RechtsextremismusWas zum Verbot der "Artgemeinschaft" geführt hat
Das Bundesinnenministerium hat die rechtsextreme Gruppierung "Artgemeinschaft" verboten. Doch was ist eigentlich diese Gruppierung, die als älteste Neonazi-Organisation Deutschlands gilt? Die völkisch-heidnischen Rechtsextremisten waren auch in Thüringen aktiv.
- Die rechtextreme Gruppierung "Artgemeinschaft" wurde verboten.
- Sie hatte auch Verbindungen nach Mitteldeutschland.
- Vergangene Woche war die Polizei bereits gegen die "Hammerskins" vorgegangen.
Es ist ein Verbot mit Symbolcharakter, denn die 1951 vom ehemaligen Waffen-SS-Mitglied Wilhelm Kusserow gegründete sogenannte "Artgemeinschaft - Germanisch- Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." mit Sitz in Berlin gilt als älteste Neonazi-Organisation Deutschlands.
Laut der Vorbemerkung einer Anfrage der Linke-Fraktion im Bundestag vom Mai 2022 will der Glaubensbund "der Bewahrung, Erneuerung und Weiterentwicklung der Kultur der nordeuropäischen Menschenart" dienen und an die Wertvorstellungen der heidnischen Vorfahren anknüpfen. Dabei vertritt sie völkisch-rassistisches und antisemitisches Gedankengut und fungiert als Schnittstelle zwischen dem völkisch religiösen Spektrum und der Neonaziszene".
Demnach war Stephan Ernst, der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Mitglied der "Artgemeinschaft". "Beate Zschäpe und andere Personen aus dem NSU-Umfeld nahmen an Veranstaltungen der Gruppierung teil", heißt es weiter in der Vorbemerkung der Fraktion.
Die Antwort der Bundesregierung fiel damals spärlich aus. Lediglich die Siedlungsbestrebungen der Rechtsextremisten bestätigte die Bundesregierung. Eine weitergehende Beantwortung der Anfrage wurde verweigert mit dem Verweis auf mögliche Rückschlüsse auf den Kenntnisstand und die Arbeit des Verfassungsschutzes.
Verbindungen nach Mitteldeutschland
Der Leiter der "Artgemeinschaft" Jens B. hat nach MDR-Informationen den verurteilten NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben mit seiner Familie nach der Haftentlassung auf seinem Hof in Bornitz in Sachsen-Anhalt aufgenommen. Der MDR hatte 2018 über Wohllebens Aufenthalt in Bornitz im Burgenlandkreis berichtet.
In Thüringen hat die Gruppierung laut der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Katharina König-Preuss im Thüringer Landtag vom Juli 2022 lediglich Mitglieder im niedrigen zweistelligen Bereich, bundesweit sind es rund 150. Allerdings finden regelmäßig Treffen der Rechtsextremisten im Freistaat statt, sogenannte "Gemeinschaftstagungen".
So organisierte die Gruppe zwischen Dezember 2019 und Juli 2022 laut Thüringer Innenministerium unter Ausschluss der Öffentlichkeit sechs Treffen in einer Wanderherberge im nordthüringischen Ilfeld mit zum Teil mehreren hundert Mitgliedern, Förderern und Abonnenten der vierteljährlich erscheinenden "Nordischen Zeitung" aus dem gesamten Bundesgebiet.
Zweiter Schlag gegen die Neonaziszene
Mit dem Verbot der "Artgemeinschaft" ist das Bundesinnenministerium bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen gegen die organisierte Neonaziszene in Deutschland vorgegangen. Am vergangenen Dienstag wurden der deutsche Ableger der so genannten "Hammerskins" verboten, allerdings galten die damit einhergehenden Durchsuchungen nach MDR-Recherchen lediglich den Chefs der Regionalableger und nicht den Vertretern der wichtigen Wirtschafts- und Sicherheitstrukturen der Gruppierung.
Das Verbot dürfte die Szene zwar geschwächt, aber keinesfalls handlungsunfähig gemacht haben. Mit der "Artgemeinschaft" traf das Verbot nun eine verhältnismäßig wenige Mitglieder zählende, aber symbolträchtige alte Gruppierung der Neonaziszene, die die völkische Siedlungsbewegung vorangetrieben hatte.
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MDR (ahem/cfr)
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 27. September 2023 | 19:00 Uhr