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Interview"Stalin war ein Meister der Show"

24. Februar 2021, 20:31 Uhr

Nikita Chruschtschow wurde Jahre nach Stalins Tod Generalsekretär der KPdSU und Vorsitzender des Ministerrates. Ein Interview mit seinem Sohn Sergei Nikititsch Chruschtschow, der seinen Vater zu allen Details seiner Amtszeit interviewt hat.

Was war Stalin für Sie?

Stalin war eine Art Gott. Er bezeichnete sich selbst als "Vater des sowjetischen Volkes" und auch wir nannten ihn so. 99,9 Prozent der russischen Bevölkerung glaubten an Stalin und glaubten, dass er der wirkliche Gott ist. Man konnte darüber keine Witze machen. Dann war man schnell sehr weit weg von Zuhause.

Warum behandelte man Stalin wie Gott?

Dazu braucht man einen Showmaster und  Stalin war der Meister der Show. Er hat diesen Kult erschaffen, indem er einfach die Geschichte neu geschrieben hat. Er schrieb seine eigene Biografie und baute sich ein Leben als der Held, der er gerne gewesen wäre. Und er entfernte jeden, der die Wahrheit von seiner Vergangenheit kannte. Ich meine, Menschen, die wussten, dass er während der Revolution oder des Bürgerkriegs keine wichtige Rolle gespielt hatte. Sie wurden hingerichtet. Er ließ jeden entfernen, der von seiner Angst zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wusste.

Wie haben Sie von Stalins Tod erfahren?

Wir wussten, dass es ihm schlecht ging und warteten. Wenn Gott stirbt, weiß man nicht, was kommt. Wird es das Ende der Welt sein oder wird es nur ein neuer Anfang sein oder etwas anderes?

Mein Vater kam gegen Mitternacht nach Hause, setzte sich auf die Couch und sagte, Stalin ist tot. Und blieb ein wenig sitzen. Es war Nacht geworden. Daher war er sehr müde. Er blieb also fünf, zehn Minuten sitzen und sagte dann: "Ich bin so müde, ich werde schlafen gehen." Und ich war wütend, dass er einfach so schlafen gehen konnte, obwohl Stalin gestorben war. Ich ging in einen anderen Raum und versuchte zu weinen. Ich konnte nicht wirklich weinen, aber ich dachte, ich müsste und sollte aus tiefstem Inneren weinen.

Wie kann so etwas passieren, dass Menschen ihren Gefühlen nicht mehr trauen und an die verlogene Propaganda glauben?

Wenn man viele Jahre in einem solchen Terror lebt, ändert man seine Persönlichkeit. Man glaubt  Dinge, die man normalerweise niemals glauben würde. Von denen man nicht einmal denken würde, dass es möglich sei, sie zu glauben. Man glaubt, dass Stalin alles weiß und immer Recht hat. Man muss das glauben. Manche Menschen glauben ehrlich. Andere müssen sich dazu zwingen. Das führt zu einer gespaltenen Persönlichkeit. Die meisten Menschen glaubten wirklich an all diese Lügen.

Sergei Nikititsch Chruschtschow Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Zur PersonSergei Nikititsch Chruschtschow, geboren 1935, ist der Sohn des einstigen KPdSU-Chefs Nikita Chruschtschow. Als Stalin 1953 starb, studierte Sergei Nikititsch Chruschtschow in Moskau Ingenieurswissenschaft.

Er interviewte seinen Vater zu allen Details des Kalten Krieges, zu dessen Tätigkeit als sowjetischer Staatschef und zur Stalinzeit ausführlich. Daraus entstanden mehrere Bücher und Vorlesungen, die er an amerikanischen Universitäten hielt. 1991 siedelte er in die USA über und lehrte Geschichte am Institut für internationale Studien der Brown University in Providence.

(zuerst veröffentlicht am 05.03.2018)

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