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Gender Care GapDoppelt so viele Frauen wie Männer pflegen in Deutschland ihre Angehörigen

16. Februar 2024, 05:00 Uhr

Wenn Menschen ihre Angehörigen pflegen, bleibt diese Arbeit in Deutschland meist an Frauen hängen. Das zeigt ein neuer Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Das Phänomen wird auch als "Gender Care Gap" bezeichnet, also eine Lücke zwischen den Geschlechtern bei der unbezahlten Arbeit, die sie in die Pflege Angehöriger stecken. Wie groß diese Lücke zwischen Männern und Frauen ist, unterscheidet sich in Europa von Land zu Land stark. Woran liegt das?

Mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer pflegen in Deutschland Angehörige außerhalb ihres eigenen Haushalts. So steht es in der Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW.

Seine Erfahrung bestätigt das, sagt Frank Kaupe, Pflegedienstleister bei der Arbeiterwohlfahrt in Leipzig. Wenn er Menschen berät, die beispielsweise ihre Eltern pflegen, sieht er oft eine klare Rollenverteilung: "Das bleibt an Frauen hängen. Also die Söhne, sage ich mal, die machen das Organisatorische, die gehen einkaufen, vielleicht spazieren oder so und kümmern sich auch um die Kommunikation mit den Kassen, Apotheken und den Sanitätshäusern. Aber was die Pflege an sich betrifft, das Arbeiten am Menschen, das bleibt schon an den Töchtern oder an den Ehefrauen hängen."

Gründe für den Gender Care Gap

Ein Grund dafür: Auch auf dem Arbeitsmarkt gibt es immer noch große Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Laut Mia Teschner, Mitautorin der DIW-Studie, ist es in gemeinsamen Haushalten oft billiger, die bezahlte Arbeit der Frau zu Gunsten der Pflege Angehöriger zu opfern: "Ein wichtiger Aspekt ist, dass Frauen oft diejenigen im Haushalt sind, die insgesamt weniger verdienen und auch weniger arbeiten. Das bedeutet, dass für Frauen die Kosten beziehungsweise die Verringerung des Haushaltseinkommens geringer sind, als wenn der Partner im Haushalt aufhört zu arbeiten oder seine Arbeitszeit verringert."

So verstärkt der "Gender Pay Gap" auch den "Gender Care Gap" – und umgekehrt. Denn wer unbezahlte Pflegearbeit übernimmt, arbeitet logischerweise oft weniger im bezahlten Job oder gibt die Arbeit ganz auf.

DIW-Vorschlag: Pflegeversicherung und Pflege in Heimen ausbauen

Um diese Lücke langfristig zu schließen, schlagen die Autoren vom DIW den Ausbau der Pflegeversicherung und der Pflege in den Heimen vor. Nach ihren Daten ist in europäischen Ländern, die mehr Geld für die stationäre Pflege ausgeben, die Last gerechter verteilt. In Ländern wie Belgien, der Schweiz oder Schweden verringere das die Notwendigkeit, Angehörige zu Hause zu pflegen. Damit werde besonders Frauen der Zugang zu Erwerbsarbeit erleichtert.

Verein für pflegende Angehörige fordert Ausbau von Tagespflege

Notburga Ott sieht das anders. Die ehemalige Hochschulprofessorin hat lange ihre Eltern gepflegt und engagiert sich bei "Wir Pflegen", einem Verein für pflegende Angehörige: "Es wird ja immer nur auf die Heimplätze geschaut oder die ambulante Pflege. Das hilft beides nicht dafür, um erwerbstätig zu bleiben. Sondern da bräuchten wir deutlich mehr Tagespflege."

Frank Kaupe von der AWO Leipzig pflichtet ihr bei. Das Konzept der Tagespflege sei zu unbekannt, dabei entlaste es Erwerbstätige ganz konkret: "Er wird ja früh mit dem Fahrdienst abgeholt, ist dann sechs, sieben, acht Stunden in der Tagespflege und kommt nachmittags mit dem Fahrdienst wieder und so lange hat der pflegende Angehörige Zeit für sich selbst, um arbeiten zu gehen, um Organisatorisches zu leisten, all solche Sachen."

Allerdings fehlten dafür auch genügend entsprechende Angebote. Zudem sind sie vielen zu teuer oder Pflegebedürftige hätten zu Unrecht Berührungsängste, so Kaupe. Letztlich, sagt Notburga Ott von "Wir pflegen e.V.", sei das Schließen der Gender Care Gap auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Denn wie beim Übernehmen der Kinderbetreuung durch Männer dauere es oft mehrere Jahrzehnte, bis Veränderungen bei den Geschlechterrollen sichtbar würden.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 16. Februar 2024 | 06:51 Uhr