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80 Prozent befürchten hohe EinkommensverlusteSchlechte Zeiten für Darstellende

30. April 2020, 17:38 Uhr

Wegen der Corona-Krise werden keine Filme gedreht. Die Theater sind bis auf weiteres geschlossen. Schauspielerinnen und Schauspieler sind unsichere Arbeitsverhältnisse gewöhnt. Aber jetzt geht es für sie um die Existenz.

von Jenni Zylka


Kaum Einkommen

Für den Film „Die Rote Schildkröte“ brauchte man kaum Schauspielerinnen und Schauspieler. Die Produktion über einen Schiffbrüchigen, die 2016 für den Oscar nominiert war und im gleichen Jahr beim Filmfestival in Cannes einen Spezialpreis gewann, ist nämlich ein Trickfilm. Er erzählt eine mysteriöse Liebesgeschichte als Animation - und fast stumm: Nur ab und an sind menschliche Geräusche wie Schreien oder Stöhnen zu hören.

Normalerweise wird mit einem Spielfilm vor allem die Person des Schauspielers verbunden. Darstellende sind meist das Aushängeschild eines Films. Aber wegen der Corona-Krise und den damit verbundenen Beschränkungen wie Drehstopps und Gesundheitsauflagen sind sie gerade in Massen arbeitslos.

Die Media-Analyse-Firma Langer Media hat gerade 4.800 deutsche Filmschaffende befragt, ein großer Teil davon Schauspielerinnen und Schauspieler. Rund 80 Prozent von ihnen befürchten, dass in diesem Jahr ihr Einkommen beträchtlich sinken wird. Oder dass sie sogar gar nichts verdienen werden. Was daran liegt, dass die meisten in der Branche selbstständig oder nur jeweils für die Dauer der laufenden Produktion beschäftigt sind.


Finanzielle Corona-Hilfsprogramme greifen oft nicht

Viele Schauspielerinnen und Schauspieler sind also daran gewöhnt, zwischen zwei Filmen Arbeitslöcher zu haben – und Arbeitslosengeld zu beziehen. Doch durch den Bezug dieser Hilfen stecken sie momentan in einem Dilemma: Wer bereits Geld bekommt, kann in den meisten Bundesländern keine Corona-Hilfen beantragen. Die Umfrage zeigt, dass viele Filmschaffende für eine Vereinheitlichung der Hilfsprogramme plädieren. Denn auch von Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld kann nur profitieren, wer zum Beispiel in einer Serie spielt und darum für einen längeren Zeitraum beschäftigt ist. Auch die Option, momentan verschobene Drehs im Herbst nachzuholen, wackelt heftig.


Nicht alle Produktionen können im Herbst nachgeholt werden

Schließlich können weder Schauspielerinnen und Schauspieler noch die restlichen Bereiche dann sämtliche Produktionen gleichzeitig bewerkstelligen – und den Stau damit auflösen. Der Pleitegeier kreist gerade tief. „Wir planen derzeit für den September, aber leider kann man noch nichts Genaueres festlegen“, sagt der Magdeburger Schauspieler Christian Friedel über seine Arbeit an Shakespeares „Macbeth“ am Staatsschauspiel Dresden. Friedel hat Hauptrollen in Michael Hanekes „Das weiße Band“ und Oliver Hirschbiegels „Elser“ gespielt und ist seit 2017 auch in der Serie „Babylon Berlin“ zu sehen.


Schauspieler Christian Friedel unterstützt die Dresdner Kunstszene

Ein „großer, internationaler Film“, für den er gebucht ist, sei sogar auf 2021 verschoben, so Friedel. Sein Antrag auf Soforthilfe habe bislang noch nichts ergeben. Er lasse sich aber nicht den Optimismus nehmen, „dass wir selbstverständlich weiterhin unsere Kunst machen werden“. In der unfreiwilligen „Kunstpause“ bastelt Friedel, der auch als Musiker mit seiner Band Woods of Birnam aktiv ist, im Homeoffice an Musik und Videos. Außerdem versucht er, mit neuen Formaten „die Veranstaltungsszene hier in Dresden zu unterstützen und auf die fatale Situation aufmerksam zu machen“.


Kreative werden im Netz besonders kreativ

Doch in der Krise zeigt sich bekanntlich der Charakter. Und so wie es ganz unterschiedliche Herangehensweisen an das Schauspiel gibt, gehen auch Schauspielerinnen und Schauspieler ganz verschieden mit der Krise um. Manche verfallen in Schockstarre, andere produzieren von zuhause aus YouTube-Videos, wieder andere helfen bei der Spargelernte oder nutzen die Pause, um endlich mal an einem eigenen Drehbuch zu arbeiten. Die Schauspielerin Anita Vulesica, die unter anderem zwei Jahre Ensemblemitglied bei „In aller Freundschaft“ war und viel in „Tatorten“ und anderen Krimis spielt, kann der Krise auch etwas Positives abgewinnen. Dem Berliner Tagesspiegel sagte sie, sie „habe gemerkt, dass in unserer Branche gerade etwas Wesentliches wegfällt, nämlich das Sichvergleichen, dieses: Die haben Aufträge, ich nicht. Der hat eine Serie, ich nicht. Deren Stück ist gut gelaufen, meins nicht.“ Momentan hat niemand etwas – das könne man durchaus als Chance begreifen, findet Vulesica.


Existenzangst gehört auch ohne Corona für viele zum Job

Auch anderen Schauspielerinnen und Schauspielern kommt zugute, dass sie als Kreative daran gewöhnt sind, ohne oder mit deutlich weniger Garantien als klassische, festangestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu leben. Dennoch bleibt das finanzielle Grundproblem: Wo keine Gagen fließen, können z.B. keine Mieten bezahlt werden. Existenzangst begleitet besonders diesen Berufszweig schon lange: Von den rund 15.000 Schauspielerinnen und Schauspielern in Deutschland verdienen mehr als zwei Drittel unter 30.000 Euro brutto im Jahr, viele noch weniger. Die Budgets für Filme, egal ob Kino oder Fernsehen, sinken oder stagnieren, die Lebenshaltungskosten steigen jedoch immer weiter. Und dort, wo die Filmbranche besonders dicht gedrängt sitzt und die meisten Filme produziert werden, in Berlin, München und anderen Großstädten, sind die Mieten auch am höchsten.


Drehbücher werden umgeschrieben, um Corona-Regeln einzuhalten

Auswege aus der Krise werden momentan auch für die vielen Produktionen diskutiert. Die Vorschläge reichen vom „geschlossenen Set“, in dem ausschließlich negativ getestete Filmschaffende für den begrenzten Drehzeitraum isoliert arbeiten, bis zu Drehbuchüberarbeitungen: Dort könnte man die Szenen so umschreiben, dass der vorgeschriebene räumliche Abstand zwischen allen vor und hinter der Kamera größer wird. Doch Rollen sind mannigfaltig und der Beruf erfordert eigentlich Nähe – ohne engen Körperkontakt kann man einfach nicht jede Geschichte erzählen. Wie viele Schauspielerinnen und Schauspieler nach der Krise die Branche gewechselt haben werden, ist noch nicht abzusehen.

Fest steht, dass die Kunst ohne diese Künstlerinnen und Künstler und ihr Talent nicht denkbar ist. Eine Kinolandschaft, in der ausschließlich Animations- und Stummfilme laufen, wäre wohl – bei aller Liebe zu stummen Schildkröten – einfach nur die Hölle.

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