2. Februar 1943Das Ende der 6. Armee im Kessel von Stalingrad
Am 2. Februar 1943 kapitulieren in den Trümmern von Stalingrad die Reste der 6. Armee der Wehrmacht. 110.000 von ehemals 260.000 Soldaten gehen in Gefangenschaft. Zehntausende bleiben auf dem Schlachtfeld. Die NS-Propaganda stilisiert ihren Tod zum "Heldenepos". Doch Hitlers Soldaten sterben sinnlos und elendig – durch Hunger, Kälte, Seuchen und die Waffen eines überlegenen Gegners. Die Schlacht von Stalingrad II: Das Ende im Kessel.
Am Heiligabend 1942 erreicht die Soldaten der 6. Armee im Kessel von Stalingrad die Nachricht, dass die Entsatzoffensive der "Armeegruppe Hoth" zur Sprengung des sowjetischen Einschließungsrings gescheitert ist. Die Erfahreneren unter den "Landsern" wissen, dass ihre Armee mit einer Viertelmillion Mann somit dem Untergang geweiht ist. Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Post aus der Heimat, die die Stimmung aufhellen könnte, gibt es auch nicht. Am 24. und 25. Dezember gelangt wegen schlechten Wetters und dem Verlust wichtiger Absprunghäfen kein einziges Versorgungsflugzeug nach Stalingrad.
Luftversorgung reicht nicht aus
Seit der Einschließung der 6. Armee durch die Rote Armee am 23. November 1942 ist die Luftwaffe stets hinter den großspurigen Versprechungen ihres Oberbefehlshabers, Reichsmarschall Hermann Göring, zurückgeblieben. Statt der zugesagten Mindestversorgungsmenge von täglich 350 Tonnen (600 Tonnen fordert die Armee, 950 Tonnen wären normal), gelangen bis zum 23. Dezember im Schnitt nur 100 Tonnen Sprit, Munition und Verpflegung pro Tag in den Kessel. Die Verpflegungssätze müssen ständig gekürzt werden. Ab dem 8. Dezember erhält jeder Soldat der 6. Armee nur noch 200 Gramm Brot am Tag. Später wird die Brotration auf täglich zwei Scheiben (100 Gramm) gekürzt. Das ist nicht einmal das, was man als "zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel" bezeichnen würde.
Die ersten Hungertoten
Am 21. Dezember registriert die Armee ihren ersten Hungertoten. Am Heiligen Abend werden 64 "Todesfälle" aufgrund der Mangelversorgung an das Oberkommando des Heeres (OKH) gemeldet. Der Chef des Generalstabs des Heeres, General der Infanterie Kurt Zeitzler, der seit Ende November für einen Ausbruch der 6. Armee aus dem Kessel plädiert, ohne sich bei Adolf Hitler durchsetzen zu können, versucht auf die unhaltbare Lage in Stalingrad aufmerksam zu machen. Zeitzler lässt die Hungerration der 6. Armee im Kasino des Heeres-Generalstabs ausgeben. Nachdem er selbst 12 Kilo abgenommen hat, befiehlt ihm Hitler, den "Hungerstreik" zu beenden.
Paulus fordert schnellen Entsatz
Die Angehörigen der 6. Armee fühlen sich Ende Dezember 1942 von der Heeresführung "verraten und verkauft", ja "abgeschrieben". Am 28. Dezember legt Armee-Oberbefehlshaber, Generaloberst Friedrich Paulus, die Option auf einen Ausbruch (Operation "Donnerschlag") wegen der Erschöpfung seiner Soldaten endgültig ad acta. Paulus mahnt das OKH und Hitler, "energische Maßnahmen zum schnellen Entsatz der Armee" zu treffen, "wenn nicht die Gesamtlage zwingt, sie zu opfern".
In seinen Neujahrsgrüßen verspricht Hitler, die "Verteidiger von Stalingrad" bis Mitte Februar zu entsetzen. Auch der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Don, Generalfeldmarschall Erich von Manstein, versichert die "baldmögliche Befreiung" der 6. Armee - wohl wissend, dass das zu dem Zeitpunkt bereits illusorisch ist.
Kampfkraft schwindet rapide
Etwa 220.000 Soldaten gehören der 6. Armee und den angeschlossenen Verbänden Ende Dezember 1942 noch an. Sie verfügen über 539 Geschütze sowie 131 Panzer und Sturmgeschütze. Doch die Kampfkraft schwindet. Vom 1. bis 9. Januar 1943 verschießt die Armee 629 Tonnen Munition. Eingeflogen werden aber nur 48,5 Tonnen. Auch die Tagesrationen sinken weiter. Am 31. Dezember können pro Soldat nur noch 80 Gramm Brot ausgegeben werden. Ein paar Tage später sind es nur noch 50 Gramm (eine Schnitte). Ihre Pferde hat die Armee längst aufgegessen. Jetzt fängt die Truppe an, Hunde zu schlachten, die sich zuvor vermutlich von Ratten und Leichen ernährt haben. Am 6. Januar meldet das Armeeoberkommando (AOK) 6 an das OKH: "Armee hungert, friert, hat nichts zu schießen und kann ihre Panzer nicht mehr bewegen."
Großoffensive der Roten Armee
In dieser Situation fordert die Rote Armee die 6. Armee zur Kapitulation auf. Doch die Armeeführung lehnt ab. Am 10. Januar 1943 beginnt die sowjetische Großoffensive zur Zerschlagung des Stalingrader Kessels. Nach einem beispiellosen Trommelfeuer greifen zwei sowjetische Armeen den Westteil des Kessels an. Schnell gelingen den Sowjets tiefe Einbrüche. Innerhalb von zehn Tagen wird der Kessel auf etwa ein Drittel zusammengedrückt. Was von den getroffenen deutschen Divisionen übrigbleibt, flüchtet nach Osten. Verwundete und Erfrierende versuchen, auf allen vieren die Trümmer von Stalingrad zu erreichen. Sie werden zum Teil von eigenen zurückrollenden Panzern überfahren.
Flugplätze gehen verloren
Am 14. und 16. Januar gehen die Flugplätze Basargino und Pitomnik verloren. Versorgungsgüter können jetzt nur noch über den Behelfsflugplatz Gumrak eingeflogen werden. Dort stürmen Leichtverwundete die ankommenden Maschinen, um einen letzten Flug aus dem Kessel zu ergattern. Mit Zaunslatten gehen die Flugzeugbesatzungen dazwischen. Es gibt Tote und Verletzte. Nachdem am 22. Januar Gumrak und tags darauf auch der Notflugplatz Stalingradski verlorengehen, kann Nachschub nur noch mit Versorgungsbomben abgeworfen werden. In den Hausruinen von Stalingrad liegen 20.000 unversorgte Verwundete.
Hitler lehnt Kapitulation ab
Als der Roten Armee am 22. Januar ein weiterer tiefer Einbruch gelingt, schlägt Paulus in einem Funkspruch an das OKH die Einstellung der Kämpfe vor. Auch Manstein bittet, die Kämpfe einstellen zu dürfen. Doch Hitler lehnt ab: "Eine Kapitulation der 6. Armee ist schon vom Standpunkt der Ehre aus nicht möglich." Paulus und sein Stab gehorchen. Die Armeeführung klammert sich an die Vorstellung, dass die 6. Armee in der "Festung Stalingrad" starke sowjetische Kräfte bindet und so die deutsche Südfront rettet. Am 25. Januar stellen die Reste der 297. Infanteriedivision unter Generalmajor Moritz von Drebber als erster deutscher Verband die Kämpfe ein.
Rote Armee spaltet Kessel auf
Einen Tag später treffen sich die von Westen und Osten vorstoßenden sowjetischen Verbände und teilen die 6. Armee in einen Süd- und einen Nordkessel. Paulus und sein Stab kommen im Kaufhaus "Univermag" im Stadtzentrum unter, wo sich auch das Hauptquartier des neu ernannten Kommandeurs des Südkessels, Generalmajor Fritz Roske, befindet. Am 28. Januar wird der Nordkessel noch einmal aufgespalten. Spätestens jetzt ist ein Weiterkämpfen absolut sinnlos. Doch Paulus weigert sich weiterhin, eine Gesamtkapitulation für die 6. Armee auszusprechen. Am 29. Januar funkt er an Hitler: "Zum Jahrestag ihrer Machtübernahme [am 30. Januar 1933] grüßt die 6. Armee ihren Führer. Noch weht die Hakenkreuzfahne über Stalingrad." Hitler bedankt sich und ernennt Paulus am 31. Januar zum Generalfeldmarschall.
Paulus kapituliert als "Privatperson"
Am selben Tag kapituliert der Südkessel unter Generalmajor Roske. Damit gerät auch Paulus mit seinem Stab in die Gefangenschaft. Der frischgebackene Feldmarschall besteht jedoch darauf, nicht als Armeeoberbefehlshaber, sondern als "Privatperson" behandelt zu werden. Das bedeutet, dass das sinnlose Kämpfen auch nach der Gefangennahme des Oberbefehlshabers der 6. Armee weitergeht. Erst zwei Tage später strecken auch die Soldaten des Nordkessels unter General der Infanterie Karl Strecker die Waffen. Damit endet am 2. Februar 1943 die Schlacht um Stalingrad.
Vom Massensterben zum "Heldenepos"
Der "Völkische Beobachter" titelt zwei Tage später: "Der Kampf der 6. Armee um Stalingrad ist zu Ende. Sie starben, damit Deutschland lebe." Unter Berufung auf den OKH-Bericht vom 3. Februar vermeldet das NSDAP-Parteiorgan, dass die 6. Armee "ihrem Fahneneid bis zum letzten Atemzug getreu [...] unter der vorbildlichen Führung des Generalfeldmarschalls Paulus der Übermacht des Feindes und der Ungunst der Verhältnisse erlegen" sei.
Aus dem Untergang einer ganzen Armee und dem Leiden und Sterben zehntausender Soldaten macht die NS-Propaganda ein "Heldenepos". Doch die Realität sieht anders aus. Der damalige Kommandeur des im Verbund der 3. Infanteriedivision in Stalingrad untergegangenen I. Bataillons/Infanterieregiment 29, Major Bernhard Bechler, erinnert sich Jahrzehnte später:
In der Heimat dachten alle: Die Stalingrad-Helden, die gekämpft haben bis zur letzten Patrone. Aber wenn die Väter, Mütter und Geschwister gesehen hätten, wie der betreffende Sohn oder Bruder krepiert ist. Das hat mit Heldentum überhaupt nichts zu tun. Das war ein sinnloses Hinsterben, ohne jeden Willen: verhungert, verlaust, verdreckt, erfroren, hingerafft vom Fleckfieber durch die Läuse. [...] Und ich habe gesehen, wie der letzte deutsche Panzer über die toten oder verwundeten eigenen Soldaten hinweg gefahren ist - viehisch war das!
Generalmajor a.D. Bernhard Bechler, 24. Januar 2000 | Zit. nach: Niemetz, Das feldgraue Erbe, S. 18.
Nur 5.000 überleben Gefangenschaft
Etwa 110.000 deutsche und rumänische Soldaten der 6. Armee und der ihr angeschlossenen Verbände geraten nach dem Ende der Schlacht um Stalingrad in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Durch Hunger und Entbehrungen der vorangegangenen Monate völlig entkräftet und bereits im Kessel mit Seuchen wie Fleckfieber infiziert, sterben bereits auf dem Marsch in die Auffanglager 17.000 Gefangene. In den Lagern geht das große Sterben weiter. Bis zum Frühjahr 1943 gehen weitere 66.000 Männer zugrunde. Von den 27.000 Kriegsgefangenen der 6. Armee, die den ersten Winter in Gefangenschaft überstehen, kehren nach dem Krieg lediglich noch 5.000 in die Heimat zurück.
Literaturhinweise
- Diedrich, Torsten: Stalingrad 1942/43. Hrsg. vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Ditzingen 2018.
- Ders.: Paulus. Das Trauma von Stalingrad. Eine Biographie, Paderborn 2009.
- Kehrig, Manfred: Die 6. Armee im Kessel von Stalingrad. In: Stalingrad. Ereignis - Wirkung - Symbol. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Jürgen Förster, München 1992, S. 76-110.
- Niemetz, Daniel: Das feldgraue Erbe. Die Wehrmachteinflüsse im Militär der SBZ/DDR. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin 2006.
- Ueberschär, Gerd R.: Stalingrad - eine Schlacht des Zweiten Weltkriegs. In: Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht. Hrsg. von Wolfram Wette und Gerd R. Ueberschär, Frankfurt am Main 1992, S. 18-42.
- Wegner, Bernd: Der Krieg gegen die Sowjetunion 1942/43. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 6. Der globale Krieg. Von Horst Boog, Werner Rahn, Reinhard Stumpf, Bernd Wegner. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1990.
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Generalfeldmarschall Paulus – Der Verlierer von Stalingrad und die DDR | 16. Oktober 2011 | 20:15 Uhr