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Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat einen bundesweiten Bahnstreik angekündigt. Mit 50 Stunden wird es der bisher längste Warnstreik in diesem Tarifkonflikt. Bildrechte: picture alliance / dpa | Bernd Wüstneck

Der RedakteurSchon wieder Bahnstreik: Ist das noch rechtlich in Ordnung?

07. März 2024, 11:45 Uhr

Es fahren (schon) wieder keine Züge im Regional-, Fern-, und Güterverkehr mehr. Ist das verhältnismäßig und rechtlich in Ordnung? Alle Fakten zum Streikrecht.

Das Schöne bei dem Thema ist, wir müssen uns nicht in einen undurchdringlichen Paragrafen-Dschungel begeben. Es gibt zunächst nur einen Artikel des Grundgesetzes, der eigentlich schon fast alles regelt, obwohl das Wort Streik darin gar nicht vorkommt. In Artikel 9 GG steht zunächst, dass alle Deutschen das Recht haben, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Der Satz, der anschließend die Basis für die Tarifautonomie und damit auch die Streiks liefert, ist ebenfalls noch sehr allgemein gehalten.

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.

Art. 9 Abs. 3 S. 1 Grundgesetz

Weiter geht's dann im zweiten Satz damit, dass "Abreden, die dieses Recht einschränken, nichtig sind." Und Maßnahmen dürfen sich auch nicht gegen Arbeitskämpfe richten. Die Bundeszentrale für Politische Bildung zitiert hier das "Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland" und weist darauf hin, dass es "bemerkenswert" sei, dass Streiks und Aussperrungen (letztere wären die Gegenmaßnahmen der Arbeitgeber) nicht unmittelbar gesetzlich geregelt sind. Demzufolge bekommen Arbeitsgerichte und ihre Urteile eine entscheidende Rolle zu, wenn es darum geht, ob ein Streik nun angemessen beziehungsweise zulässig ist oder nicht.

Verfassungsrechtliche Grundlage für das Streikrecht ist nach herrschender Auffassung die in Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verankerte Koalitionsfreiheit. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Wer es genauer wissen möchte, kann gern im Tarifvertragsgesetz, im Gesetz zur Montanmitbestimmung sowie im Betriebsverfassungsgesetz nachlesen. Er wird aber feststellen, dass dort auch nicht geschrieben steht, wann das Maß voll ist und wie lange eine relative kleine Gewerkschaft den Zugverkehr in Deutschland lahmlegen darf. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich schon mit der Frage schon beschäftigt und auch keinen Königsweg gefunden, wie die Allgemeinheit vor den extremen Auswirkungen solcher Streiks geschützt werden kann.

Wofür darf gestreikt werden?

Es sind die erwähnten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Also mehr Lohn, mehr Freizeit, arbeitsnehmerfreundliche Arbeitsabläufe in den Betrieben - also das, was in einem Tarifvertrag vereinbart werden kann, das kann auch ein Streikziel sein. Mitgliedergewinnung und Positionierung gegenüber einer anderen ebenso kleinen Gewerkschaft der Branche ist jedoch kein Streikgrund, den ein Gericht anerkennen würde. Allerdings dürften die hier gemeinten Gewerkschaften GDL (Gewerkschaft der Lokführer) und EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) genau aufpassen, dass dieser Eindruck nicht entsteht.

Was ist mit einem Generalstreik?

Für das Absetzen einer Regierung oder der Einsetzung einer, die alle Wünsche erfüllt, hat das Grundgesetz Wahlen vorgesehen, nicht den Generalstreik. Von daher war die kürzlich aufgekommene Idee, Klimaschützer und Gewerkschaften könnten sich mal schnell gemeinsam auf die Straße kleben oder anderweitig kooperieren, um ihren jeweiligen Forderungen noch mehr Gewicht zu verleihen, gleich wieder vom Tisch.

Damit würde die Gewerkschaft der Arbeitgeberseite eine wunderbare Steilvorlage liefern, den Streik von Gerichten verbieten zu lassen. Dass große Arbeitgeber wie die Bahn oder die Lufthansa, die sich bekanntlich große Rechtsabteilungen leisten können, eher selten vor Gericht ziehen, zeigt, dass sie die Erfolgschancen offenbar für sehr gering halten. Die Gewerkschaften können sich aber auch nicht zu sicher sein.

Der 50-Stunden-Streik der EVG sorgt bei Verfassungsrechtlern für hochgezogene Augenbrauen. Reisende könnten am Bahnsteig auf Chaos stoßen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bodo Marks

Der 50-Stunden-Streik der EVG im Mai 2023 war von Verfassungsrechtlern durchaus schon mit einer hochgezogenen Augenbraue begutachtet. Prof. Michael Brenner, Verfassungsrechtler an der Uni Jena, bringt vor allen Dingen die Dauer des Streiks ins Spiel. Sind 50 Stunden wirklich noch angemessen?

Ist das noch verhältnismäßig? Oder hätte nicht vielleicht ein einzelner Streiktag ausgereicht, die Ziele der Gewerkschaft nachhaltig zu unterstützen.

Prof. Michael Brenner, Verfassungsrechtler Uni Jena

Dann ändern wir doch einfach das Grundgesetz

Artikel 9 GG gehört nicht zu den Artikeln des Grundgesetzes, die quasi unantastbar sind. Theoretisch ist es also möglich, das Streikrecht in Artikel 9 etwas einzuschränken. Zum Beispiel für das Bestreiken von Unternehmen der Daseinsfürsorge, zu denen die Bahn gehört. Auch Energieunternehmen, wären denkbar, Ver- und Entsorger, Rettungskräfte, Fluglotsen - haben wir jemanden vergessen? Oder anders gefragt: Wo hört die Liste auf?

Und wenn wir hier punktuell einschränken, wie weit dürfen dann Mitarbeiter dieser Unternehmen gehen? Dürfen sie gar nicht mehr streiken oder nur am Wochenende oder nur einen Tag im Monat? Oder dürfen nur die "Randbereiche" solcher Unternehmen bestreikt werden, also Kantine, Reinigungspersonal und Callcenter? Oder darf auch der starke Arm des Fachingenieurs ruhen, der den "großen Hebel" bedient?

Das bedeutet: Es entstehen eigentlich die gleichen Fragen, die bereits jetzt die Gerichte beantworten müssen. Wir bräuchten also einen allgemeinen Maßstab, der aber nur schwer festzulegen ist. Am Ende sind wir wieder bei Einzelfällen. Und es kommt noch etwas anderes hinzu: Wer eine solche Grundgesetzänderung anstrebt, der muss sehr stark sein, weil er sich mit allen anlegt, die betroffen sind und das ist quasi der gesamte Arbeitsmarkt. Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut, das Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen schätzen und auch schützen.

Ich sehe im Moment keine politischen Mehrheiten für eine solche Eingrenzung des Streikrechts.

Prof. Michael Brenner, Verfassungsrechtler Uni Jena

Damit dürften also auch weiterhin Gerichte entschieden, ob Forderungen, Streiklänge und Streikauswirkungen auf die Allgemeinheit in einem gesunden Verhältnis stehen, sprich "angemessen" sind.

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MDR (mw/thk)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 07. März 2024 | 07:10 Uhr

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