Streit in der Ampel-KoalitionFDP will bei Rente und Bürgergeld kürzen
Schärfere Regeln beim Bürgergeld, das Aus für die Rente mit 63 – ein Papier der FDP mit Kürzungplänen im sozialen Bereich sorgt für neuen Ärger in der Ampel-Koalition. Scharfe Kritik kommt vor allem aus der SPD.
- Ein neuer Zwölf-Punkte-Plan der FDP mit Einschnitten im Sozialbereich sorgt für Streit in der Ampel-Koalition.
- Die SPD-Spitze greift den Koalitionspartner scharf an.
- Am Sonntag hatte bereits Bundesverkehrsminister Wissing mit einem Ende der Ampel-Koalition gedroht.
In der Ampel-Koalition ist ein neuer Streit ausgebrochen. Hintergrund ist ein ein FDP-Konzept, das Einschnitte im sozialen Bereich fordert. Das Parteipräsidium beschloss das Papier am Montagvormittag, am kommenden Wochenende soll der Bundesparteitag der Liberalen darüber entscheiden.
FDP will "Beschleunigung der Wirtschaftswende"
Das Zwölf-Punkte-Konzept sieht unter anderem schärfere Regeln beim Bürgergeld und das Aus für die Rente mit 63 vor. So soll Jobverweigerern künftig 30 Prozent ihrer Leistungen sofort gekürzt werden können. Bislang ist das nur stufenweise möglich.
Neben der Abschaffung der Rente mit 63 Jahren sowie einem Bürokratieabbau sollen dem Konzept zufolge steuerliche Vorteile für Überstunden eingeführt werden. Durch die Einschnitte im Sozialbereich will die FDP die Wirtschaft ankurbeln – konkret ist von einer "Beschleunigung der Wirtschaftswende" die Rede.
Nur wenige Fälle von Kürzungen beim BürgergeldDie Zahl von Bürgergeldempfängern, denen Leistungen wegen der Ablehnung von Arbeitsangeboten gekürzt wurden, war im vergangenen Jahr überschaubar. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit gab es von Februar bis Dezember 2023 15.774 Fälle. Damit ist nur ein sehr kleiner Teil der insgesamt rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehenden betroffen, von denen 3,9 Millionen als erwerbsfähig gelten. Insgesamt zählten die Jobcenter im vergangenen Jahr gut 226.000 Fälle von Leistungskürzungen. Die meisten (84,5 Prozent) erfolgten demnach, weil die Betroffenen ohne Angabe eines wichtigen Grundes nicht zu Terminen erschienen waren.
SPD greift Liberale frontal an
Die SPD lehnt die Vorschläge der Liberalen strikt ab. Generalsekretär Kevin Kühnert erklärte im "Tagesspiegel", man lasse nicht zu, "dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird". Grundlage der Ampel-Koalition bleibe der Koalitionsvertrag, betonte Kühnert.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nannte die Forderungen der FDP "ein Überbleibsel aus der Mottenkiste und nicht auf der Höhe der Zeit". SPD-Chef Lars Klingbeil erklärte, es sei richtig, dass man etwas tun müsse, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern. "Wenn die FDP aber glaubt, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig", sagte Klingbeil der "Bild".
Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat klare Worte: "Man muss, wenn Unsinn vorgeschlagen wird, auch einmal sagen, dass es Unsinn ist", sagte der SPD-Politiker am Montag in Berlin zu dem Zwölf-Punkte-Papier der FDP vom Wochenende. Themen, die für Wirtschaftskompetenz wichtig seien, könne er "in den Vorschlägen nicht erkennen".
Außenministerin Annalena Baerbock bezeichnete die FDP-Vorschläge angesichts der aktuellen Weltlage für problematisch. Man sehe, dass Autokratien die volatile Situation nutzten, um Demokratien zu destabilisieren, sagte die Grünen-Politikerin am Montag auf die Frage, was sie vom Konzept der FDP-Spitzen für eine Wirtschaftswende halte. "Deswegen brauche es gerade in solchen Momenten, gerade vor der Europawahl, Geschlossenheit zwischen allen demokratischen Akteuren in unseren Gesellschaften."
Wagenknecht fordert Neuwahlen am 1. September
In der oppositionellen Union wird das FDP-Papier unterdessen als Zeichen dafür gewertet, dass die Ampel-Koalition kurz vor dem Aus steht. "Das ist nichts anderes als eine Scheidungsurkunde für die Ampel", sagte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder der "Bild am Sonntag".
Die frühere Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht forderte Neuwahlen zum 1. September. Für ein "Trennungsjahr bis Ende 2025 hat das Land keine Zeit", erklärte die Co-Vorsitzende der Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht". Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) solle dem Parlament die Vertrauensfrage stellen. "Der Bundestag sollte den Weg für Neuwahlen am 1. September frei machen." An dem Tag werden in Thüringen und Sachsen neue Landtage gewählt.
Wissing droht mit Koalitions-Ende beim Aufweichen der Schuldenbremse
Mit einem möglichen Ende der Ampel-Koalition hatte am Sonntag bereits Bundesverkehrsminister Volker Wissing gedroht – für den Fall, dass die Schuldenbremse aufgeweicht werde. Der FDP-Politiker sagte im ARD-"Bericht aus der Berlin" auf die Frage, ob SPD und Grüne mithilfe von Unionspolitikern eine Reform der Schuldenbremse auf den Weg bringen könnten: "Das schließt der Koalitionsvertrag aus."
Wissing betonte, wenn der Koalitionsvertrag der "Ampel" mit einer Umgehung der FDP "aktiv und bewusst gebrochen werden würde, dann hätte die Koalition sicherlich keine Zukunft".
dpa, AFP, MDR (fef, jst)
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