Schulabbruch-Quote Förderschüler bislang ohne Abschluss: Feußner erwägt zehntes Schuljahr

24. September 2023, 11:51 Uhr

Sachsen-Anhalt hat die höchste Schulabbrecherquote in Deutschland. In die Statistik fallen besonders viele Schüler von Förderschulen, da sie bislang gar keinen Hauptschulabschluss machen können. Über die Einführung eines zehnten Schuljahres will Bildungsministerin Eva Feußner Abhilfe schaffen. Die Möglichkeiten dazu werden aktuell vom Ministerium geprüft.

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Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) erwägt, ein zehntes Schuljahr für Schülerinnen und Schülern an Förderschulen einzuführen. Dadurch sollen diese die Möglichkeit erhalten, die Schule mit einem Hauptschulabschluss zu beenden. Feußner will dabei möglichst auf sogenannte Kooperationsklassen in Zusammenarbeit mit Sekundarschulen setzen. Das Modell soll sich aber vorrangig an Schüler mit hohen Erfolgsaussichten richten.

In jedem Fall solle sichergestellt werden, dass der Abschluss wirklich gleichwertig sei. "Denn wir wollen keinen Abschluss verschenken, sondern tatsächliche gesellschaftliche Teilhabe im Berufsleben ermöglichen", sagte die Ministerin MDR SACHSEN-ANHALT am Mittwoch am Rande einer Fachtagung für Lehrkräfte in Magdeburg. Bislang handle es sich bei dem Vorschlag allerdings noch um eine Idee, deren Umsetzungsfähigkeit derzeit geprüft werde, teilte das Ministerium im Nachgang mit.

Wir wollen keinen Abschluss verschenken.

Eva Feußner Bildungsministerin von Sachsen-Anhalt

Bisher kein Abschluss an Förderschulen möglich

Hintergrund der Pläne ist die hohe Schulabbrecherquote im Land. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes lag sie 2021 in Sachsen-Anhalt bei 9,6 Prozent, das entspricht fast 1.700 Schülerinnen und Schülern, die die Schule ohne zumindest einen Hauptschulabschluss beendeten. Nirgendwo in Deutschland ist diese Quote höher gewesen.

Weil Schüler an Förderschulen oft auch keinen Hauptschulabschluss machen können, ist ihr Anteil unter den Schulabbrechern besonders groß. Bundesweit kommen laut einer Bertelsmann-Studie daher fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schülern ohne Abschluss von einer Förderschule. In Sachsen-Anhalt waren 2021 sogar 53 Prozent der "Schulabbrecher" Förderschulabgänger. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor.

Das treibt die Abbruchquote in Sachsen-Anhalt nach oben. Denn hier ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die an einer Förderschule unterrichtet werden, noch dazu besonders hoch. Er lag im Schuljahr 2022/23 nach Zahlen des Statistischen Landesamtes bei 5,9 Prozent. In Thüringen waren es dagegen nur 2,7 Prozent und in Bayern den jüngsten veröffentlichten Zahlen aus dem Schuljahr 2021/22 zufolge bei 4,4 Prozent.

Lehrermangel: Schülerzahlen in Sachsen-Anhalts Förderschulen steigen

Eltern von förderbedürftigen Schülern dürfen selbst entscheiden, ob sie ihr Kind an einer Regelschule, wo am Ende die Möglichkeit eines Abschlusses besteht, oder an einer Förderschule anmelden. Behinderte Menschen haben in Deutschland seit 2009 ein Recht auf inklusive Bildung. Wie die Mitteldeutsche Zeitung recherchierte, stieg der Anteil der Schüler an Förderschulen in Sachsen-Anhalt trotzdem bereits das dritte Jahr in Folge wieder an. Dem Bericht zufolge liegt das vor allem am Lehrermangel, durch den die Betreuung von Kindern mit Förderbedarf an Regelschulen oft nicht sichergestellt werden kann.

So sieht das auch Sachsen-Anhalts Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Eva Gerth. Die Wahlmöglichkeit zwischen Regel- und Förderschule sei eher theoretischer Natur, sagte sie MDR SACHSEN-ANHALT am Freitag. "Wenn Eltern an der Regelschule nachfragen und gesagt bekommen, dass es wegen knappen Personals kaum Unterstützungsmöglichkeiten für förderbedürftige Kinder gibt, entscheiden sie sich natürlich für die Förderschule." Wären die Sekundarschulen besser ausgestattet, sähe das anders aus, so Gerth.

GEW begrüßt Idee eines zehnten Schuljahres an Förderschulen

Eva Gerth
GEW-Chefin Eva Gerth würde ein zehntes Schuljahr an Förderschulen begrüßen. Bildrechte: imago images/Christian Schroedter

Die Idee einer zehnten Klasse an Förderschulen begrüßt die GEW-Vorsitzende. "Das ist auf jeden Fall ein Weg in die richtige Richtung." Allerdings nur, wenn diese Klassen dann auch wirklich an den Förderschulen etabliert würden. Ein Wechsel an eine Sekundarschule sei dagegen schwierig. Eine weitere, schon etablierte Möglichkeit sei zudem, den Abschluss über eine Berufsvorbereitungsjahr an einer Berufsschule zu machen, erinnerte Gerth.

Feußner: "Will die Quote nicht kleinreden"

Laut Ministerin Feußner würden auch bereits viele Förderschüler diese Möglichkeit nutzen. "Sie zählen aber zuvor trotzdem erst einmal in die Abbruch-Statistik." Das gelte auch für Sekundarschüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen und ihn später nachholen. "Ich will die Quote aber gar nicht kleinreden", so die Ministerin.

Für den Schulabbruch gebe es viele mögliche Ursachen. Was dem Ministerium dabei auffalle, sei, dass viele Abbrecher eigentlich die Leistungsanforderungen für einen Abschluss erfüllen würden. Warum diese dennoch scheitern, "das müssen wir aufklären", sagte Feußner.

MDR (Daniel Salpius)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. September 2023 | 10:00 Uhr

6 Kommentare

Ralf G vor 32 Wochen

Altlehrer - Ganz sicher wäre das ein erfolgversprechender Weg. Nur leben wir im Deutschland der Bildungsmissere mit permanent fallendem Bildungsniveau.

Ralf G vor 32 Wochen

Die Frage ist letztendlich, verbessert das die Chancen auf eine berufliche Ausbildung, oder ist es mehr ein symbolischer Akt?
Grundsätzlich bin ich für eine gute Bildung der Förderschüler.

Altlehrer vor 32 Wochen

Man könnte das Schulabbrecherproblem ganz einfach lösen. Würde man den lernfähigen Förderschülern und den Schülern im Hauptschulbildungsgang an den Sekundarschulen einen Unterricht an einer Hauptschule mit dafür qualifizierten Lehrern und in kleinen Klassen ermöglichen, wäre die Abbrecherquote schnell halbiert. Was spricht dagegen, wenn es den Kindern nützt?

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