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Angriff auf die Pressefreiheit: Laut Reporter ohne Grenzen hat die insgesamt weiter wachsende Gewalt gegen Medienschaffende dazu geführt, dass Deutschland in der weltweiten Rangliste für Pressefreiheit auf Platz 21 abrutscht. Bildrechte: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Journalisten: Freund oder Feind?Berichterstattung? Unerwünscht!

13. September 2023, 15:56 Uhr

Drohungen, Klagen und "Feindeslisten": Investigativer Journalismus ist nicht ganz ungefährlich. Oftmals müssen Redaktionen mit einer Klage rechnen, wenn sie ihre Arbeit vollendet haben. Und immer häufiger senden Anwälte Schreiben, die bereits vorab eine Veröffentlichung verhindern wollen. Zudem gibt es immer wieder gezielte Angriffe auf einzelne Journalisten.

von Susann de Luca

Gegendarstellung, Unterlassung, Widerruf

Gerade Investigativ-Journalistinnen und -Journalisten werden von Institutionen, Unternehmen, Lobbygruppen und einflussreichen Personen nicht selten als Bedrohung und somit sinnbildlich als rotes Tuch wahrgenommen. Die Folge sind zahlreiche Klagen, ebenso auch sogenannte SLAPP-Klagen gegen Redaktionen, mit denen versucht wird, gezielt gegen eine bereits erfolgte oder auch eine unmittelbar bevorstehende kritische Berichterstattung und Negativ-Presse vorzugehen.

Anette Dowideit ist stellvertretende Chefredakteurin beim investigativen Recherchezentrum CORRECTIV. Bildrechte: CORRECTIV

"Auf sehr viele unserer veröffentlichten kritischen Berichte folgt eine Klage oder leitet jemand rechtliche Schritte ein", berichtet Anette Dowideit von der unabhängigen Investigativ-Redaktion CORRECTIV. Für das deutschlandweit operierende Recherchezentrum gehört die anwaltliche Auseinandersetzung somit zum alltäglichen Geschäft. "Da gibt es Post von Kanzleien mit Unterlassungsschreiben bezüglich einer Berichterstattung oder Widerruf-Forderung", beschreibt die stellvertretende Chefredakteurin von CORRECTIV und wird deutlich: "Darauf lassen wir uns nicht ein, da wir uns im Recht sehen und uns in unserer Arbeit, im Sinne des Demokratieverständnisses, der Gesetzmäßigkeiten bedienen."

Dennoch sorgen derartige Widerrufs- oder auch Gegendarstellungs-Ansprüche, die inzwischen zum gängigen Alltag beinahe aller Redaktionen zählen, zugleich für einen erheblichen Mehraufwand. Denn der Vorwurf, dass sich jemand durch eine Veröffentlichung verletzt fühlt oder falsch dargestellt sieht, löst aufwendige medien­ethische oder juristische Prozesse aus.

"Eine Folge davon ist die Nachbearbeitung der dargelegten Veröffentlichung", schildert Anette Dowideit und erklärt: "Darin müssen wir den Sachverhalt noch einmal darstellen und aus rechtlicher Sicht genau argumentieren, warum wir entsprechende Aussagen so veröffentlichen konnten."

Wie viel Vor- und Nachbereitung somit einzelne Recherchen mit sich ziehen, wüsste kaum jemand, meint Anette Dowideit und sagt: "Ich kenne aber auch Fälle, in denen nicht gegen die Redaktion, sondern gegen einzelne freie Journalisten vorgegangen wird. Das machen manche Medienrechtsanwälte ganz gezielt, um den Journalisten abzuschrecken. Für freie Reporter, die keiner Redaktion angehören, bedeutet das zugleich auch eine wirtschaftliche Bedrohung. Deshalb ist es wichtig, dass eine Redaktion, für die ein freier Journalist arbeitet, bereits im Vorfeld signalisiert, dass ein Reporter gegen alle potenziellen Angriffe durch die Redaktion abgesichert ist."

Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit

Weiter gibt Anette Dowideit einen Einblick im Umgang mit entsprechend heiklen Situationen, bei denen einzelne Sachverhalte für einen Journalisten selbst schwer prüfbar sind – die Angelegenheit an sich jedoch zugleich für die Öffentlichkeit von großem Interesse ist: "Aus Erfahrung wissen Reporter, dass man in einem Fall wie dem von Till Lindemann, bei dem man ja selbst nicht dabei war und keine expliziten Beweise hat, dass es sich um eine Verdachtsberichterstattung handeln wird. Ebenso, wie man sich, entsprechend dieser Lage auf Schilderungen und Aussagen anderer bezieht und demzufolge formuliert. Man bezieht sich beispielsweise darauf, dass die Zeugin sagt, es sei so und so gewesen. Aber trotz all dieser getroffenen Maßnahmen gehen die Sachen vor Gericht."

Anwaltliche Drohschreiben führen folglich nicht nur zu Einschüchterung oder gar Selbstzensur der Journalistinnen und Journalisten, sondern bedeuten auch eine besondere finanzielle Herausforderung. Für Medienunternehmen ist es häufig eine existenzielle Frage, kostenintensive Gerichtsprozesse zu führen. Geben Redaktionen, Verlage oder Sender an diesem Punkt klein bei, ist das in zweierlei Hinsicht fatal. Vorschnelle Unterlassungserklärungen gefährden nicht nur eine fortwährende, kritische Berichterstattung. Sie sind vor allem auch ein Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit – die wichtige Grundvoraussetzung für unabhängigen Journalismus.

Auskunftsverweigerung trotz Auskunftspflicht

Es kann jedoch auch der Fall eintreten, dass Journalistinnen und Journalisten die Position des Klägers einnehmen und zwar dann, wenn ihnen Informationen verwehrt werden.

CORRECTIV-Journalistin Anette Dowideit gibt an: "Es kann vorkommen, dass wir Daten zu einem bestimmten Sachverhalt bei einem Ministerium anfordern, uns die Herausgabe dieser aber verweigert wird. Weil diese Informationen jedoch, unserer Auffassung nach, für die Öffentlichkeit von Interesse sind und wir den Bürger ja als Stimme vertreten, besteht unserer Meinung nach, seitens des Ministeriums, auch eine entsprechende Auskunftspflicht. Mal ein Beispiel: Sagen wir mal, wir hinterfragen, wie viele Reichsbürger gibt es in den einzelnen Bundesländern und wo sitzen sie? Und die Reaktion darauf wäre dann vielleicht: Das sagen wir euch, aus welchen Gründen auch immer, nicht. Dann würden wir uns, gemäß unserer Rechtsauffassung und eines bestehenden öffentlichen Interesses an diesen Daten, auf das Recht auf Auskunft und somit die Auskunftspflicht des Ministeriums berufen. Dies kann dann ebenfalls zu einer rechtlichen Auseinandersetzung führen, so dass WIR dann klagen müssen, weil das Ministerium die entsprechenden Informationen nicht herausgibt. Denn es ist unser Recht."

"In weiterer Folge", so Anette Dowideit, "müssen wir dann abwägen, ob sich hier für uns eine Klage lohnt – und auch, wie uns die Leser und Spendengeber im betreffenden Fall unterstützen würden. Schwieriger gestaltet sich das in so einem Fall für eine kleinere Redaktion. Je kleiner eine Redaktion ist, umso seltener wird sie das machen, da eine Klage einfach mit einem hohen Kostenfaktor verbunden ist", zieht sie hier ein Fazit und gibt gleichfalls zu bedenken:

"Im Einzelfall kann es auch sein, dass eine Behörde meint, sie habe zu einem Sachverhalt keine Unterlagen. Da wird es auch für uns schwierig. Weil wir ja nicht nachweisen können, dass das vielleicht nicht so ist. So etwas haben wir in letzter Zeit leider öfter erlebt. Und man weiß nicht, ob das vielleicht auch eine neue Strategie sein könnte", überlegt die Journalistin und verrät: "Nun, wir machen es ja auch manchmal so, dass wir halbe Recherchen veröffentlichen. Zum Beispiel dann, wenn wir Daten aus allen Bundesländern abgefragt haben, aber uns vielleicht nur die Hälfte von ihnen eine Auskunft gegeben hat, die anderen aber der Meinung sind, sie dürften uns keine Unterlagen aushändigen. Da stimmt doch dann an sich irgendetwas nicht … An dieser Stelle kann man dann entsprechend auch einmal öffentlich Druck ausüben."

Wie gefährlich lebt ein Investigativ-Journalist?

Wer sich mit Korruption, Rechtsextremismus oder Waffenexporten beschäftigt, sei häufiger der Gefahr von Angriffen ausgesetzt, meint Anette Dowideit und berichtet aus ihrer Erfahrung: "Da gibt es zum Beispiel Kollegen, die sich mit dem Thema Rechtsextremismus befassen, deren Namen dann auf Feindeslisten im Internet stehen oder über die teilweise auch Todesdrohungen verbreitet werden."

Der Schutz vor Anfeindungen und Drohungen für Medienschaffende insgesamt ist eine wichtige Voraussetzung für eine freie und vielfältige Berichterstattung, die gesetzlich unterstützt werden muss, gleichfalls aber auch Medienhäuser ihren Mitarbeitenden bieten sollten. So empfindet auch Anette Dowideit, die weitere vorbeugende Maßnahmen in der Aufklärung und Wissensvermittlung für Medienschaffende sieht. "So gibt es beispielsweise auch Schulungen, die Journalisten vermitteln, wie sie sich bei ihren Recherchen selbst sicher verhalten und entsprechend schützen können", berichtet sie und beschreibt: "Meiner Erfahrung nach sind Journalisten, die in bestimmten kritischen Bereichen arbeiten, selbst schon für solche Situationen sensibilisiert. Dementsprechend werden sie bereits gewisse Schutzmaßnahmen treffen, indem sie beispielsweise eine Daten-Abfrage aus dem Melderegister verhindern, sodass eine Kommune ihre Adresse nicht an andere weitergeben darf."

Trotz diverser Vorkehrungen werden Journalistinnen und Journalisten hierzulande immer wieder zur Zielscheibe medienfeindlicher Hetze. Insbesondere haben Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten und die insgesamt weiter wachsende Gewalt gegen Medien dazu geführt, dass Deutschland um fünf Plätze in der weltweiten Rangliste für Pressefreiheit auf Platz 21 abrutscht. Die Mehrheit dieser Attacken stand dabei in verschwörungsideologischen, antisemitischen und rechtsextremen Zusammenhängen.

Doch nicht nur bei uns gerät die Presse zunehmend unter Druck: Es gibt Länder, in denen sind Zensur der Presse und Verbote gegen Journalistinnen und Journalisten an der Tagesordnung. In anderen werden Journalisten verfolgt, inhaftiert, entführt oder sogar ermordet. Nie saßen mehr Journalisten im Gefängnis als im Jahr 2022: Mit 533 inhaftierten Medienschaffenden erreichte die Zahl einen neuen Höchststand. Laut Reporter ohne Grenzen würden autoritäre Regime verstärkt dazu übergehen, "störende Journalistinnen und Journalisten einfach wegzusperren". China führt mit 110 inhaftierten Journalisten die Liste an, gefolgt von Myanmar mit 62, Iran mit 47, Vietnam mit 39 und Belarus mit 31. Zudem seien weltweit 57 Journalistinnen und Journalisten in Ausübung ihrer Tätigkeit getötet worden.