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Die eigenen Eltern zu pflegen ist eine große Herausforderung. Bildrechte: picture alliance/dpa | Paul Zinken

Eltern pflegenViele pflegende Angehörige zeigen depressive Symptome

25. Oktober 2022, 11:42 Uhr

Wenn die Eltern pflegebedürftig werden, ist das ein emotionaler Prozess – die eigene Rolle als Kind verändert sich. Alltägliche Dinge, die früher selbstverständlich waren, gehen dann nicht mehr: sich waschen, anziehen oder Essen kochen. Manche Kinder entscheiden sich, ihre Eltern bis zu ihrem Tod zu pflegen. Was macht das emotional mit ihnen und wie bekommen sie Untersützung von der Pflegekasse? Eine Reportage.

Katrin legt ein Handtuch um die Schultern ihrer 85-jährigen Mutter. Sie stehen im Bad, Katrin reicht ihr eine Zahnbürste mit Zahnpasta drauf: "Schön gründlich putzen." Dann cremt sie das Gesicht ihrer Mutter ein. So wie Katrin geht es vielen Menschen in Deutschland. Im Jahr 2020 wurden etwa 65 Prozent der Pflegebedürftigen allein von Angehörigen versorgt. Ein Großteil davon sind Frauen. Katrin hat das Gefühl, sie muss es einfach tun – wenn die Eltern einen selbst schon erzogen und umsorgt haben, könne man das auch zurückgeben.

Ich finde einfach, sie hat es verdient, dass wir uns um sie kümmern. Es ist einfach so aus meinem Inneren heraus, dass ich meine Mutti einmal am Tag sehen muss. Gucken, ob es ihr gut geht. Mich um sie sorgen.

Katrin, pflegt ihre 85-jährige Mutter

Angst vor Autonomieverlust

Anlass für die Pflege war ein Sturz ihrer Mutter, erzählt Katrin. Sie sei damals lange nicht ans Telefon gegangen, sei in der Küche gestürzt und habe dort am Ende 15 Stunden gelegen. Als sie aus der Klinik wiederkommt, merken Katrin und ihre Geschwister, dass es so nicht weitergehen kann. Doch ihre Mutter lehnt ein Pflegeheim vehement ab, auch eine mobile Pflegekraft, die zu ihr nach Hause kommt. Dahinter kann oft die Angst stehen, seine Autonomie zu verlieren, meint Gabriele Wilz. Sie ist Professorin an der Uni Jena und leitet die Abteilung für klinisch-psychologische Intervention. Zu pflegenden Angehörigen forscht sie seit fast 30 Jahren.

Ich habe mein ganzes Leben, meine ganzen 80 Lebensjahre selbstbestimmt gelebt und entschieden, was ich für mich brauche. Und das ist dann natürlich ein riesiger Eingriff, wenn jetzt vermeintlich fremde, also erstmal fremde Menschen, in die Privatsphäre kommen.

Gabriele Wilz | Uni Jena

Pflegende Angehörigen zeigen depressive Symptome

Doch auch für die Kinder ist die neue Situation schwer. Die Rollen tauschen sich komplett um, viele Angehörige übernehmen die Pflege neben ihrer 40-Stunden-Woche. Deshalb zeigen laut der Professorin etwa die Hälfte der Angehörigen depressive Symptome wie Reizbarkeit, Schlafstörungen oder körperliche Erschöpfung. Im Gespräch frage sie oft: "Wenn Sie mal überlegen, in ein bis zwei Jahren oder auch Monaten, wie lange halten Sie das noch durch?" Es sei außerdem wichtig, sich selbst Auszeiten zu erleben, sogenannte Oasentage zu haben, die andere Familienmitglieder mit ermöglichen.

Musik kann bei Demenz Erinnerungen wecken

Für die Angehörigen hat Wilz deshalb ein Teletandem entwickelt. Dabei werden sie einmal die Woche von Psychotherapeutinnen und -therapeuten angerufen, können etwa eine Stunde über ihre Situation sprechen.

Die Professorin forscht auch viel zu Demenzerkrankungen, die eine Beziehung zwischen Eltern und Kind nochmal besonders auf die Probe stellen können. Aktuell sucht Wilz noch Probanden. Dafür kommt sie zu Menschen mit Demenz nach Hause, erstellt mit ihnen eine Playlist mit ihren Lieblingsliedern.

Menschen mit Demenz singen dann plötzlich wieder mit, erkennen die Texte und das ist ganz wundervoll, mitzuerleben. Für die Angehörigen ist es zeitgleich selbst entlastend, weil sie in der Zeit auch mal eine Pause haben oder sich anderen Dingen widmen können.

Pflegegrad erst nach einem Widerspruch?

Auch Katrin pflegt zusätzlich zu ihrer Vollzeitstelle als Erzieherin ihre Mutter knapp zehn bis 15 Stunden pro Woche. Von der Pflegekasse bekommt sie dafür 316 Euro im Monat, also bei der höchsten Stundenzahl etwa fünf Euro pro Stunde. Wer Geld von der Pflegekasse bekommen möchte, der muss in Deutschland zunächst einen Pflegegrad beantragen. Ist das erledigt, kommt ein Gutachter zum Hausbesuch vorbei – um zu schauen, wie pflegebedürftig jemand ist. Das Gutachten entscheidet über die Höhe des Pflegegrads. Er geht von eins bis fünf.

Doch Angehörige berichten immer wieder, dass die Anträge beim ersten Mal abgelehnt werden. Nach Recherchen von MDR AKTUELL wurde im Jahr 2019 bundesweit jeder sechste Erstantrag abgelehnt. Eine Zahlung klappe dann erst nach einem Widerspruch. Johannes Gärtner arbeitet beim Medizinischen Dienst Sachsen und macht solche Hausbesuche. Er sagt, oft gebe es eine Differenz zwischen dem, was sich jemand gerne wünsche und was der Gutachter tatsächlich anrechnen könne.

Dann ist die Sichtweise unterschiedlich. Aber es passt eben nicht in die Pflegebedürftigkeit. Klassisches Beispiel wäre: Einkaufen, Fenster putzen, Bettwäsche bügeln. Hauswirtschaft ist vielen älteren Menschen sehr wichtig. Da brauche ich aber nicht diskutieren, wenn ich über Körperpflege spreche.

Johannes Gärtner, Medizinischer Dienst Sachsen

Bei einem Gutachten kommt Johannes Gärtner zu den Gepflegten nach Hause – fragt dort verschiedene Bereiche ab, zum Beispiel, wie gut man sich selbst noch waschen und anziehen kann oder wie mobil man ist. Am Ende werden Punkte verteilt und zusammengezählt. Je mehr Punkte, desto höher ist der Pflegegrad und damit auch die Geld-oder Sachleistungen.

Bei Katrins Mutter allerdings fand dieses Gutachten zu Beginn der Corona-Pandemie und deshalb am Telefon statt. Die Erzieherin kritisiert, dass sich dann gar kein richtiges Bild gemacht werden konnte. Als sie mit ihrer Mutter spazieren geht, wünscht sie sich vor allem eins für die Zukunft: "Dass man für die älteren Menschen ein bisschen mehr Zeit hat. Und dass sie auch mal wahrgenommen werden." Bunte Blätter rieseln langsam von den Bäumen.

MDR AKTUELL (sbö/asü)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 24. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

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