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Zeitungen und ZeitschriftenWarum die Print-Auflage überholt ist

21. April 2021, 13:57 Uhr

Bei Zeitungen und Zeitschriften gibt immer noch die Zahl der Exemplare, die so genannte Auflage, Aufschluss über den Verkaufserfolg. Dazu wird seit einigen Jahren die Reichweite der entsprechenden zum jeweiligen Titel gehörenden Online-Angebote wie e-paper gerechnet.

von René Martens

Überprüft wird dies von einem von den Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen getragenen Verein, die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW). Bei gedruckten Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften schlüsselt diese Prüfgemeinschaft auf, wie sich deren Auflagen zusammensetzen: Wie viel wurde im Einzelverkauf, also am Zeitungskiosk, im Supermarkt oder an Tankstellen abgesetzt? Wie viele Abonnements gibt es, bei denen die Leserinnen und Leser für einen längeren Zeitraum einen bestimmten Titel beziehen und dafür einen ordentlichen Rabatt bekommen? Wie viele Exemplare brachten die Verlage verbilligt als so genannte "sonstige Verkäufe" unters Volk, zum Beispiel durch fast kostenlose Exemplare für Hotels, die Bahn oder Fluglinien? Die Auflagenhöhen werden jeweils einmal pro Quartal, also alle drei Monate, aus den von den Verlagen an die IVW gemeldeten Zahlen errechnet.

Entscheidend ist die "harte Auflage"

Fachleute nutzen diese Daten, um die "harte Auflage" zu ermitteln. Dabei werden nur die Einzelverkäufe und Abonnements berücksichtigt. Das Magazin Stern meldete zum Beispiel 390.044 verkaufte Exemplare im dritten Quartal 2020. Die "harte Auflage", mit der der Verlag wirklich Geld verdient, lag aber nur bei 265.897 Exemplaren. Es gibt auch namhafte Titel, die ihre Verkaufszahlen nicht von der IVW prüfen lassen. Dazu gehören etwa das Satiremagazin Titanic und Axel Springers Musikzeitschriften Rolling Stone, Musikexpress und Metal Hammer.

Die wachsende Bedeutung von Nutzerdaten

Einen großen Teil von Analyse- und Forschungsdaten verwenden Medienhäuser ausschließlich intern. Um zu ermitteln, wie gut welche Artikel in den Druckausgaben von Zeitungen ankommen, arbeiten Verlagshäuser mit Dienstleistern wie ReaderScan oder Lesewert zusammen. Um die Beliebtheit der Artikel zu messen, statten sie ausgewählte Leser mit Scanstiften oder -brillen aus, die messen, welche Artikel wie lange gelesen werden. Die so gewonnenen Daten werden etwa via Smartphone an die Verlage übermittelt.

Gezielte Online-Angebote

Eine noch größere Rolle in der Strategie der Redaktionen spielen die Daten, die das User-Verhalten im Netz liefert. Wie lange sich ein Nutzer mit einem Text aufhält; ob er relativ früh aussteigt oder nicht; ob er von dort aus weiter klickt zu einem anderen Artikel des Angebots - all das wird ausgewertet. Für Verlage eine der wichtigsten Fragen: Welche Texte motivieren dazu, ein Online-Abo abzuschließen? Joachim Dreykluft, der Onlinechefredakteur der Zeitungen der Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlage (SHZ) empfiehlt den Kollegen landauf, landab: "Messt! Messt! Messt! Und redet drüber."

Und Thomas Kaspar, heute Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, sagte in einem Interview 2018 (zu der Zeit war er noch Co-Chefredakteur der zentralen Digitalredaktion der Regionalzeitungsgruppe Ippen): Weil man das Medien-Nutzungsverhalten bestimmter Zielgruppen kenne, könne man für diese "gezielt Inhaltswelten aufbauen".

Personalisierte Inhalte

Die Nachrichtenagentur dpa, mehrere Regionalzeitungsverlage und eine Unternehmensberatungsfirma haben im Sommer 2020 ein Projekt gegründet, dessen Ziel die Erstellung von personalisierten Inhalten ist. Zunächst sollen "die Beteiligten Nutzungsdaten analysieren, die Themenvorlieben der Leser ermitteln und Erfolgsfaktoren für Inhalte bestimmen. Welcher Inhalt passt am besten zu welcher Nutzergruppe in welchem Kontext – zum Beispiel unterwegs mit dem Smartphone oder auf dem Sofa mit dem Tablet?"

Journalistische Autonomie wird geschwächt

Silke Fürst vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Uni Genf kritisiert, dass die extensive Messung von Nutzerdaten "wahrscheinlich" die "journalistische Autonomie" der Redakteure schwächt und die traditionellen Relevanzkriterien aushebelt.

Der Grund für ihre Skepsis: Aus kommunikationswissenschaftlichen Studien zum Thema Nutzerdatenanalyse geht hervor, dass viele Redaktionen von den Messungsergebnisse abhängig machen, wie sie Texte auf ihrer Website platzieren. Das heißt: Oft genug ist nicht das nach journalistischen Kriterien relevanteste Thema am besten platziert, sondern das, was am ehesten bei den Nutzern ankommt. Beim Thema Echtzeit-Messung des Online-Nutzerverhaltens steht also eine ähnliche Frage im Raum wie bei den TV-Quoten: Wie weit darf man sich von den Zahlen wirklich leiten lassen?

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