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Beim "Start ins Leben" haben junge Erwachsene aus Ostdeutschland einen Nachteil. Da sie meist nichts oder nur wenig erben, sind ihre Aussichten darauf, Wohneigentum zu erwerben oder Vermögen aufzubauen, schlechter. Bildrechte: picture alliance/dpa | Ralf Hirschberger

KommentarDas "Grunderbe" ist keine Sozi-Romantik

12. Mai 2022, 20:42 Uhr

Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung schlägt ein Grunderbe für junge Menschen vor. Damit greift er den Vorschlag aus einer DIW-Studie auf – und benennt ein bestehendes Problem, kommentiert Piet Felber-Howitz.

Der Debatte über ein "Grunderbe" droht bereits zu Beginn jene Dynamik, die in Deutschland seit einiger Zeit jede Diskussion um Umverteilungswerkzeuge (Stichwort Vermögenssteuer) verunmöglicht. In den Twitter-Kommentarspalten wird der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), der die Idee von Forschern des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aufgegriffen hat, als "typischer Sozi" diffamiert, der die DDR zurückwolle, beziehungsweise "die DDR-Diktatur" – denn ohne rhetorische Eskalationsfigur geht es natürlich nicht. Dabei benennt der Vorschlag eigentlich ein konkretes Problem.

20.000 Euro Hilfe für junge Leute

Das Grunderbe, wie die DIW-Forscher es vorschlagen, sieht vor, dass 18-Jährige 20.000 Euro erhalten, die sie für Ausbildungszwecke, zum Erwerb von Wohneigentum beziehungsweise zur Vermögensbildung einsetzen sollen. Dass Vermögensbildung durch die Bürgerinnen und Bürger im DDR-Staat sozialstaatliches Ziel gewesen wäre – diesen früheren DDR-Bürgerinnen und -Bürgern wäre das erstmal nicht aufgefallen.

Und damit sind wir beim eigentlichen Punkt. Denn dass ausgerechnet der Ost-Beauftragte das Thema vorbringt, kann ja kein Zufall sein. Tatsächlich haben Ostdeutsche im Großen und Ganzen erst seit 1990 die Möglichkeit, überhaupt Eigentum aufzubauen, das sie irgendwann vererben könnten. Wohingegen Westdeutsche seit drei Generationen Kapital und Immobilien erwerben konnten.

Das ist jetzt etwas schablonenhaft dahingeschrieben, in der Realität gibt es viele Grautöne – seien es die nicht wenigen Ostdeutschen, die schnell nach der Wende Immobilien bauen oder kaufen konnten, westdeutsche Familien, denen üppigerer Wohlstand vielleicht wegen der Verlagerung von Arbeitsplätzen wieder abhandengekommen ist, ganz zu schweigen von gemischten Ost-West-Familiengeschichten und absonderlichen Regionen wie der Hauptstadt Berlin oder noch schlimmer München, wo sich sowieso niemand mehr eine Wohnung leisten kann, ohne sich dem Teufel zu verschreiben (Es sei denn, die Wohnung ist das Erbe).

Ostdeutsche haben "Startnachteil"

Doch unabhängig davon gab und gibt es für die Ostdeutschen einen systematischen Startnachteil, der sich noch lange auswirken wird. Für den im Übrigen auch 20.000 Euro Anschubhilfe nur geringfügig Linderung schaffen. Denn mit 20.000 Euro in Wohneigentum zu investieren, das wäre in ostdeutschen Großstädten mit heruntergekommenem Altbaubestand vor 15 Jahren vielleicht tatsächlich noch möglich gewesen. Aber schon kurze Zeit später ging das kaum mehr, weil seitdem nicht nur in Berlin Immobilienkonzerne den Bestand aufgekauft haben.

Kurzer Exkurs in die Biografie des ostdeutschen Kommentierenden: Hätte ich vor 15 Jahren soviel Geld zur Verfügung gehabt, hätte ich vielleicht darüber nachgedacht, es mit anderen in ein Hausprojekt zu investieren. Damals war ich mitten im Studium in Leipzig – aber 20.000 Euro eine utopische Geldsumme.

Gesetzt den Fall, ich würde für mich und meine Familie heute Wohneigentum in Leipzig erwerben wollen, ich müsste gewiss mehr als das 20-Fache investieren. Einige Westdeutsche, die heute Geld von ihren Großeltern erben, das diese seit den Zeiten des westdeutschen Wirtschaftswunders erarbeitet haben, müssen dafür noch nicht einmal einen Kredit nehmen. Und es ist auch in Ordnung so, wenn sich harte Arbeit der Eltern und Großeltern so auszahlt.

"Ampel" will Vermögensbildung unterstützen

Es ist jedoch auch eine Ungleichheit, für die weder Ostdeutsche noch Westdeutsche, die am Anfang ihrer Berufsbiografie stehen und sich um die langfristige materielle Absicherung ihrer Familie bemühen, etwas können. Aber es ist Aufgabe der Politik, soziale Ungleichheit zu minimieren – mindestens an der Stelle, wo ihr ein systematisches Problem zugrunde liegt. Die DIW-Studie zum Grunderbe kommt zu dem Schluss, dass ein Grunderbe wahrnehmbare positive Folgen für die soziale Gleichheit im Land haben könnte: "Je nach Ausgestaltung sänke der 'Gini'-Koeffizient, das Standardmaß der Ungleichheit, um fünf bis sieben Prozent", beschrieben die Studien-Autoren bei der Vorstellung der Studie am Ende des letzten Jahres.

Der Vorschlag von Carsten Schneider, die Idee des Grunderbes in diesem Sinne zu prüfen, ist also viel mehr als nur reine "Sozi"-Romantik. Man sollte darüber sprechen und eine ernste Debatte ermöglichen. Immerhin hat sich die Ampel-Koalition vorgenommen, die Vermögensbildung zu unterstützen, Wohneigentum zu fördern und die Altersvorsorge zu verbessern.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 12. Mai 2022 | 06:00 Uhr

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