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Sabine Bergmann-Pohl 1990. Bildrechte: Bundesarchiv

Die letzte DDR-RegierungSabine Bergmann-Pohl: Präsidentin der letzten Volkskammer

05. April 2021, 05:00 Uhr

Damit ist Sabine Bergmann-Pohl in die Geschichte eingegangen: Als Volkskammerpräsidentin verkündete sie den Beschluss der DDR-Regierung über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zum 3. Oktober 1990. Nach der Wiedervereinigung arbeitete sie als Politikerin daran, Vorbehalte zwischen Ost und West abzubauen.

von Michael Graupner

Das letzte Staatsoberhaupt eines untergegangenen Staates zu sein, klingt mehr nach einer Bürde als nach einer Auszeichnung. Die Lungenfachärztin Sabine Bergmann-Pohl muss seit 1990 damit leben. In Eisenach geboren, in Ostberlin aufgewachsen, läuft die deutsch-deutsche Teilungslinie direkt durch ihre Familie: Die Schwester und die Großeltern leben im Westen Deutschlands beziehungsweise Berlins. Die Familie zusammenzuführen, das scheitert am Unwillen des Vaters. Der ist Oberarzt eines großen Ost-Berliner Krankenhauses und will seine Position nicht gefährden.

Jüngste Klinikchefin der DDR

Aber er führt seine Tochter an die Medizin heran und hilft ihr, DDR-Hürden zu umgehen: Weil Bergmann-Pohl der Arbeiter-und-Bauern-Hintergrund fehlt, wird sie zunächst nicht zum Studium zugelassen. Ihr Vater verschafft ihr aber einen Praktikumsplatz in der Berliner Gerichtsmedizin. Zwei Jahre später kann sie ihr Medizinstudium an der Berliner Humboldt-Universität beginnen. Sie absolviert eine Ausbildung zur Fachärztin für Lungenkrankheiten, promoviert und wird 1980 die jüngste Klinikchefin der DDR.

Ihr wird nahegelegt, Mitglied der SED zu werden. Sie lehnt ab, tritt stattdessen in die CDU ein, eine der sogenannten Blockparteien der DDR. So habe sie den "Druck von sich nehmen" können, sagt sie später. Die gläubige Christin fängt an, sich für Gesundheitspolitik einzusetzen. Der politische Umbruch in der DDR verändert dann auch ihr Leben weiter: Die Mutter von zwei Kindern ist Stellvertreterin für den Gesundheitsbereich am zentralen Runden Tisch und kandidiert für die Volkskammerwahlen am 18. März 1990.

Eine Frau als letztes Staatsoberhaupt der DDR

Knapp drei Wochen später wählt die Volkskammer der DDR Bergmann-Pohl zu ihrer neuen Präsidentin. Zuvor wurde beschlossen, dass das Präsidium die Aufgaben des Staatsratsvorsitzenden übernehmen sollte. Sabine Bergmann-Pohl wird so zum Staatsoberhaupt des zweiten deutschen Staates und in wenigen Tagen von der Fachärztin zur Berufspolitikerin – mehr aus Pflichtbewusstsein als aus großer Leidenschaft.

Ein halbes Jahr lang leitet sie die oft emotionalen und unberechenbaren Sitzungen der Volkskammer, tritt zahlreiche Auslandsreisen an und begleitet den deutsch-deutschen Einigungsprozess. Am 23. August verkündet sie um 02:57 Uhr den Volkskammerbeschluss über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und schafft damit ihr eigenes Amt ab.

Wollte "Stimme des Ostens" nach der Wiedervereinigung sein

Ihr politischer Wechsel nach der Wiedervereinigung verläuft fließend: Zunächst beruft Helmut Kohl sie als Ministerin ohne Geschäftsbereich in das Bundeskabinett. Von Januar 1991 bis Oktober 1998 ist sie dann Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium.

Schon 1990 erkennt Bergmann-Pohl, dass die größten Schwierigkeiten im "menschlichen Zusammenwachsen" bestehen werden. Darum habe sie die "Stimme des Ostens" in der Bundesrepublik sein und Vorbehalte zwischen Ost und West abbauen wollen. Ihre politische Bürde trägt Sabine Bergmann-Pohl pragmatisch, bis sie 2002 aus dem Bundestag ausscheidet. Von 2003 bis 2007 übernimmt sie die Präsidentschaft des Berliner Roten Kreuzes, dessen Vizepräsidentin sie bis 2012 ist.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Die Staatsmacht, die sich selbst abschaffte. Die letzte DDR-Regierung im Gespräch", erschienen 2018 im © mdv Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale).

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