Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio

Geschichte

DDRNS-ZeitZeitgeschichteMitteldeutschlandWissen
Flugblatt des Nationalkomitees Freies Deutschland von 1943. Bildrechte: IMAGO / Reinhard Schultz

NKFD und BDOSoldaten gegen Hitler – Widerstand aus sowjetischer Gefangenschaft

23. Juli 2023, 05:00 Uhr

Mit dem Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) und dem Bund Deutscher Offiziere (BDO) entstehen 1943 in der Sowjetunion Organisationen, in denen deutsche Kriegsgefangene in den Kampf gegen Adolf Hitler einbezogen werden. Bei Stalingrad gefangengenommene Offiziere und Generale spielen dabei eine wichtige Rolle. Ihr Ziel ist die Beseitigung Hitlers und die "Rettung Deutschlands".

von Dr. Daniel Niemetz

Am späten Nachmittag des 13. Juli 1943 unterzeichnen in Krasnogorsk bei Moskau 21 deutsche Kriegsgefangene und zwölf Kommunisten das Gründungsmanifest des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD). In dem an das deutsche Volk und die Wehrmacht gerichteten Papier wird dazu aufgerufen, "Deutschland von Hitler zu befreien" und die deutsche Nation zu retten. Der Text stammt von zwei Kommunisten: dem Journalisten Rudolf Herrnstadt und dem Schriftsteller Alfred Kurella. Die Gründung des NKFD erfolgt jedoch auf direkten Beschluss der sowjetischen Führung unter Josef Stalin, wobei deutsche Exil-Kommunisten wie die früheren KPD-Reichstagsabgeordneten Wilhelm Pieck (Berlin) und Walter Ulbricht (Leipzig) maßgeblich eingebunden sind.

Patriotisch und deutschnational

Auszug aus dem Manifest des Nationalkomitees Freies Deutschland, September 1943. Bildrechte: picture alliance / ZB | Bert Breitenbach

Die ursprüngliche Idee für die Gründung eines deutschen "Anti-Hitler-Komitees" unter Beteiligung von Kriegsgefangenen stammt aus der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee. Für sie wiederum ist eine Stalin-Aussage vom Februar 1942 das Initial, der zufolge "die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt". Mit den patriotischen Leitsätzen des NKFD-Gründungsmanifests und den für die Organisation gewählten Farben des Kaiserreichs Schwarz-Weiß-Rot sollen deutschnationale Offiziere und Generale angesprochen werden. Nach dem Untergang der 6. Armee in der Schlacht um Stalingrad herrscht bei vielen der dort gefangengenommenen Wehrmachtangehörigen eine Anti-Hitler-Stimmung.

Aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse haben die Stalingrad-Überlebenden eine klare Vorstellung von der drohenden deutschen Katastrophe, wie es der aus der ostthüringischen Garnisonstadt Altenburg stammende frühere Kommandeur des an der Wolga vernichteten I. Bataillons/Infanterieregiment 29, Major Bernhard Bechler, später beschreibt: "Wenn der Krieg weitergeht, dann droht Deutschland das Schicksal eines riesigen Stalingrads, ein hoffnungsloser Kampf bis zur vollständigen Vernichtung. Also muss der Krieg beendet werden. Und beenden kann ihn nur Hitler – und der wird ihn nicht beenden. Also muss das erste Ziel die Beseitigung Hitlers sein."

Bismarck-Urenkel als Vize-Präsident

Der Bismarck-Urenkel Heinrich Graf von Einsiedel, 1994. Bildrechte: IMAGO / Horst Galuschka

Tatsächlich sind sieben der zwölf an der Gründung des NKFD beteiligten Offiziere in oder bei Stalingrad in Gefangenschaft geraten. Einer von ihnen ist der 21-jährige Leutnant Heinrich Graf von Einsiedel. Der hochdekorierte Jagdflieger (46 Luftsiege) wird Ende August bei Stalingrad abgeschossen. Am 13. Juli 1943 wird er zu einem der Vize-Präsidenten des NKFD gewählt. Als Urenkel des Reichsgründers Otto von Bismarck ist Einsiedel das perfekte Aushängeschild für den deutschnationalen und patriotischen Anspruch des NKFD. Nationale Motive sind für ihn entscheidend, wie er später in einem Interview betont: "Wie wir im Manifest gesagt haben: Wenn wir Hitler nicht stürzen, wird das der Verlust der Souveränität und die Zerstückelung Deutschlands sein. Das waren rein vaterländische, nationale Gedanken. Wir wollten das Deutsche Reich retten, das Bismarck-Reich."

Offiziere lehnen Deserteure ab

Dennoch bleibt die Gründung des NKFD aus Sicht der sowjetischen Führung und der deutschen Kommunisten nur ein halber Erfolg. Der erhoffte größere Zuspruch seitens der bei Stalingrad gefangenen Offiziere und Generale bleibt zunächst aus. Sie lehnen ein Zusammengehen mit Deserteuren im NKFD wie dem aus Chemnitz stammenden Soldaten Heinz Keßler (später DDR-Verteidigungsminister) und anderen Mannschaftsdienstgraden mit "unsoldatischem Verhalten" ab. Erst nachdem einer Generalsgruppe um den ehemaligen Kommandierenden General des LI. Armeekorps der 6. Armee, General der Artillerie Walther von Seydlitz-Kurzbach, zugesagt wird, die Sowjetunion wolle sich für ein Deutsches Reich "in den Grenzen von 1937" einsetzen, wenn es gelänge, "die Wehrmachtführung zu einer Aktion gegen Hitler zu bewegen", ist eine größere Zahl höherer Offiziere und Generale zur Mitarbeit bereit.

Offiziersbund unter Stalingrad-General

General von Seydlitz-Kurzbach (Mitte) zusammen mit dem Oberbefehlshaber der 6. Armee, Paulus (rechts), an der Front vor Stalingrad im Herbst 1942. Bildrechte: IMAGO / KHARBINE-TAPABOR

Am 12. September 1943 schließen sich 95 Offiziere unter der Führung von Seydlitz und weiteren Generalen zum Bund Deutscher Offiziere (BDO) zusammen. Neben der Sorge um die Zukunft des Deutschen Reiches und Volkes werden viele BDO-Mitglieder auch von historischen Argumenten wie etwa den guten deutsch-russischen Beziehungen der Vergangenheit geleitet (z.B. Tauroggen 1812, Rapallo 1922). Am 17. September erfolgt der Anschluss des BDO an das NKFD. Im Vertrauen auf die Zusagen seiner sowjetischen Ansprechpartner unterbreitet Seydlitz den Vorschlag, ein 30.000 Mann starkes Korps zur Absicherung einer neuen deutschen Regierung aufzustellen. Zudem entsteht mit dem Wissen sowjetischer Stellen ein detaillierter Plan über ein Luftlandeunternehmen zur Absetzung der Hitler-Regierung in Berlin.

Aufruf zum Truppenrückzug

Inwieweit die Sowjetführung das NKFD tatsächlich als Kern einer künftigen deutschen Reichsregierung ansieht, bleibt dennoch unklar. Trotz aller Aktionspläne beschränken sich die Wirkungsmöglichkeiten von NKFD und BDO auf die Propagandaarbeit. In einem Aufruf an die Wehrmacht vom 24. September fordern beide Organisationen den Sturz Hitlers und die Rückführung der deutschen Truppen auf die Reichsgrenze. Doch der Appell verfehlt seine Wirkung genauso wie offene Briefe von Seydlitz und anderen Generalen an Truppenführer der Ostfront. Auch die Mehrzahl der deutschen Kriegsgefangenen in den Lagern bleibt NKFD und BDO fern. Grund dafür ist neben der oft schlechten Behandlung auch das dogmatische Vorgehen der meist kommunistischen NKFD-Agitatoren.

Offiziere verlieren an Einfluss

Trotzdem scheint die sowjetische Seite den Offizieren und Generalen zunächst mehr Gewicht beizumessen, als es den deutschen Kommunisten im NKFD lieb ist. Der Berliner Historiker Jörg Morré, der für seine Arbeit über das NKFD intensiv in russischen Archiven geforscht hat, kommt jedenfalls zu dem Schluss: "Im Herbst 1943 jedoch musste die KPD akzeptieren, dass von sowjetischer Seite den Vorstellungen der Offiziere mehr Beachtung geschenkt wurde als den ihrigen."

Der sowjetische Führer Stalin, US-Präsident Roosevelt und Großbritanniens Premier Churchill (v.l.n.r.) während der Teheraner Konferenz, 1943. Bildrechte: IMAGO / piemags

Das ändert sich nach der Teheraner Konferenz der Alliierten vom 18. November bis 1. Dezember 1943. Wohl im Bewusstsein der eigenen wachsenden Stärke und in der Absicht, das Misstrauen der Westalliierten zu besänftigen, setzt die Sowjetführung einen Wechsel in der Propagandaarbeit des NKFD durch. Dabei wird die bisherige Losung "Rückführung der Truppen auf die Reichsgrenze" durch die Parole "Rettung durch Übergang auf die Seite des Nationalkomitees" ersetzt. Für die Mehrzahl der BDO-Offiziere bedeutet dies eine große Überwindung. Dennoch gehen sie auch diesen Schritt mit, wohl der Überzeugung folgend, dass jedes Mittel zur schnellstmöglichen Beendigung des Krieges recht sein möge.

Erfolglosigkeit trotz späten Paulus-Beitritts

Trotz allem bleiben NKFD und BDO durchschlagende Erfolge verwehrt. So gelingt es den BDO-Generalen trotz hohen persönlichen Einsatzes im Februar 1944 nicht, die deutschen Kommandeure im Kessel von Korsun-Schewtschenkowski zur Kapitulation zu bewegen. Stattdessen brechen die deutschen Verbände unter extrem hohen Verlusten aus.

Vernichtete Ausrüstung der deutschen Verbände nach der Schlacht bei Korsun-Schewtschenkowski, Februar 1944. Bildrechte: IMAGO / SNA

Auch die Tatsache, dass nach dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Juni 1944 18 neu gefangengenommene Generale und am 8. August sogar der lange umworbene ehemalige Oberbefehlshaber der 6. Armee, Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, dem NKFD/BDO beitreten, ändert an der mäßigen Erfolgsbilanz nichts. Nachdem der Staatsstreichversuch von Oberst i.G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 scheitert, lässt die Sowjetführung immer deutlicher durchblicken, dass sie die beiden Organisationen für einen Sieg über Hitler-Deutschland nicht länger benötigt. Im Mai 1945 geht das Deutsche Reich – wie es die Gründer von NKFD und BDO gefürchtet hatten – als ein "Riesenstalingrad" in Schutt und Asche unter.

Fehlende Akzeptanz und Selbstauflösung

Für die kämpfende Truppe bleiben Nationalkomitee und Offiziersbund bis zum Schluss "Verräter"-Organisationen und "Handlanger Moskaus". Wo deren Angehörige als Frontpropagandisten auftauchen, wird geschossen. Auch in den Kriegsgefangenlagern sorgen die – allerdings mehrheitlich kommunistischen – Propagandisten des Nationalkomitees für Spannungen. Daran ändert sich auch nach Kriegsende nichts. So erinnert sich etwa der aus Herzberg/Elster stammende Skijäger-Oberleutnant Klaus Ebel später an eine Episode seines Marsches in die Gefangenschaft. Als ein durch eine schwarz-weiß-rote Armbinde an der Uniform erkenntlicher NKFD-Angehöriger die Soldaten der Kolonne freundlich als "Kameraden" anspricht, schlägt ihm aus der Gruppe entgegen: "Wir sind nicht Eure Kameraden, Ihr Verräter!"

Die Geschichte von NKFD und BDO endet schließlich mit der Selbstauflösung der beiden Organisationen im November 1945. Mit dem Ende des Krieges und dem Ende der Frontpropaganda hat die sowjetische Seite kein Interesse mehr an ihrer Weiterexistenz.

Literaturhinweise

  • Das Nationalkomitee "Freies Deutschland" und der Bund Deutscher Offiziere. Hrsg. von Gerd R. Ueberschär, Frankfurt am Main 1996.
  • Morré, Jörg: Hinter den Kulissen des Nationalkomitees. Das Institut 99 in Moskau und die Deutschlandpolitik der UdSSR 1943-1946, München 2001.
  • Müller-Enbergs, Helmut: Das Manifest des NKFD vom 13. Juli 1943. Initiative, Autoren und Intentionen. In: Das Nationalkomitee "Freies Deutschland" und der Bund Deutscher Offiziere, S. 93-103.
  • Niemetz, Daniel: Das feldgraue Erbe. Die Wehrmachteinflüsse im Militär der SBZ/DDR, Berlin 2006, S. 17-46.
  • Scheurig, Bodo: Verräter oder Patrioten. Das Nationalkomitee "Freies Deutschland" und der Bund Deutscher Offiziere in der Sowjetunion 1943-1945, Berlin, Frankfurt am Main 1993.
  • Ueberschär, Gerd R.: Das NKFD und der BDO im Kampf gegen Hitler 1943-1945. In: Das Nationalkomitee "Freies Deutschland" und der Bund Deutscher Offiziere, S. 31-51.