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Steffen Grimberg schreibt in seinem Essay: "Journalismus war noch nie neutral. 'Objektivität' bedeutet nicht die totale Ausgewogenheit." Bildrechte: MDR MEDIEN360G

Essay: Warum Meinungsfreiheit wichtig istJournalismus ist nie neutral

09. Januar 2023, 17:07 Uhr

Am Anfang war das Wort. So steht es in der Bibel. Und schon damals gab es Zoff, wie es genau gemeint war. Denn wie etwas ankommt, hat immer auch mit Haltung zu tun - mit der Haltung der Person, die da kommuniziert. Und der Haltung der Empfänger. Das ist auch im Journalismus so. In jüngster Zeit wird von manchen Kreisen verstärkt "zu viel" Haltung bzw. eine "falsche" Haltung bei den Medien und ihren Journalistinnen und Journalisten ausgemacht. Dabei ist diese Debatte ein ziemlich alter Hut.

von Steffen Grimberg

Die ersten Zeitungen im 17. Jahrhundert versammelten allgemeine Nachrichten, die zumeist von unterschiedlichsten Quellen an verschiedenen Poststationen verfasst und eingeschickt wurden. Schon hier lässt sich in den meisten Fällen bei der Auswahl der Themen und Ereignisse sowie bei der Art und Weise, wie darüber geschrieben wurde, die persönliche Haltung der Verfasser (es waren fast ausschließlich Männer) festmachen.

Zeitungen: Am Anfang war die Haltung

Auch die Vorläufer der Zeitungen, wie die Flugschriften der Reformationszeit, waren ganz klar Meinungsblätter. Und zwar mit so viel Drastik, Einseitigkeit und Hass, dass sie ohne Weiteres mit der aktuellen Hate Speech im Netz vergleichbar sind. Da wurde zum Teufel gewünscht oder für vom Satan besessen erklärt, aufs Rad geflochten oder anders massakriert, dass einem heute noch schlecht wird. Dass Papst wie Reformationspersonal als Tiere verhöhnt wurden, war der schon eher harmlosere Teil dieser Frühzeit des Meinungsjournalismus'.

Später waren die ersten "richtigen" Zeitungen gerade wegen ihrer Haltung und Meinungsbekundungen den Herrschenden ein Dorn im Auge. Jedenfalls wenn sie nicht selbst von offiziellen staatlichen Stellen herausgegeben wurden und deren Haltung und Deutung transportierten. Schließlich konnten so Autoritäten hinterfragt, kritisiert und schlimmstenfalls untergraben werden. Deshalb gab es in fast allen deutschsprachigen Ländern bis weit ins 19. Jahrhundert eine harte Zensur.

Zensur als Herrschaftsinstrument

Trotzdem verbreiteten sich, von der Aufklärung ab dem frühen 18. Jahrhundert beflügelt, unterschiedliche und oft oppositionelle Meinungen mittels des neuen Mediums Zeitung zumindest in den gebildet-bürgerlichen Schichten. Von Pressefreiheit konnte damals aber noch keine Rede sein. Wie lange solche Blätter erscheinen konnten, ob ihre Redakteure und Drucker Sanktionen wie Verbote, Haftstrafen oder die Ausweisung aus dem jeweiligen Territorium zu befürchten hatten, glich oft einem Katz- und Maus-Spiel mit den Behörden. Und die saßen am Ende stets am längeren Hebel.

Nach der Napoleonischen Besatzung, die etwas liberaleren Wind in die Welt des deutschen Michel wehte, gab es auch für die Presse Erleichterungen, die nach der Niederlage Napoleons ab 1819 durch die Karlsbader Beschlüsse alle wieder einkassiert wurden. Für ihre Haltung mussten viele frühe Journalistinnen und Journalisten außer Landes gehen oder in Haft sitzen. Karl Marx, Heinrich Heine … die Liste ist lang.

1849 folgte im Rahmen der Paulskirchenverfassung die nächste "Entspannungswelle", die aber ebenfalls nur von kurzer Dauer war. Noch nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 hebelte das tief vom preußischen Obrigkeitsstaat durchdrungene Gesetz über die Presse die Pressefreiheit de facto aus. Erst mit der Weimarer Verfassung war sie ab 1919 wirklich garantiert, nur um 1933 wieder von den Nazis zu Grabe getragen zu werden.

Pressefreiheit und Parteipresse

Pressefreiheit heißt dabei immer auch die Freiheit zur Haltung. In der Weimarer Republik waren eine Vielzahl der Zeitungen Parteizeitungen, die klar nur eine Haltung kannten - die ihrer Partei. Nach der Gleichschaltung der Medien in der Nazi-Diktatur wurden in Westdeutschland vor allem in der britischen Besatzungszone zunächst wieder überwiegend Parteizeitungen zugelassen. In der späteren DDR blieben Presse und Medien bis zur friedlichen Revolution 1989/90 klar Hoheitsgebiet der SED und der ihr untergeordneten sogenannten Blockparteien und Massenorganisationen, die als einzige Zeitungen herausgeben durften.

Bis heute ist "Haltung" eines der wesentlichen Merkmale von Medien. Schließlich wäre ein offener Meinungsaustausch und -streit ohne verschiedene, von den Medien vertretene und/oder vermittelte Haltungen gar nicht möglich. Das schlägt sich sowohl im Grundgesetz als auch im Presserecht nieder. Anders als eine Keksfabrik dürfen Medienunternehmen sogar eine bestimmte Haltung vorgeben - auch für ihre Mitarbeitenden. Dies garantiert ihnen der bis heute gültige, aber stark umstrittene "Tendenzschutzparagraf". Bei Axel Springer gibt es beispielsweise sogenannte "Essentials", die bestimmte politische Haltungen zum Wirtschaftssystem, zum Staat Israel und zum Bündnis mit den USA vorgeben.

Mangelnde Diversität und Diversitätsmanagement in Redaktionen

Verkürzt lässt sich also sagen: Journalismus ist Haltung. Warum aber wird das aktuell so massiv kritisiert und was ist dran an dem Vorwurf, die meisten Journalistinnen und Journalisten seien zu links? Zum einen wird Haltung hier und da ein wenig überstrapaziert. Das hat aber nichts mit einer angeblich "linksgrün versifften" Haltung zu tun, die rechte Kreise regelmäßig über den "Systemmedien" auskübeln. Sondern eher mit einer zu homogenen Zusammensetzung von Redaktionen und zu ähnlichen Bildungs- und Lebensläufen der Journalistinnen und Journalisten.

Hier muss etwas passieren - und es passiert auch schon etwas. Das ist auch mit Blick auf neue Perspektiven, neue Herangehensweisen wichtig - weil aus diesen neue, differenzierte Haltungen entstehen.

In der Debatte über Haltung im Journalismus darf aber eines nicht vergessen werden: Journalismus war noch nie neutral. "Objektivität" bedeutet nicht die totale Ausgewogenheit, sondern alle Beteiligten und Gesichtspunkte eines Themas zu berücksichtigen und zu bewerten. Im Meinungsstreit gibt es selten eine alle Beteiligten zufriedenstellende Einigung. Zur Demokratie gehört Dissens, und das bedeutet, andere Haltungen und Sichtweisen zu akzeptieren und zu respektieren. "Aushalten und stehenlassen", auf diese kurze Formel brachte es schon in den 1990er Jahren die frühere WDR-Moderatorin Carmen Thomas. Wer dagegen wegen der vermeintlichen Bevormundung durch suggestiven "Haltungsjournalismus" aufjault, gehört eher zu der Gruppe, die bestimmte Haltungen schlicht deshalb ablehnen, weil es nicht ihre eigenen sind. Dies dem Journalismus vorzuwerfen, ist ein leicht durchschaubares Totschlagargument.