rahmenbedingungen dafür fehlen.

Claudia Maaß Lehrerin an einer Oberschule und GEW-Vizevorsitzende

Blick auf die Förderschulen

"In Sachsen funktioniert Inklusion nicht, wie sie sollte, weil seit Jahren die Rahmenbedingungen dafür fehlen", kritisiert die GEW-Sprecherin. Für kleine Klassen und individuelle Förderung der Schüler an Oberschulen fehle Personal. Schüler würden an Förderschulen versetzt oder sich dafür entscheiden, wo sie laut Claudia Maaß aber nicht hingehörten. Folge: "Wir haben an Förderschulen teils riesige Klassen. Die Lehrer können nicht mehr richtig arbeiten und den Bildungsauftrag nicht erfüllen."

Claudia Maaß weiß von betroffenen Kollegen, dass "sie jeden Tag den Mangel verwalten, statt zu gestalten". Der Frust darüber sei groß.

Es rutschen Kinder durch, die unter normalen Umständen einen Abschluss machen könnten.

Claudia Maaß Lehrerin an einer Oberschule und GEW-Vizevorsitzende

Eine einzelne Jacke hängt in einem Klassenraum an einer Garderobe
Abgehängt? Warum gehen gerade in Chemnitz besonders viele Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss von der Schule? Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Klaus-Dietmar Gabbert

Das bestätigt auch Thomas Brewig vom Kreiselternrat Chemnitz. "Es gibt eine relativ hohe Dichte an Förderschülern in der Stadt. Ein Großteil von ihnen beendet die Schulzeit mit Abgangszeugnissen, die keine regulären Abschlusszeugnisse sind. Das ist für Förderschüler unglücklich, weil ihnen das den Berufsstart erschwert", berichtet der Elternvertreter.

Das Landesamt für Schule verweist aber darauf, dass in den meisten Förderschultypen nach Lehrplan der Oberschulen unterrichtet werde und auch Real- und Hauptschulabschlüsse erworben werden könnten. "Im Förderschultyp Lernförderschule stellen sich auf Grund zweier Lehrplanalternativen Möglichkeiten zum Erwerb eines anerkannten Schulabschlusses dar", betont die Behörde und nennt als Beispiele den Hauptschulabschluss im Berufsvorbereitungsjahr oder gleichgestellte Hauptschulabschlüsse ohne das Fach Englisch.

Personelle Ausstattung in Oberschulen

Für Elternsprecher Brewig sind Förderschulen in Chemnitz auch nur ein Teil der Probleme in der Schullandschaft. Wie die GEW verweist auch er auf die Ausstattung der Oberschulen. "Es fehlen wirklich Lehrerinnen und Lehrer. Zudem gibt es viele Seiten- und Quereinsteiger und Schulen in sozial schwierigen Stadtteilen, an denen der Unterrichtsfluss aus verschiedensten Gründen stark leidet. Darüber Zahlen zu finden, ist schwierig."

Mehr Personal - und was ist mit den Eltern?

Mehr Hauptschüler mit Abschlüssen in den Taschen seien aus Sicht der GEW und des Chemnitzer Kreiselternrates nur mit mehr Lehr- und Assistenzkräften, Schulbegleitern und Schulsozialarbeitern zu schaffen. "Um die Mängel auszugeichen, bräuchten wir davon viel mehr", sagt Kreiselternrat Brewig. Denn Schule müsse für Hauptschüler eine Stütze ein. Gerade für jene, deren Eltern ihre Kinder nicht unterstützen könnten oder wollten. "Es gibt die Tendenz, dass manche Eltern weder Vorbild noch Stütze für ihre Kinder sind." Das gebe es aber in allen Schularten - von der Grundschule bis zum Gymnasium, erklärt Brewig.

Es gibt die Tendenz, dass manche Eltern weder Vorbild noch Stütze für ihre Kinder sind.

Thomas Brewig Vorsitzender des Kreiselternrates Chemnitz

Ja, auch die Elternhäuser von Hauptschülern müssten ihren Beitrag leisten, etwa bei Hausaufgaben, mit Nachfragen und Motivation für Schule und den erfolgreichen Abschluss, findet GEW-Gewerkschafterin und Lehrerin an einer Oberschule, Claudia Maaß. Sie hat in den vergangenen Jahren festgestellt, dass Hauptschüler mehr Strukturierungsprobleme und Fehlzeiten haben als noch vor zehn, zwölf Jahren. Zudem gebe es häufiger als früher Probleme mit der Konzentration, Zeiteinteilung und längerfristiger Aufgabenplanung. All das könne im Unterricht inhaltlich schwer kompensiert werden.

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MDR (kk)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 27. März 2024 | 19:00 Uhr

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