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ProtestIst ein Generalstreik in Deutschland möglich?

12. Januar 2024, 05:00 Uhr

Angesichts der Bauernproteste hatte etwa die Thüringer AfD zu einem Generalstreik aufgerufen. Doch wäre eine solch umfassende Arbeitsniederlegung großer Teile der Bevölkerung in Deutschland überhaupt erlaubt?

von Carmen Fiedler, MDR THÜRINGEN

Ein Generalstreik ist in Deutschland rechtlich so gut wie unmöglich. Zwar lässt sich aus dem Grundgesetz ein Recht auf Arbeitsniederlegungen in Tarifkonflikten zwischen Arbeitnehmern und -gebern ableiten. Doch wie es beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags heißt, sind Streiks "um ihrer selbst willen" oder mit politischen Zielen durch das deutsche Streikrecht nicht gedeckt.

Streikrecht gilt nicht für politische Forderungen

Gestreikt werden darf in Deutschland demnach nur dann, wenn man beispielsweise konkrete Lohnabschlüsse erreichen will. Das Entscheidende ist, dass sich der Streik - also die Arbeitsverweigerung - auf den Abschluss eines Tarifvertrags bezieht, nicht auf politische Ziele oder Ideen.

Auch wenn nun etwa die AfD in Thüringen angesichts der Bauernproteste dazu aufgerufen hat - ein Generalstreik, also ein politischer Protest, bei dem große Teile der Bevölkerung ihre Arbeit niederlegen, hat in Deutschland keine rechtliche Grundlage. Es gibt nur eine Ausnahme: Nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags wäre ein Generalstreik wohl dann gerechtfertigt, wenn die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik bedroht wäre. Die Fachleute beziehen sich auf Artikel 20 des Grundgesetzes, in dem steht: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."

Zum Aufklappen: Was ist ein Generalstreik?

Unter Generalstreik wird eine besondere Form des Streiks verstanden, bei der die Arbeitnehmer eines Gebiets unabhängig von der Art ihrer Tätigkeit über alle Wirtschaftszweige hinweg die Arbeit niederlegen. Häufig enthalten Definitionen des Generalstreiks den Begriff des "politischen Protests", dem sich große Teile der Bevölkerung anschließen und der Handel, Verkehr, Post sowie Ver- und Endsorgung zum Erliegen bringt.

Quelle: Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages

"Die Rechtsprechung in Deutschland sagt klar, dass für politische Ziele Streiks nicht möglich sind. Auch Generalstreiks für politische Ziele sind ausgeschlossen", sagt auch Ernesto Klengel vom Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht.

Ein unrechtmäßiger Streik oder Generalstreik könnte Schadenersatzforderungen zur Folge haben.

Ernesto Klengel | Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht

Bei Streiks für Tarifverträge sind die Teilnehmer rechtlich geschützt, ein solcher Arbeitskampf darf beispielsweise nicht als Kündigungsgrund angeführt werden. Bei Protesten oder Demonstrationen während der Arbeitszeit gilt dieser Schutz nicht.

"Man kann, auch als Unternehmerverband, natürlich zu Demonstrationen aufrufen. Rechtlich ist das aber eine ganz andere Ebene als ein Streik", erklärte Klengel. "Ein unrechtmäßiger Streik oder Generalstreik könnte Schadenersatzforderungen zur Folge haben."

Das heißt, ein Streik, also die Niederlegung der Arbeit, mit dem Ziel, politische Forderungen durchzusetzen, kann Konsequenzen für die streikende Arbeitnehmerin oder den streikenden Angestellten haben. Arbeitgeber können dann beispielsweise auf Unterlassung klagen.

Politische Streiks in den meisten EU-Ländern erlaubt

Im europäischen Vergleich sind politische Streiks neben Deutschland nur in Dänemark und Großbritannien rechtlich nicht erlaubt. In Österreich sind sie zwar erlaubt, aber unüblich, in Schweden sind sie nicht verboten, dürfen aber gegen kein gesetzliches Verbot verstoßen. In allen anderen EU-Mitgliedstaaten sind sie zugelassen oder werden von den Gerichten toleriert.

So haben beispielsweise in Frankreich in den vergangenen Jahren immer wieder umfangreiche Streiks gegen die Renten- und Arbeitsmarktreform stattgefunden. Auch in Belgien kam es 2005 zu Generalstreiks, die sich gegen eine geplante Rentenreform richteten.

Ebenso in Italien: Dort streikten Beschäftigte der Industrie, des Öffentlichen Dienstes und des Dienstleistungssektors 2005 gegen die Sparpläne der Berlusconi-Regierung.

Protest ist etwas anderes als Streik

Selbstverständlich sind politische Proteste in Deutschland nicht nur nicht verboten, sondern ausdrücklich erlaubt. Sie sind aber etwas anderes als ein Generalstreik, bei dem sehr viele Menschen ihre Arbeit niederlegen und der so die Wirtschaft eines Landes lahmlegt. Politischer Protest zum Beispiel in Form von Demonstrationen ist in der Bundesrepublik ein Grundrecht und ausdrücklich im Grundgesetz niedergeschrieben: "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln."

"Dieses Grundrecht ermöglicht es den Bürgerinnen und Bürgern, sich aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu beteiligen", heißt es auf der Website des Bundesinnenministeriums dazu.

Die derzeitigen Bauernproteste sind solche Demonstrationen. Der Streik der Lokführer ist hingegen eine Arbeitsniederlegung, die zum Ziel hat, bestimmte Forderungen im Tarifstreit mit dem Arbeitgeber durchzusetzen. Und dafür sind Streiks in Deutschland explizit gedacht.

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MDR (caf)

Dieses Thema im Programm:Das Erste | MITTAGSMAGAZIN | 08. Januar 2024 | 12:10 Uhr