TeilhabeKultur für alle: Was für Barrierefreiheit nötig ist
2009 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention auch in Deutschland ratifiziert, die Menschen mit Behinderungen mehr Rechte ermöglichen soll. Dazu gehört auch der Zugang zu kulturellen Angeboten. Bis 2023 soll in Deutschland zudem das Bundesteilhabegesetz vollständig in Kraft treten, das auch dafür sorgen soll, dass Menschen mit Behinderung selbstbestimmt Kultur erleben können. Doch was ist nötig und wünschenswert, damit Kulturinstitutionen vollinklusiv sind?
Es ist Samstagabend und ich will in Leipzig ins Theater gehen. Meine Straßenbahn hält in der Mitte der Straße und ich springe rein. Nachdem ich ausgestiegen bin, laufe ich schnell zur Kasse, eine Stufe nehmend. Ich suche mir einen Platz in der Mitte des Parketts aus und lasse mir ein Programmheft geben. Auf meinem Platz lese ich mir die philosophischen Texte durch und schaue mir die Bilder an. So stimme ich mich ein auf einen Theaterabend voller Musik, Geschrei und großer Bilder.
Was für viele einfach und selbstverständlich erscheint, steckt voller Hürden für Menschen mit Einschränkungen oder Behinderungen. In den vergangenen Jahren haben die Ansprüche an Barrierefreiheit und Inklusion auch in den Kulturinstitutionen immer mehr an Bedeutung gewonnen. Dabei sind die Ansprüche jedoch vielfältig und nicht alles davon wird im gleichen Maße umgesetzt.
Barrierefreiheit: Wo ist Platz für Rollstühle?
Das beginnt schon damit, dass für die meisten Menschen das Thema Barrierefreiheit zuerst mit Menschen mit Mobilitätseinschränkungen assoziiert wird, mit Rollstühlen und anderen Gehhilfen. Für Betroffene hat das den Vorteil, dass daher schon viel geleistet wird. Das Anhaltische Theater in Dessau ist schon seit Jahren auch über einen Außenaufzug betretbar. Beim Neubau des Weimarer Bauhaus-Museums wurden unnötige Schwellen vermieden und breite Türen ermöglicht.
Der Zugang ist somit zwar möglich, doch oft haben Betroffene mit anderen Einschränkungen zu kämpfen. Im Weimarer Bauhaus-Museum werden einige Objekte beispielsweise auf Tischen präsentiert, die vom Rollstuhl aus nicht so gut betrachtet werden können. Auch die Position der Sitze in Theater oder Kino sind wichtig: Menschen mit Behinderungen wollen sich auch zwischen Rang und Parkett entscheiden können. Außerdem möchten sie wie der Rest des Publikums neben ihrer Begleitung sitzen. Die Musikalische Komödie in Leipzig hat zum Beispiel bei der Sanierung darauf geachtet, dass die Rollstuhlplätze über den Saal verteilt sind. Wichtig wäre es auch, dass die Begleitpersonen, denen oft ebenfalls Ermäßigungen zustehen, leichter über den Online-Ticket-Shop gebucht werden können.
Teilhabe – Kunst mit den Händen sehen
Auch für Menschen mit Sehbehinderungen sind bauliche Erleichterungen wichtig: Blindenleitsysteme auf dem Boden können sehr unterschiedlich aussehen, manchmal reicht schon ein Teppich aus. Für Menschen, deren Sehvermögen stark eingeschränkt ist, sind klare visuelle Zeichen wichtig: Die Treppenkanten sollten gekennzeichnet sein. Am besten sollte auch die Sitzplatznummerierung gut sichtbar und mit starken Kontrasten angebracht sein.
Viele Theater wie das Deutsch-sorbische Volkstheater Bautzen oder sogar die Oper Leipzig und die Semperoper in Dresden bieten inzwischen Audiodeskription zu einzelnen Inszenierungen. Besucher*innen können meist vorher die Bühne begehen, um sich einen Eindruck von der Ausstattung zu machen. Anhand eines vorher ausgearbeiteten Skripts werden dann während der Vorstellung die Bewegungen des Ensembles beschrieben. In Museen gehören Audioguides zwar inzwischen fast schon zum Standard, richten sich jedoch nicht immer an Menschen mit Sehbehinderungen, weil es keine Bildbeschreibungen gibt. So ist es auch im hallischen Kunstmuseum Moritzburg, das dafür aber gesonderte Führungen anbietet und einzelne Stücke als Tastbilder erfahrbar macht.
Mehrere Zeichen verwenden
Als Mensch mit einer Hörbehinderung in der Lausitz ins Theater zu gehen, ist vermutlich eine große Erleichterung, da diese Häuser sowieso regelmäßig mit Übertiteln arbeiten, um im Saal eine Gemeinschaft aus sorbisch-, polnisch- und deutschsprachigem Publikum zu ermöglichen. Übertitel in Theatern sind eine verhältnismäßig einfache Form der Inklusion, allerdings nicht die bestmögliche. Eine Begleitung mit Gebärden erleichtern den Zugang erheblich, weil der Zugang über die Schriftsprache eben nicht ohne Hürden ist. In Bautzen werden die Inszenierungen im Sommertheater beispielsweise regelmäßig von Gebärdendolmetscher*innen begleitet.
Auch im Museum scheint eine Einschränkung der Hörfähigkeit weniger problematisch. Um voll inklusiv zu sein, sollten jedoch auch Führungen in Gebärdensprache angeboten werden. Bei Ausstellungen mit Video-Elementen gilt es ebenfalls Barrieren abzubauen, am einfachsten, indem der Text auf einen Zettel gedruckt wird, idealerweise mit einem begleitenden Video in Gebärdensprache. Für Menschen mit Hörbehinderungen muss zudem sichergestellt werden, dass die Kommunikation immer über zwei Sinne erfolgt – also, dass der Alarm über einen Ton und ein Lichtzeichen erfolgt.
Kulturangebote für Menschen mit Hörbehinderung
Kino mit Hilfsangeboten für behinderte Menschen
Das Kino nimmt in dieser Debatte eine gesonderte Stellung ein: Die Anforderungen ähneln denen im Theater, wobei die Gebäude oft jünger sind und so leichter Barrieren vermieden werden können. Dabei sollte auch ein Leitsystem für Menschen mit Sehbehinderungen bedacht werden.
Für die Filme selbst sind die Kinos ähnlich wie bei Ihrem Programm wiederum auf andere Angebote angewiesen. Für Audiodeskription bei Filmen gibt es Apps, die über Spracherkennung die Stellen im Film identifizieren, wo die Beschreibungen eingespielt werden sollen. Auch Menschen mit Hörbehinderungen können über das Handy Untertitel auslesen, müssen dabei aber auf das Verständnis des restlichen Publikums setzen – das sich vom Handyleuchten nicht stören lassen soll.
Leichte Sprache und Verhaltensregeln erleichtern Inklusion
Für Menschen mit geistigen Einschränkungen oder Verständnisproblemen sollten Inhalte in sogenannter Leichter Sprache verfasst werden, damit auch sie Zugang zu den Inhalten bekommen. Dafür können Expert*innen beauftragt werden, die die Texte übertragen, um den Anforderungen für unterschiedliche Gruppen zu entsprechen. So werden Kulturinstitutionen auch integrationsfreundlicher, weil sie auch Menschen mit sprachlichen Schwierigkeiten den Zugang ermöglichen. So hat das Kunstmuseum Moritzburg aktuell alle Texte, die zu den einzelnen Ausstellungsräumen an den Wänden stehen, in Leichte Sprache übertragen lassen. Die Expertin Stefanie Koehler meint, dass auch Theaterstücke beziehungsweise -klassiker in Leichte Sprache übersetzt werden könnten. Zuletzt hatten das die Münchner Kammerspiele mit dem Klassiker "Antigone" versucht.
Mit Autismus ins Theater
Doch nicht nur die Sprache hält Menschen ab, ins Theater zu besuchen: Menschen mit Autismus haben beispielsweise Angst, sich nicht richtig zu verhalten oder sich nicht zurechtfinden zu können. Eine gute Beschilderung ist wichtig, um menschlichen Kontakt zu reduzieren. Das Eduard-von-Winterstein-Theater bietet auch Relaxed Performances, um Menschen einen Safe Space zu geben. Dort müssen sie keine Angst haben, komisch angesehen zu werden, wenn sie zwischendurch vom Platz aufspringen.
Im Theater Bautzen gibt es dazu keine konkreten Pläne – man wolle immer für alle offen sein. Am wichtigsten sei dafür eine gute und offene Kommunikation: Welche Reize gibt es auf der Bühne – triggern diese oder helfen sie sogar, sich zu konzentrieren. Denn Menschen im autistischen Spektrum können sich mit lauter Musik oder starken Bildern von den für sie komplizierten Menschen um sie herum ablenken. Diese Menschen müssen wissen, wie sie sich verhalten dürfen, ob sie das durchhalten können und wie viel Verständnis für sie da ist.
Sensibilisierung und Sichtbarkeit
Gerade im Personal liegt der wichtigste Schlüssel: Viele Verbände wünschen sich mehr Menschen mit Behinderungen in den Kulturinstitutionen, auch im künstlerischen Bereich. Die tägliche Begegnung sensibilisiert nämlich für die unterschiedlichen Bedürfnisse. Einige Betroffene sind dabei aber auch skeptisch – sie wollen nicht auf ihre Behinderung reduziert werden und immer aktivistisch tätig sein müssen.
Noch wichtiger ist sowieso, dass die Angestellten gut geschult sind: Beim Gespräch mit Menschen mit Hörbehinderungen muss das Personal deutlich gestikulieren. Rollstuhlfahrer müssen leicht jemanden finden können, der die Schlüssel zu Fahrstühlen oder Behinderten-WCs hat. Wenn Menschen mit Behinderungen sich melden, müssen sie Auskunft geben können, was bei ihnen möglich ist. Für Ute Pott vom Gleimhaus in Halberstadt ist klar: Viele Hürden in ihrem Museum lassen sich durch menschliche Unterstützung ausgleichen.
Barrierefreie Kultur in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | 04. August 2024 | 19:00 Uhr