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Gewalt gegen FrauenKein Geld für einen der raren Plätze im Frauenhaus

25. November 2023, 05:00 Uhr

Frauen, die in ihrer Partnerschaft Gewalt erleben und Schutz suchen, finden teils nur schwer Schutz in einem Frauenhaus. Denn es fehlen 14.000 Plätze – und rund ein Viertel der Bewohnerinnen müssen für ihren Platz im Frauenhaus bezahlen. Was für katastrophale Folgen das haben kann, zeigt dieser Fall.

Eines Abends sei die Situation eskaliert, erzählt die Frau. Ihr Mann habe sie auf den Boden geworfen, auf ihrem Bauch gekniet und ihr den Mund zugehalten. "Ich konnte nicht atmen. Ich habe gedacht, dass ich sterben werde", berichtet Mavi. Das ist nicht ihr richtiger Name. Sie will unerkannt bleiben.

Mavi stammt aus der Türkei und sagt, dass sie dort in einer Anwaltskanzlei gearbeitet habe. Sie habe einen Deutschen kennengelernt, sei schwanger geworden und zu ihm nach Deutschland gezogen. "Er hatte ein Problem mit der Kontrolle. Zum Beispiel wie ich sitze, wie ich esse, was ich esse, was ich anziehen soll", sagt sie. Doch bei verbalen Erniedrigungen sei es nicht geblieben.

Ich habe gedacht, dass ich sterben werde.

Mavi

Mavi erzählt, dass sie damals häufig in einen Park gegangen sei und dort geweint habe. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

An jenem Abend wäre, laut Mavi, der gemeinsame, damals einjährige Sohn in seinem Gitterbettchen direkt daneben gewesen. "Also es ist im gleichen Zimmer passiert. Und er hat wirklich total geweint." Sie habe große Angst gehabt – um ihr Kind, um ihr Leben. MDR Investigativ hat ihren Ex-Mann angefragt: Er schreibt, es seien Unterstellungen, alles sei unwahr. Seine Ex-Frau versuche, ihn zu verunglimpfen.

Mavi erzählt, er habe sie immer weiter gedemütigt und sei immer wieder gewalttätig geworden. Sie sei damals häufig in einen Park gegangen. "Dort habe ich gesessen und geweint." Sie habe nicht gewusst, wie sie aus dieser Situation herauskommen könne. Sie kannte niemanden und sprach damals noch kein Deutsch. Dann habe sie eine Frau im Park angesprochen. "Sie hat mich gefragt, ob ich Hilfe brauche. Dann habe ich geweint, alles erzählt und bin mit ihr zum Frauenhaus gegangen. Sie hat einen Termin für mich vereinbart."


HilfetelefonSie sind oder waren selbst von Gewalt betroffen, Sie wollen in Ihrem Umfeld Betroffene unterstützen oder sind beruflich mit dem Thema in Kontakt gekommen?
Das Hilfetelefon berät Sie jederzeit kostenfrei und anonym unter: 08000 116 016
Auf der Webseite www.hilfetelefon.de finden Sie weitere Hilfsangebote, etwa per E-Mail oder im Chat.

Eine Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend, für Angehörige sowie Personen aus dem sozialen Umfeld von Kindern, für Fachkräfte und für alle Interessierten bietet das Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch" unter der Telefonnummer 0800 22 55 530 (kostenfrei).

Schock im Frauenhaus

Doch es dauert noch eine Weile, bis sie den Entschluss fasste, ihren Mann wirklich zu verlassen. Sie erzählt: Erst nach einem erneuten, heftigen Gewaltausbruch habe sie den Schritt ins Frauenhaus gewagt. Es war ein Freitagabend, kurz vor Weihnachten. Mavi berichtet, sie sei im Frauenhaus meistens alleine gewesen mit ihrem fast einjährigen Kind. Es hätte an dem Wochenende keine Beratung für sie gegeben, nur die Aufnahme. Und ihr sei gesagt worden, dass sie sich an den Kosten für den Aufenthalt beteiligen müsse. Das Frauenhaus bestätigt auf Anfrage, dass Mavi dort war und teilt mit, dass es für sie und ihren Sohn knapp zwölf Euro pro Tag waren.

Für Mavi ein Schock: "Also, das hat mich wirklich auf den Boden gestürzt." Die Bürokratie habe ihr eine zusätzliche Last auferlegt. Die Kosten habe sie nur tragen können, weil sie kurz zuvor Geld von den Eltern ihres Mannes zum Geburtstag bekommen habe. "Ich hatte schon Angst, ihn zu verlassen. Sie haben es mir nicht leichtgemacht, sondern noch eine Last sozusagen auf meine Schulter gegeben." Kurz danach sei sie zurück zu ihrem Mann gegangen. Und sie sei wieder schwanger geworden. Sie erzählt, bald sei er wieder sehr brutal geworden.

Sie musste weg – sofort. Doch das Frauenhaus konnte sie ja nicht bezahlen. Eine Freundin nimmt sie auf. Mavi hat zwei Tage später das Baby verloren. Eine Anzeige gegen ihren Mann hat sie zurückgenommen. Es ist rechtlich also nicht erwiesen, dass er gewalttätig war. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung. 

Zu wenige Frauenhaus-Plätze in Deutschland

Die Chefin vom Wegweiser e.V., Kerstin Kupfer, im Gespräch. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

MDR Investigativ durfte in einem Frauenhaus im Landkreis Leipzig drehen. Das ist normalerweise nicht möglich: Aus Sicherheitsgründen und zum Schutz der Betroffenen. Aus Schutz vor den Gewalttätern wird auch die Adresse nicht veröffentlicht. Die Chefin Kerstin Kupfer vom Wegweiser e.V. erklärt, dass es immer wieder zu Abweisungen von Frauen kommt. Das bedeutet: Frauen in höchster Not können nicht aufgenommen werden, weil das Haus voll ist. Im letzten Jahr mussten 56 aller Frauen, die dorthin wollten, abgewiesen werden. Sie müssen woanders einen Platz finden.

"Es ist traurig. Dass ich das jetzt sagen muss, dass das Normalität ist", sagt Kupfer. Es habe andere Zeiten gegeben, wo die Ablehnung eine Ausnahme gewesen sei – zumindest im ländlichen Raum. "Aber ich denke, es zeigt einfach eine objektive Tatsache, dass es in Deutschland zu wenig Frauenhausplätze gibt."

14.000 Frauenhausplätze fehlen in Deutschland, legt man die Vorgaben des wichtigsten internationalen Abkommens zum Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt – der sogenannten Istanbul-Konvention – zugrunde. Rund 400 Frauenhäuser gibt es in Deutschland. Wie ernst die Situation ist, zeigt die Website "frauenhaus-suche.de". Darauf sind die meisten Punkte rot. Das heißt, es ist kein Platz frei. "Also es gibt mal so Momente, wo mal zwei oder drei Frauen ausziehen. Dann ist mal vorübergehend grün. Aber es ist nie sehr lange", berichtet Kupfer.

Frauen, die Schutz suchen, müssen teils in Obdachlosenunterkünfte

Es kommt inzwischen häufig vor, dass gewaltbetroffene Frauen zunächst in Obdachlosenunterkünften unterkommen müssen, weil nirgendwo ein Frauenhausplatz frei ist. "Das ist kein schöner Moment in unserer Arbeit, weil wir treten ja an, einen Schutzraum zu bieten", sagt Kupfer.

Und da fehlt es an Personal. Und irgendwo muss man dann schweren Herzens auch sagen, was man leisten kann.

Kerstin Kupfer | Chefin Wegweiser e.V.

Doch der Chefin des Frauenhauses mit insgesamt sieben Zimmern bleibe letztlich nur ein Abwägen. "Mir bringt das ja nichts, wenn ich hier das Haus vollmache bis auf den letzten Platz. Und ich habe dann hier knapp zwei Vollzeitstellen", so Kupfer. "Also es geht ja nicht darum, dass sie nur ein Dach über dem Kopf haben, sondern dass wir die Frauen auch begleiten und betreuen. Und da fehlt es an Personal. Und irgendwo muss man dann schweren Herzens auch sagen, was man leisten kann."

In 90 Landkreisen in Deutschland gibt es gar kein Frauenhaus. Denn das zählt zu den freiwilligen kommunalen Leistungen. Und auch die Finanzierung ist kompliziert. Frauenhäuser werden von Bund, Land, Kommunen und den freien Trägern bezahlt. In jedem Bundesland, in jeder Kommune ist es anders geregelt.

Scharfe Rüge für die Bundesregierung

Deutschland hat die Istanbul Konvention unterschrieben, 2018 trat sie hier in Kraft. Dieses internationale Abkommen schreibt vor, wie Frauen und Kinder vor Gewalt geschützt werden sollen: Politik muss Gesetze zum Schutz erlassen. Prävention soll beispielsweise durch Bildung zum Thema häusliche Gewalt gefördert werden. Und es muss ausreichend Frauenhäuser geben.

Die internationale Expertengruppe "GREVIO" überprüft regelmäßig, ob die Konvention ordnungsgemäß umgesetzt wird. Sie rügt die Bundesregierung scharf in diesem Punkt. Dabei hatte die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP Besserung gelobt – nachdem unter der Vorgängerregierung in Sachen Istanbul-Konvention wenig passiert war.

So steht im Koalitionsvertrag von 2021: "Wir werden das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern und einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen." Dabei wolle sich der Bund an der "Regelfinanzierung" beteiligen.

Doch umgesetzt ist dies bisher nicht. Das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) antwortet auf Anfrage von MDR Investigativ dazu: "[…] das BMFSFJ arbeitet derzeit federführend an einer bundesgesetzlichen Regelung […]." Das Gesetzesvorhaben sei ein wichtiger Baustein zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland. "Angestrebt wird, das Gesetzesvorhaben noch in dieser Legislatur zu verabschieden."

Oft reicht das Geld der Frauen nicht

In den in den meisten Frauenhäusern wird die Miete der Bewohnerinnen über Sozialleistungen finanziert, zum Beispiel Bürgergeld. Das bedeutet aber auch: Frauen ohne Sozialleistungen müssen die Miete im Frauenhaus selbst bezahlen. So wie Mavi, die als Türkin, die mit einem Deutschen verheiratet ist, keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat. Theoretisch muss ihr Mann für ihren Unterhalt aufkommen. Auch Rentnerinnen, Auszubildende, Studierende müssen für ihren Platz im Frauenhaus bezahlen (meist nur anteilig, nicht komplett). Laut der Statistik des Frauenhauskoordinierung e.V. betraf das jede vierte Frau im Jahr 2022.

"Selbst dann, wenn sie arbeitet, sind die Frauen, die wir bisher ja hatten und die länger bleiben mussten, auch keine Großverdienerinnen", berichtet Kupfer. Da reiche es leider oft gerade so für den Umzug. In dem Frauenhaus unter ihrer Leitung kostet ein Zimmer 13 Euro. Hinzu komme die soziale Betreuung. "Also man bezahlt über 20 Euro für so einen Platz. Pro Kalendertag." Oft kommen die Frauen mit Kindern. Und die Kinder werden als volle Personen berechnet. Das bedeutet, ein Aufenthalt für eine Frau mit zwei Kindern kostet 60 Euro pro Kalendertag, also rund 1.800 Euro pro Monat.

Ich habe das geschafft. Er hat keine Macht mehr über mich.

Mavi

Die Zimmer sind klein und die Gänge eng. Zwei Personen müssen sich schon schlank machen, um aneinander vorbeigehen zu können. Es ist stickig. Lüften geht kaum. Ständig donnern LKW vorbei. "Ja und dann lebt man hier in so einem Zimmerchen mit Rahmenbedingungen, die deutlich verbesserungswürdig sind. Da finde ich den Preis dann auch nicht gerechtfertigt", so Kupfer. In diesem Frauenhaus gibt es einen Notfallfonds für Fälle, in denen die Frauen keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben und nicht ausreichend Geld. Sie müssen dort meist nichts bezahlen. Andere Frauenhäuser sind schlechter finanziert.

Und was ist aus Mavi geworden? Das Frauenhaus und die Beratungsstelle haben ihr sehr geholfen, ein eigenes Leben aufzubauen, haben sie kostenlos beraten und unterstützt. Aber die Trennung wäre ohne private Hilfe unmöglich gewesen. Inzwischen hat sie eine Ausbildung im medizinischen Bereich abgeschlossen und arbeitet Vollzeit in einer Klinik. "Ich habe das geschafft. Er hat keine Macht mehr über mich." Allerdings: Der Weg raus aus der Beziehung war für Mavi äußerst schwer. Und sie habe sich von den Behörden dabei zu wenig unterstützt gefühlt.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 22. November 2023 | 20:15 Uhr

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