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Kolumne: Das Altpapier am 6. März 2024Wie das Zeitungsschrumpfen Populisten hilft

06. März 2024, 10:23 Uhr

Wenn Lokalzeitungen schließen, bekommt die AfD (etwas) mehr Stimmen – so das Ergebnis einer Datenanalyse aus Baden-Württemberg. Außerdem: Sind sich Journalistinnen und Journalisten bei großen Themen zu einig? Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Medienkritik am Einheitsbrei

Ein Plädoyer für mehr Medienkritik steht seit gestern Mittag auf dem Online-Portal der taz – eine schöne Bestärkung für das, was wir Altpapier-Schreiberlinge hier täglich (oder eher nächtlich) tun. Der Autor des Textes ist Fabian Scheidler, Dramaturg und Otto-Brenner-Medienpreisträger von 2009. Er kritisiert in einem Essay die mangelnde Selbstreflexion in deutschen Medien, wobei die längere Version seines Textes erst morgen in der März-Ausgabe der "Monde diplomatique“ erscheinen wird. Seine Beobachtung beschreibt er so:

"Tatsächlich reagieren viele Medienvertreter dünnhäutig auf Kritik, vor allem wenn sie grundlegender Art ist. Strukturelle Kritik, die über einzelne Skandale hinausgeht, wird schnell in die Nähe rechter Verschwörungsideologien gerückt […].“

Die taz-Fassung seines Textes nennt ein ziemliches Sammelsurium von Gründen, warum die Qualität von Journalismus abgenommen habe – von der zunehmenden Konzentration auf dem Print-Markt über die Verstrickung hochrangiger Journalisten in transatlantische Netzwerke bis hin zu einer "militaristischen Schlagseite“ in den Redaktionen. Als Belege führt Scheidler den SZ-Journalisten Heribert Prantl genauso an wie das umstrittene Autorenduo Richard David Precht und Harald Welzer, deren Argumentation er an einigen Stellen übernimmt.

Aus seiner Sicht problematisch ist vor allem eine "Tendenz zum Gruppendenken“ in deutschen Medienhäusern, die Leitmedien hätten geradezu eine "Wagenburgmentalität“ ausgebildet, er sieht das als Reaktion auf die "Lügenpresse“-Vorwürfe. Als aktuelle Belege nennt er die Themen Ukraine und Gaza, bei denen er eine Kluft zwischen öffentlicher Meinung und Medienberichterstattung beobachtet. Auch die Corona-Berichterstattung zieht er als Beispiel heran:

"Zwar gab es einen gewissen Spielraum für Debatten, doch wurden Kritiker bestimmter Regierungsmaßnahmen wie Lockdowns, Schulschließungen und 2G-Maßnahmen von einigen führenden Medien pauschalisierend als 'Schwurbler' oder 'Covidioten' abgetan, selbst wenn sie ernsthafte Argumente ins Feld führten.“

Um zu begründen, warum es im Journalismus an Meinungsvielfalt mangele, zitiert Scheidler Sabine Schiffer, Gründerin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen (weder die Institution noch die Person sind bisher bei uns im Altpapier aufgetaucht):

"Mutiges Anschwimmen gegen den Strom sei heute wesentlich schwieriger, Karriere würden vor allem Opportunisten machen.“

Belege für diese Beobachtung nennt der Text leider nicht. Auch sonst scheint mir in der Argumentation vieles schwammig – womöglich liegt das daran, dass es sich um eine gekürzte Fassung handelt.

Gerne weniger "übliche Verdächtige“

Nun möchte ich den Vorwurf mangelnder Kritikfähigkeit in den Medien nicht kontern, indem ich jede Kritik reflexhaft abwehre. Selbstreflektion tut Redaktionen immer gut, wobei meine These ist, dass schon sehr viel reflektiert wird, diese Prozesse aber nicht immer transparent nach außen getragen werden – Stichwort Fehlerkultur. Bei Kress hat Markus Wiegand letzte Woche ein paar schöne Beispiele genannt, welche Medien gerne andere wegen mangelnder Transparenz anprangern, auf Presseanfragen dann aber selbst keine Auskunft geben wollen (eine Erfahrung, die ich auch schon oft gemacht habe).

Die These von der "Wagenburgmentalität“ finde ich weniger nachvollziehbar. Auf Anhieb fallen mir eine ganze Reihe von Gegenbeispielen ein, bei denen Medienhäuser nicht zusammenrücken, sondern sich lieber gegenseitig an den Pranger stellen. Dazu zählt die regelmäßige scharfe Kritik von privaten Medienhäusern an öffentlich-rechtlicher Berichterstattung, aber auch investigative Recherchen in anderen Redaktionen, wie zum Beispiel ein aktueller Bericht des "Business Insider“ über das "Handelsblatt“, das einen Redakteur "kaltgestellt“ habe (turi2).

Der Medienjournalismus betrachtet sehr regelmäßig auch strukturelle Ursachen von Berichterstattung und beschränkt sich keinesfalls nur auf Einzelfälle, ob es nun um den richtigen Umgang mit populistischen Parteien, die Finanzierung von gutem Journalismus oder die Gewichtung von Protesten geht. Natürlich könnte Medienjournalismus immer besser sein, wenn er (wieder) mehr Ressourcen hätte, aber das gilt für alle Ressorts.

Trotzdem kann ich an anderer Stelle mit dem Vorwurf, die Berichterstattung sei zu einheitlich, etwas anfangen. Woran es aus meiner Sicht weiterhin mangelt, ist die gelebte Überzeugung in Medien-Chefetagen, dass Perspektivenvielfalt nicht nur als PR-Schlagwort taugt, sondern Berichterstattung tatsächlich besser macht. Und damit meine ich nicht nur die viel diskutierte Diversität in Redaktionen, sondern eine grundlegendere Frage: Wessen Themen und Thesen bekommen wie viel Raum? Welche Stimmen bekommen wir immer noch zu selten zu hören – auch weil es mühsamer ist, sie zu finden? Wenn diese "seltenen“ Stimmen dann vorkommen, dann oft gelabelt als "wir horchen heute mal bewusst in diese Gruppe hinein“ (was gleichzeitig dazu führt, dass diese Gruppen sich auch als Mediennutzende nicht angesprochen fühlen, ob es nun um junge Menschen, migrantische Communities, Bürgergeldempfänger oder Handwerkerinnen geht).

Guten Input zu dem Thema liefert das Bonn Institute, das sich für konstruktiven Journalismus einsetzt. Demzufolge hat perspektivenreiche Berichterstattung auch damit zu tun, komplexe Themen nicht übermäßig zu vereinfachen, indem man sie auf zwei Meinungen, Optionen oder Pole reduziert:

"Unsere Welt ist nicht schwarz-weiß und die wenigstens Menschen haben radikale Meinungen. Diese Grautöne – oder bunten Farben – mit abzubilden, ist Aufgabe von Journalismus, wenn er nicht zur weiteren Polarisierung unserer Gesellschaft beitragen will. Wie funktioniert das praktisch? Zum Beispiel durch Visualisierungen und das Arbeiten mit Daten. Oder, indem wir systemisches Denken in unsere Recherche mit einbeziehen: Wer ist noch betroffen – abseits der 'üblichen Verdächtigen'? Wenn wir es schaffen, binäres Denken im Redaktionsalltag zu reduzieren, schaffen wir es auch das Problem der False Balance – also der falschen Ausgewogenheit verschiedener Positionen – zu vermeiden.“

Sich das immer mal wieder und bei jedem Thema neu in Erinnerung zu rufen, kann Journalismus nur besser machen. Je mehr Vielfalt, desto weniger Wagenburg, würde ich sagen.

Ohne Lokalzeitung mehr AfD-Stimmen

Worüber Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich sehr viel lieber sprechen und schreiben als über Mängel in der eigenen Berichterstattung: Studien, die belegen, wie wichtig Journalismus für Demokratie, Gesellschaft und das große Ganze ist. Gute Gelegenheit dazu bietet eine Masterarbeit, über die heute die Kontext-Wochenzeitung erstmals berichtet.

Die These, dass weniger Lokaljournalismus zu mehr Populismus führt, ist oft genannt worden und wird in der Regel mit Studien aus den USA unterfüttert. Nun gibt es einen ersten Anhaltspunkt auch aus Deutschland: Der Journalist Maxim Flößer hat in seiner Masterarbeit an der Uni Stuttgart untersucht, ob die AfD in Orten ohne eigene Tageszeitung erfolgreicher ist. Dafür hat er sich die Ergebnisse von 1.100 Gemeinden bei der Landtagswahl 2021 angeschaut. Das Ergebnis laut der von Kontext verschickten Pressemitteilung:

"Knapp 900 [Gemeinden] hatten eine Lokalzeitung, etwa 200 nicht. Der Abgleich der Ergebnisse der Landtagswahl 2021 in den einzelnen Kommunen ergab den signifikanten Zusammenhang: In Kommunen ohne Lokalzeitung bekam die AfD durchschnittlich 12,08 Prozent, in Kommunen mit Lokalzeitung 10,49 Prozent.

In einem zweiten Schritt hat Flößer dann den Einfluss von weiteren Faktoren herausgerechnet, darunter Wirtschaftsstärke, Arbeitslosenquote und Migrationsanteil.

"Dann betrug der Unterschied noch 0,6 Prozentpunkte. Das mag gering erscheinen, die Arbeit zeigt jedoch erstmals auf Grundlage wissenschaftlich erhobener Daten, dass der Faktor Lokalzeitung zu den vielen Faktoren, die das Wahlverhalten beeinflussen, berechenbar dazugehört.“

Der dazugehörige "Kontext“-Artikel steht hier. Darin weist der Autor selbst darauf hin, dass seine Untersuchung weitere Fragen aufwirft, die in einer umfassenderen Studie geklärt werden sollten.

Was die Analyse aber schon einmal hervorhebt: In der Frage, ob Menschen Berichterstattung vertrauen oder nicht und wie sie Demokratie wahrnehmen, spielt guter Lokaljournalismus eine zentrale Rolle. In Diskussionen über Journalismus und Medienvertrauen wird das immer wieder unterschätzt. Maxim Flößer schreibt in seinem Artikel:

"Bis heute genießt laut diverser Studien die Lokalpresse in Deutschland das höchste Vertrauen unter den Zeitungen und gilt als das wichtigste Medium, um sich über Lokales zu informieren. Insgesamt wird Lokalzeitungen dadurch eine wichtige Rolle für die Demokratiezufriedenheit attestiert.“

Um noch einmal auf den Anfang dieses Altpapiers zurückzukommen: Die großen Anbieter von Medienjournalismus konzentrieren sich aus naheliegenden Gründen vor allem auf die überregionalen Leitmedien. Lokaljournalismus taucht eher im Zusammenhang mit Stichworten wie Finanzierung und Förderung auf und wird selten inhaltlich kritisiert. Für die Glaubwürdigkeit von Medien insgesamt wäre es vielleicht ganz gut, wenn das öfter passieren würde. Auch unser Altpapier stützt sich auf Links von den großen Medienhäusern und nennt selten mal ein Beispiel aus der Lokalpresse – und somit schließt dieser Text heute passend zum Thema mit Selbstkritik.


Altpapierkorb (Rechtschreibung, Rundfunkkommission, Deutsche Welle, Satellitenprojekt, ARD-Dokus, Teletext)

+++ Hasnain Niels Kazim ärgert sich in der SZ darüber, wie oft Journalistinnen und Journalisten seinen Namen falsch schreiben – passend zur schon im Altpapier erwähnten Übermedien-Kolumne von Samira El Ouassil mit ähnlicher Kritik.

+++ Welche Reformen die Rundfunkkommission für die öffentlich-rechtlichen Sender zeitnah ins Auge gefasst hat, lässt sich in der FAZ nachlesen. Helmut Hartung berichtet über den Fragenkatalog, den die Medienpolitikerinnen und -politiker bei der Finanzkommission KEF eingereicht haben: Sie soll in einem Sondergutachten ermitteln, wie viel Sparpotenzial die genannten Punkte jeweils haben. Erwähnt werden unter anderem ein konsequenter Personalabbau, weniger TV-Spartenkanäle, mehr Zusammenarbeit zwischen den Sendern, Mantelprogramme bei der ARD, eine Zusammenlegung der beiden Standorte des Deutschlandradios und weniger Sportberichterstattung.

+++ Die Deutsche Welle verliert ihre Sendelizenz in Venezuela – nach einer Reportage über Korruption hat Staatschef Nicolás Maduro sie als "Nazi-Medium“ beschimpft (Spiegel online).

+++ In Russland, Belarus und den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine soll die DW dafür wieder empfangbar sein – Reporter ohne Grenzen hat ein Satellitenprojekt gestartet, um diese Gebiete mit unabhängigen Informationen zu versorgen, darunter auch mit YouTube-Kanälen von russischen Exilmedien.

+++ Die SZ empfiehlt als Aufmacher auf ihrer Medienseite eine ARD-Doku darüber, wie in Aserbaidschan deutsche Politiker als Wahlbeobachter Schampus und Kaviar schlürften und dem Land anschließend freie Wahlen bescheinigten.

+++ Die FAZ empfiehlt als Aufmacher auf ihrer Medienseite eine ARD-Doku über die Unterwasser-Welt in Grönland und hat die Kamerafrau Christina Karliczek Skoglund dazu interviewt.

+++ Beim Stichwort "Kurznachrichtendienst“ denken viele an Twitter bzw. X, dabei gibt es ein viel älteres Angebot: Der Teletext verzeichne weiter "stabile Nutzungszahlen“, meldet Alexander Krei auf DWDL.

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.