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China und der Hamburger HafenCosco-Einstieg in Hamburg: Die Kurzsichtigkeit des Kanzlers

26. Oktober 2022, 20:46 Uhr

Was passiert, wenn Regierungen nur auf ihren eigenen wirtschaftlichen Vorteil bedacht sind, zeigt sich in der durch Russlands Angriffskrieg hervorgerufenen Energiekrise. Ob beim russischen Gas oder chinesischen Handelsrouten, einseitige Abhängigkeiten machen erpressbar. Statt das zu erkennen, sucht Scholz den schnellen Profit. Der Kanzler-Kompromiss zum Cosco-Einstieg beim Hamburger Hafen ist schwer nachzuvollziehen, kommentiert Torben Lehning.

Schnelle Handelserfolge und ein sicherer Hafen. Der Kanzler-Kompromiss zum Cosco-Einstieg beim Hamburger Hafen sieht auf den ersten Blick nach einer klugen Entscheidung aus. Um bei der europäischen Konkurrenz mithalten zu können, schließt der Hamburger Hafen einen Vertrag mit dem chinesischen Handelskonzern Cosco. Hamburg soll – so die Zusage des chinesischen Staatskonzerns – dadurch künftig priorisiert von chinesischen Containerschiffen angefahren werden.

Auf den ersten Blick ein Erfolg

Marktwirtschaftlich sieht das zunächst nach einem Erfolg aus. Dank des heutigen Kabinettsbeschlusses sollen die chinesischen Anteile am Container-Terminal Tollerort auf 24,9 Prozent festgeschrieben werden, sodass Cosco keine Entscheidungsrechte am Hamburger Hafen erhalten würde. Gerade angesichts der bevorstehenden Rezession eine gute Nachricht für die verarbeitende Industrie in Deutschland, die in vielerlei Hinsicht von chinesischen Gütern abhängig ist.

Die mit Abstand meisten importierten Waren in Deutschland kommen aus dem Reich der Mitte. Zwischen den beiden Staaten wurden im vergangenen Jahr Waren im Wert von 245,4 Milliarden Euro gehandelt. Diese Handelsbeziehungen durch eine Absage des lang geplanten Hamburger Hafen-Deals, eine Woche vor der China-Reise von Kanzler Scholz, zu belasten, könnte die angeschlagene deutsche Wirtschaft vor weitere Probleme stellen.

Scholz baut lieber einen Kompromiss: Der soll die chinesischen Handelspartner an Mitsprache-Rechten beim Hamburger Hafen und möglicher Industriespionage hindern – und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Hansestadt mit europäischen Konkurrenz-Häfen sicherstellen. Ein Mittelweg, der auf den zweiten Blick keiner ist, da er die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von einem autokratischen System verstärkt.

"Russland ist der Sturm, China der Klimawandel"

An Warnungen, den Deal mit Cosco nicht einzugehen, hat es in den vergangenen Tagen nicht gemangelt. Sechs Ministerien, einschließlich Auswärtiges Amt und Wirtschaftsministerium, stellten sich gegen den Plan des Kanzlers, auf eine Voll-Untersagung des Deals mit Cosco zu verzichten. Vom Bundesnachrichtendienst bis zum Bundesamt für Verfassungsschutz warnten die deutschen Geheimdienste vor einer Woche explizit davor, China mit dem Hamburger Hafen-Deal Zugriff auf kritische Infrastruktur in Deutschland zu verschaffen.

Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang erinnerte in der öffentlichen Sitzung des parlamentarischen Kontrollgremiums an die großen wirtschaftlichen Probleme, die sich aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ergeben. "Russland ist der Sturm, China der Klimawandel", sagte Haldenwang. Er könnte recht behalten. Russland demonstriert gerade täglich seine Macht, indem es einen Energiekrieg gegen die Verbündeten der Ukraine führt. Ein Wirtschaftskrieg gegen China würde die deutsche Wirtschaft ungleich stärker treffen als es aktuell der Fall ist.

Sollte China in den kommenden Jahren nach Taiwan greifen – viele Geheimdiensten befürchten das – wären westliche Wirtschaftssanktionen gegen China mehr als wahrscheinlich. Die ausbleibenden Warenströme aus dem Reich der Mitte würden sich nicht mit LNG-Terminals und Energie-Preisbremsen ersetzen lassen. Das ist ein erschreckendes Szenario.

Was tun mit den Wirtschaftsbeziehungen zu China?

Es wirkt etwas zynisch, wenn Oppositionspolitiker von der Union jetzt erklären, der Russlandkrieg habe alles geändert und die Ampel müsse nun sämtliche Wirtschaftsbeziehungen mit China auf den Prüfstand stellen. In Merkels Regierungszeit fallen nicht nur die aktuell so viel kritisierten russischen Gas-Deals – auch die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen durften unter der Union eine Blüte erleben. Doch egal ob bei 5G-Lizenzen oder Hafen-Terminals, die Bundesregierung würde Weitsicht beweisen, wenn sie die Warnungen von der Oppositionsbank und aus den eigenen Reihen ernst nimmt.

Jeder ist sich selbst der nächste. Kein europäischer Hafen, kein europäischer Staat, der auf wirtschaftlichen Profit aus ist, kann derzeit chinesische Angebote leichtfertig ausschlagen. Wenn Hamburg den Deal nicht annimmt, steuern die chinesischen Frachter eben verstärkt Rotterdam an. Diese Zwickmühle zeigt, wie stark die europäische Abhängigkeit von chinesischen Staatskonzernen bereits vorangeschritten ist. Dieser Fakt sollte ein Weckruf sein, keine Einladung, Geschäfte zu machen.

Es muss daher die Aufgabe der Europäischen Union sein, insgesamt die Abhängigkeiten von China zu reduzieren. Der Ausverkauf von Infrastruktur oder die leichtfertige Vergabe von Lizenzen an chinesische Konzerne muss einheitlich reduziert werden. Sonst bleibt die EU ein Spielball Chinas. Die Bundesregierung würde gut daran tun, diesen Prozess als europäisches Schwergewicht voranzutreiben, anstatt kurzsichtig auf den eigenen Profit aus zu sein.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 26. Oktober 2022 | 09:00 Uhr