Das Altpapier am 8. Juli 2022Meine, deine, unsere Interessenkonflikte
Wie wirkt es sich auf die Berichterstattung und Integrität einer Redaktion aus, wenn eine Politikreporterin mit dem Finanzminister verheiratet ist? Mit (sich anbahnenden) Interessenkonflikten gehen Medien unterschiedlich um. Manchmal fehlt es an Transparenz. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Inhalt des Artikels:
Eine Politik-Journalismus-Ehe
Wenn ein bekannter Politiker Deutschlands eine bekannte Politik-Reporterin heiraten, ist das auch ein Thema für diese Kolumne: Finanzminister Christian Lindner (FDP) und die Chefreporterin im Politikressort beim Nachrichtensender Welt, Franca Lehfeldt, sind seit gestern Eheleute. Nein, das Altpapier wird nicht zum People Magazin (alle mehr oder weniger interessanten Fakten rund um Outfits, Location, Bussis, etc. lieferte schließlich schon RTL – Lehfeldts ehemaliger Arbeitgeber – im Liveticker). Aber:
"Über die Nähe zwischen Politik und Journalismus in dieser Liaison spricht gerade kaum jemand",
schreibt Veronika Wulf in der Süddeutschen. Na gut, dann tragen wir hier mal den bisherigen Diskussionsstand zusammen. Denn diese Verpartnerung ist definitiv einen zweiten Blick und einige Fragen wert – Stichwort Interessenkonflikt.
Deutschlandfunks Medienmagazin "@mediasres" hat mit Daniel Drepper, Vizechef der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung und Vorsitzendem der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche, darüber gesprochen. Seine Antwort fällt ziemlich klar aus:
"Ja, auf jeden Fall ist das ein Interessenkonflikt und ich kann mir auch wenig deutlichere Interessenkonflikte vorstellen als diesen."
Jegliche Politikberichterstattung, die sich mindestens auf Bundesebene beziehe, ist nach Dreppers Ansicht nicht mehr möglich, weil eine extreme Beeinflussung vorliege. Wenn Franca Lehfeldt mit anderen Politikern spreche, sei nicht klar, ob sie als Ehefrau Lindner oder als Reporterin spreche.
"Welche Informationen gelangen später zu Christian Lindner, die vielleicht eigentlich nur an Franca Lehfeldt als Reporterin gelangen sollten? (…) Es gibt so viele mannigfaltige Interessenkonflikte, dass ich es schon ziemlich extrem finde, dass das bisher nicht gelöst wurde von der 'Welt'."
Bei Welt sieht man offenbar kein Problem durch die Beziehung. Auf Anfrage des Deutschlandfunks und der Badischen Zeitung verwies der Sender auf die Zuständigkeiten seiner Chefreporterin:
"Franca Lehfeldt ist insbesondere für die Union zuständig. Sie berichtet in aller Regel nicht über die FDP oder die Finanzpolitik. Auch wenn sich gelegentlich Überschneidungen nicht vermeiden lassen, können wir hier keinen Interessenkonflikt erkennen. An ihrer Tätigkeit wird sich durch die Hochzeit nichts verändern."
Dass das im Alltag nicht immer so scharf zu trennen ist, zeigte Stefan Niggemeier bereits im Mai bei Übermedien, als er die Rolle Lehfeldts in der Berichterstattung über die FDP genauer in den Blick nahm. Kurz zuvor hatte die Journalistin den Arbeitgeber gewechselt: von RTL/ntv zu Welt.
In der Berichterstattung sei nicht transparent gemacht worden, dass Lehfeldt zu dem Zeitpunkt die Verlobte des FDP-Vorsitzenden war, kritisierte Niggemeier. Auch intern sei die Nähe der neuen Chefreporterin zum FDP-Chef nicht unumstritten.
Als Lehfeldt im vergangenen Herbst durch eine Äußerung Lindners in der Bunten zumindest indirekt Teil des Bundestagswahlkampfes des FDP-Chefs wurde, begrüßte der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Peter Maurer zwar im Gespräch mit "@mediasres", wie transparent die Journalistin (damals noch bei RTL und noch nicht mit Lindner verlobt) und der Politiker ihre Beziehung machten. Insgesamt sei der Fall mit Blick auf ethische Grundsätze aber "ungewöhnlich" und auch "etwas problematisch", zum Beispiel, wenn die Journalistin Friedrich Merz von der CDU interviewe:
"Das wäre schon ein Beispiel, wo ich sagen würde: Hier kann es einen Interessenkonflikt geben. Weil eben beide Parteien, also die Partei ihres Lebenspartners, Christian Lindner, die FDP, und natürlich die CDU, um ähnliche Wählerschichten kämpfen. Und da ist natürlich schon ein gewisser Vorteil, wenn sozusagen der eigentlich objektive Journalist privat im Hintergrund eng verbandelt ist mit dem Parteivorsitzenden der FDP."
Inkonsequent konsequent
Die direkte Berichterstattung über Partnerinnen und Partner, Familie und Freunde ist laut Leitlinie der journalistischen Unabhängigkeit bei Axel Springer eher nicht gewünscht:
"Die Journalisten bei Axel Springer berichten grundsätzlich nicht über nahestehende Personen, insbesondere Familienangehörige, es sei denn, es liegt ein mit dem jeweiligen Vorgesetzten abgestimmter sachlicher Grund vor."
Im Fall der "Bild"-Sportreporterin Lena Wurzenberger, die mit dem Bayern-Trainer Julian Nagelsmann liiert ist, zog Springer vergangene Woche aber die Konsequenzen und nahm die Reporterin aus Berichterstattung über den Verein heraus. So weit, so berufsethisch angemessen.
Angesichts dessen wirkt die Aussage einer Sprecherin von Axel Springer aus dem oben bereits erwähnten Übermedien-Text, die Niggemeier mit einigen Fragen zu einem Interessenkonflikt Lehfeldts konfrontiert hatte, etwas inkonsequent:
"Im Jahr 2022 sollte ein Frau nicht gezwungen sein, aufgrund persönlicher Beziehungen ihre journalistische Arbeit aufzugeben."
Dass im Journalismus bei möglichen Interessenkonflikten unabhängig vom Geschlecht Vorsicht geboten sein sollte, um die Integrität eines Mediums und Einzelner zu schützen, zeigt auch der Fall von Oliver und Bettina Jarasch: Sie war Spitzenkandidatin der Grünen bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin (jetzt Verkehrssenatorin), er war Leiter der "Aktuellen Magazine" des Senders und verantwortete damit die politische Berichterstattung des rbb mit. Auch das sorgte für Diskussionen, auf die der rbb nach einiger Zeit reagierte.
Jaraschs "journalistische Integrität und parteipolitische Unabhängigkeit" stehe außer Frage, erklärte der Sender auf Deutschlandfunk-Anfrage. Doch "um jeglichen Anschein eines möglichen Interessenkonflikts zu vermeiden", sei er nicht mehr im aktuellen, operativen Geschäft tätig. Er baut dem Sender zufolge nun einen neuen Newsroom auf und arbeitet nicht mehr inhaltlich.
Dabei müssen wir auch gar nicht so tun, als sei der Journalismus vollends frei von Interessenkonflikten. Gerade in Zeiten prekärer Arbeitsverhältnisse und Kommerzialisierung von Journalismus, angesichts von Nebentätigkeiten für Unternehmen oder Ministerien stellt sich die Frage, inwiefern Medienmenschen überhaupt vollends neutral sein können. Spoiler: gar nicht. Das Zauberwort für bestmögliche Voraussetzungen, damit Leser/Hörerinnen/Zuschauer/Userinnen sich ein möglichst umfassendes Bild von den Bedingungen machen können, unter denen die Berichterstattung entstanden ist, heißt deshalb nach wie vor: Transparenz.
Altpapierkorb (Untersuchung beim RBB, Bild & AfD, NDR zu Henri Nannen)
+++ RBB hat mit einer Untersuchung gegen die eigene Intendantin Patricia Schlesinger begonnen und prüft parallel rechtliche Schritte gegen die Berichterstattung des Business Insiders, wie die Süddeutsche berichtet. Es geht um den Verdacht von Mauscheleien und Verstöße gegen Compliance-Regeln.
+++ Mit der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel war seit langem mal wieder eine Spitzenpolitikerin der Partei in einem "Bild"-Talk zu Gast. Beim Medieninsider (€) widmet sich Marvin Schade den Fragen, warum Bild-Chefredakteur Johannes Boie die Linie, nicht mit AfD-Leuten zu sprechen, aufgehoben hat und warum das intern für Unruhe sorgt.
+++ Der NDR bleibt bei seinen Berichten über Henri Nannen und weist Forderungen der Familie zurück (zuletzt Thema in diesem Altpapier). Michael Hanfeld fasst die Auseinandersetzung über die Darstellung der NS-Vergangenheit in der FAZ zusammen.
+++ Boris Johnson hat gestern doch noch seinen Rücktritt angekündigt. Jane Martinson schreibt im Guardian darüber, warum die Daily Mail so lange so freundlich über den Premier berichtet hat.
+++ Lohnenswerter Long-Read fürs Wochenende (Englisch): In der Columbia Journalism Review beschreibt der Journalist Jon Allsop, wie er und Andere die Berichterstattung über die Corona-Pandemie aus US-Perspektive erlebt haben. Es geht um die Fehleinschätzungen von Redaktionen und um das, was Journalismus in der Zeit dennoch leisten konnte, um den enormen Organisations- und Rechercheaufwand, um Lehren für die Zukunft...
Neues Altpapier gibt‘s wieder am Montag.
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