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KommentarDas Machtwort des Kanzlers – alles nur Show?

18. Oktober 2022, 16:56 Uhr

Der Streit um den Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen deutschen Atomkraftwerke ist entschieden. Bundeskanzler Olaf Scholz hat ein Machtwort gesprochen, heißt es nun. Die bis dahin zerstrittenen Minister Robert Habeck und Christian Lindner akzeptieren auffällig klaglos den vom Kanzler vorgegebenen Kompromiss. Aber ist das wirklich schon die ganze Geschichte? Ein Kommentar von Michael Kaste.

Es sind die beiden ersten Sätze in der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Wörtlich heißt es: "Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der [...] Politik. Diese sind für die Bundesminister verbindlich." Genau dieses Prinzip ist jetzt angewendet worden – zumindest dem äußeren Anschein nach. Wochenlang hat Olaf Scholz zugesehen, wie FDP und Grüne den Streit um die Laufzeit der Atomkraftwerke eskaliert haben. Ein Kompromiss: Zuletzt kaum noch vorstellbar. Nun aber hat der Kanzler ein öffentliches Machtwort gesprochen, die Streithähne geben bei. Problem gelöst. Wirklich?

Scholz weniger vorausschauend als er vorgibt

Das Bild vom Kanzler, der entschieden und weitsichtig führt, entspricht genau dem Bild, das Olaf Scholz schon länger von sich in der Öffentlichkeit präsentiert. Legendär sein Satz, dass man bei ihm Führung bestellen könne – und auch bekomme.

Die Wirklichkeit ist weit weniger heroisch, so wie in der zurückliegenden Woche. Da brüstete sich Scholz in der Öffentlichkeit, er hätte schon im vergangenen Jahr gewusst, dass Putin sein Gas als Waffe einsetzen würde. Inzwischen ist ein regierungsinternes Dokument aufgetaucht, das Scholz als Hochstapler entlarvt. Danach hat der Kanzler die Gefahr entweder nicht erkannt oder aber verschwiegen.

Wenig glamourös auch seine politische Rolle im Ukraine-Konflikt. Mit seiner Zeitenwende-Rede im Bundestag hatte Scholz die Erwartung geweckt, dass Deutschland nun eine Führungsrolle in Europa einnehmen würde, zum Beispiel bei den Waffenlieferungen in die Ukraine. Scholz hat diese Erwartungen nicht erfüllt. Damit handelt er zwar im Einklang mit den Wünschen der Wählermehrheit. Wie ein entschlossener Krisenmanager wirkt er allerdings nicht.     

Machtwort? Wohl eher ein Deal

Nun also das vermeintliche Kanzler-Machtwort im Atomstreit, gestern Abend, kurz vor den wichtigen Nachrichtensendungen im TV. Auffällig ist der Zeitpunkt: Noch am Vortag hatte der Kanzler mit den beiden Streithähnen verhandelt, ohne Ergebnis. Auffällig auch, das sowohl Lindner als auch Habeck mit dem jetzt verkündeten Machtwort gut leben können und das auch genau so sagen. Waren die bis Sonntag markierten roten Linien am Ende vor allem zur Beruhigung der grünen Parteibasis gedacht? Kleines Gedankenexperiment: Was wäre passiert, wenn Olaf Scholz sein Machtwort vor dem Parteitag der Grünen gesprochen hätte und nicht erst einen Tag danach?

So jedenfalls wirkt die fernsehtauglich präsentierte Lösung eher wie ein Deal zwischen den Beteiligten als wie ein echtes Machtwort. Denn auch die sogenannte Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers reicht in Wirklichkeit nur soweit, bis einer der zerstrittenen Partner die Koalition platzen lässt. Ob sich Olaf Scholz also tatsächlich vom Zauderer zum Zupack-Kanzler gewandelt hat, bleibt vorerst abzuwarten.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 18. Oktober 2022 | 14:00 Uhr

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