Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
Deutschland muss wieder kriegstüchtig werden – das findet nicht nur Verteidigungsminister Boris Pistorius (Mitte des Bildes), sondern auch ein Großteil der MDRfragt-Gemeinschaft. Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services

MDRfragtMehrheit sieht Nachholbedarf in Sachen Verteidigung

05. März 2024, 05:00 Uhr

Reichen Handel, Diplomatie und strategische Bündnisse, um den Frieden zu sichern — oder brauchen wir angesichts der aktuellen Weltlage wieder Aufrüstung und mehr Investitionen in unsere Armee? Im Stimmungsbild vom Meinungsbarometer MDRfragt sieht es die Mehrheit der knapp 28.000 Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wie Verteidigungsminister Pistorius: Deutschland muss "wieder kriegstüchtig" werden.

Muss Deutschland mehr für seine eigene Verteidigung und Sicherheit tun? Das wollten wir von der MDRfragt-Gemeinschaft angesichts aktueller Debatten darüber wissen. Das nicht-repräsentative, aber nach bewährten wissenschaftlichen Methoden gewichteten Gesamtbild ergibt: Eine Mehrheit sieht Handlungsbedarf in verschiedenen Verteidigungs-Fragen. So finden 70 Prozent der rund 28.000 Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, dass Europa selbst für seine Sicherheit sorgen muss. Auch mit Blick auf Deutschland und die Bundeswehr gibt es mehrheitlich die Ansicht, es müsse mehr getan werden.

Mehrheit stimmt Verteidigungsminister in Sachen "Kriegstüchtigkeit" zu

So meinen knapp zwei Drittel der Befragten, dass Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit seiner Aussage richtig liegt, Deutschland müsse wieder "kriegstüchtig" werden und in die Lage kommen, einen Angriff abzuwehren. Knapp ein Drittel hält das für falsch oder eher falsch.

Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Er hat vollkommen Recht. Die letzten 16 Jahre wurde zu wenig für die Verteidigung gemacht", schreibt uns MDRfragt-Mitglied Peter (66) aus Leipzig mit Blick auf die Aussage des Verteidigungsministers. Und Marco (54) aus dem Landkreis Leipzig findet, eine effektive Wehrhaftigkeit sei die beste Vorsorge, um den Frieden zu sichern. Für sich selbst formuliert er es so: "Umso schwächer die Armee, desto wahrscheinlicher ein Krieg. Ich persönlich bin lieber arm und frei und kann sagen, was ich denke, als wohlhabend und Untertan in einer Diktatur."

Karin (54) aus dem Landkreis Harz spricht für sehr viele aus der MDRfragt-Gemeinschaft mit ihrem Kommentar: "Die Bundeswehr wurde kaputt gespart." Und sie nennt ein weiteres häufig genanntes Argument in Sachen Wehrhaftigkeit: "Der Wehr- beziehungsweise Zivildienst sollte wieder aktiviert werden. Es würde der Gesellschaft gut tun."

Andere stören sich an der Rhetorik, nicht jedoch an dem dahinter stehenden Ziel: "'Kriegstüchtig' ist eine ungeheuerliche, nicht zu akzeptierende Aussage, insbesondere aufgrund der deutschen Vergangenheit", meint Gunhild (68) aus Thüringen. "'Verteidigungsfähig' ist ein vertretbares Ziel. Pistorius ist nicht Kriegsminister, sondern Verteidigungsminister."

Doch es gibt auch viele Befragte, die die Rhetorik insgesamt und auch die Aussage des Verteidigungsministers als Ganzes abschreckt. So ist Gabriele (71) aus Mittelsachsen nicht allein mit ihrem Einwand: "Ich bin zutiefst entsetzt über die aggressive Stimmung in unserem Land. Die Kriegsrhetorik der Ampel macht mir sehr große Sorgen und Angst. Ich möchte nicht 'kriegstüchtig' werden." Sie habe Angst vor einem Dritten Weltkrieg, schreibt Gabriele weiter. Und meint, sie finde es fürchterlich, "dass es nur um Aufrüstung geht, anstatt alle diplomatischen Kräfte zu mobilisieren, um die Welt wieder friedlicher zu machen."

Die Frage, wie Deutschland und Europa den lang anhaltenden Frieden in weiten Teilen Europas sichern und bestehende Konflikte befrieden können, stellt sich seit dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 verstärkt. Was ist neben Diplomatie und Handel an Aufrüstung und strategischen Verteidigungsbündnissen nötig — und was ist vielleicht auch kontraproduktiv? Darüber diskutierten am Montagabend (4. März, 22:10 im MDR-Fernsehen) auch Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Bundeswehr und der MDRfragt-Gemeinschaft in der Talkshow "Fakt ist!" aus Erfurt.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) sagte erst am Wochenende, Deutschland habe bei der Sicherheit zu lange zu wenig getan. Der Grünen-Politiker plädierte im "Handelsblatt für eine stärkere militärische Forschung in der Bundesrepublik und sprach von der "irrigen Hoffnung, der ewige Frieden habe den Kontinent erreicht". Verteidigungsminister Pistorius verteidigte seinen Ruf nach einer "kriegstüchtigen" Bundeswehr, die Voraussetzung für eine erfolgreiche Abschreckung sei. Die Bundesregierung sagte vor diesem Hintergrund dauerhaft mehr Geld und mehr Personal für die deutsche Armee zu.

Kaum jemand hält Bundeswehr für wehrhaft genug im Ernstfall

Eine Stärkung der Bundeswehr ist aus Sicht der MDRfragt-Gemeinschaft auch dringend nötig: Nur ein kleiner Bruchteil der Befragten ist im aktuellen Stimmungsbild davon überzeugt, dass die Bundeswehr Deutschland im Ernstfall effektiv verteidigen könnte. Mehr als vier von fünf Befragten bezweifeln das. Und trotz der Ankündigungen der Bundesregierung sinkt das Vertrauen: Als wir die gleiche Frage im Juli 2023 stellten, glaubten noch 21 Prozent der Befragten, die Bundeswehr könnte Deutschland im Falle eines Angriffes erfolgreich verteidigen. Jetzt liegt dieser Anteil bei 14 Prozent.

Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Für manche Befragte hat ihre Skepsis auch damit zu tun, dass Deutschland trotz Beschaffungsproblemen für die eigene Truppe vorhandene Waffen und Ausrüstung an die Ukraine liefert, damit diese sich gegen die russischen Angreifer verteidigen kann. So schreibt Grit (52) aus Nordsachsen: "Deutschland hat seine Verteidigung schon vorher vernachlässigt. Jetzt wird alles, was wir 'noch' haben, in die Ukraine geschickt. Wir sind so wehrhaft wie ein Igel ohne Stacheln." Insgesamt sehen die MDRfragt-Mitglieder den Umfang deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine kritisch.

Für Jan (55) aus Dessau-Roßlau liegt das Problem nicht nur in der Vergangenheit: "Mir macht der Zustand der Bundeswehr große Sorgen und was jahrelang kaputt gespart wurde, kann ja nicht von heute auf morgen im 100-Prozent-Status sein. Es geht alles viel zu langsam und ist überbürokratisiert." Gleichzeitig meint er: "Verteidigung ist wichtig für jedes Land und sollte beim Staatshaushalt kein Thema sein." Er spielt damit auf die Diskussionen um den Bundeshaushalt und die Frage an, ob die Schuldenbremse für bestimmte Ausgaben gelockert werden sollte.

Maritta (67) aus dem Landkreis Meißen findet: "Die Bundeswehr ist meines Erachtens nicht mehr wehrtüchtig." Auch sie gehört zu jenen Befragten, die eine Rückkehr der Wehrpflicht befürworten. "Wir erleben ja, dass die friedlichen Jahre von anderen Staaten dafür genutzt wurden, um sich auf Überraschungskriege vorzubereiten." Maritta meint, Deutschland müsse für seine Sicherheit selbst sorgen, "aber natürlich müssen wir auch mit Europa und der Nato zusammen für Sicherheit sorgen."

Vertrauen in Nato größer als in Bundeswehr

Tatsächlich wollten wir im Stimmungsbild nicht nur wissen, wie sehr die Befragten in die Verteidigungsfähigkeiten der Bundeswehr vertrauen, sondern gleichzeitig auch, ob sie meinen, das Verteidigungsbündnis Nato mit seinen Mitgliedern könnte effektiv einen Angriff abwehren.

Dabei zeigt sich: In die Nato haben deutlich mehr Befragte Vertrauen als in die nationale Armee allein: Mehr als zwei Fünftel (43 Prozent) haben großes oder eher großes Vertrauen, dass die Bündnispartner eine effektive Verteidigung organisieren würden. Eine knappe Mehrheit (51 Prozent) glaubt hingegen tendenziell nicht daran.

Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Jene, die skeptisch sind, dass die Nato-Partner Deutschland effektiv verteidigen würden, haben oft grundsätzliche Einwände. Ein Argument: Jeder Bündnispartner hat übergeordnete eigene Interessen und Deutschland ist am Ende womöglich auf sich allein gestellt. So meint etwa Sebastian (40) aus Schmalkalden-Meiningen: "Die Nato wird Deutschland nicht verteidigen. Nach wie vor wird Deutschland im schlimmsten Falle als nuklearer Ground Zero herhalten müssen, wenn Westeuropa der Meinung ist, dass Russland Frankreich und andere Länder überfallen wollen würde." In diesem häufig genannten Argument spielt die Idee mit, Europa könnte das Schlachtfeld zwischen USA und Russland werden, wie es schon in Zeiten des Kalten Krieges als Szenario diskutiert wurde.

Wer eher Vertrauen in die erfolgreiche Bündnis-Verteidigung hat, schöpft diese nicht selten aus der Stärke der Vereinigten Staaten: "Die Nato und vor allem die Amerikaner sind unser Sicherheitsgarant, da führt kein Weg daran vorbei", meint Rainer (39) aus Chemnitz. "Ohne die Amerikaner sind wir nahezu wehrlos, wenn die Munition nur für Tage reicht und das meiste Material nicht einsatzfähig ist. Umso bedenklicher finde ich die Äußerungen Donald Trumps." Auch andere Befragte argumentieren, dass sie tendenziell Vertrauen in die Nato haben, dieses mit Blick auf eine mögliche zweite Amtszeit Trumps als US-Präsident jedoch eingeschränkt ist.

So meint Pascal (30) aus Halle: "Trump hat mein Vertrauen in den Beitrag der USA zur Verteidigung der Nato-Mitgliedstaaten durchaus beeinträchtigt." Der Sachsen-Anhalter ergänzt, Deutschland und andere Nato-Mitglieder seien selbst daran Schuld, dass Trump damit Wahlkampf machen könne, jene Länder nicht zu verteidigen, die sich nicht an das 2-Prozent-Ziel halten. "Wir haben unsere Sicherheit tatsächlich durch chronische Unterfinanzierung der Bundeswehr durch die anderen Nato-Staaten finanzieren lassen."

Mehrheit für dauerhaftes Einhalten des Zwei-Prozent-Zieles

Laut MDRfragt-Stimmungsbild gibt es mehrheitlich Zuspruch dafür, das 2-Prozent-Ziel der Nato nicht nur ab und zu, sondern dauerhaft einzuhalten. Die Zahl der Befürworterinnen und Befürworter (58 Prozent) unter den Befragten ist größer als die der Gegnerinnen und Gegner (32 Prozent).

Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Für manche MDRfragt-Mitglieder gilt dabei die ganz generelle Devise: Was verabredet ist, muss man einhalten. Viele Kommentare zeigen, dass die Befragten hin- und hergerissen sind. So meint zum Beispiel Artyom (31) aus Sachsen: "Ich als Linker war immer gegen hohe Verteidigungsausgaben, da das nötige Geld für Bildung, Soziales, ökologische Transformation und anderes fehlt. Jetzt muss ich eher dazu tendieren – und das fällt mir nicht leicht – Initiativen zur Verbesserung der Kampffähigkeit der Bundeswehr zu unterstützen." Der 31-Jährige ergänzt, ob dafür die angepeilten zwei Prozent der Wirtschaftsleistung angemessen seien, könne er gleichzeitig nicht einschätzen.

Auch Christine aus dem Vogtlandkreis wägt ab: "Eigentlich gibt es andere Probleme, aber bedingt durch die Kriege müssen die Verteidigungsausgaben angepasst werden." Die 72-Jährige ergänzt: "Wir müssen unser Land verteidigen können, obwohl ich sehr hoffe, dass es nie dazu kommen möge."

Doch nicht alle Befragten kommen bei der Abwägung verschiedener Herausforderungen zu dem Schluss, dass dauerhaft mehr Geld in die Verteidigung investiert werden sollte. So meint etwa Reinhard (75) aus dem Landkreis Nordhausen: "Ein Haushalt mit zwei Prozent für Militär und mehr wird wohl auf lang oder kurz zur Vernachlässigung anderer Bereiche (Verkehr, Bildung, Gesundheitswesen und so weiter) führen." Er ist dagegen, dass Deutschland dauerhaft das 2-Prozent-Ziel einhält und plädiert dafür, im Bundeshaushalt auf innenpolitische Bereiche zu setzen: "Unzufriedenheit in der Bevölkerung, weil man ohne Probleme Geld für Kriege zur Verfügung hat, statt mit staatsmännischer Weisheit friedlich Lösungen zu suchen."

Gespaltene Haltung zu EU-Armee

Während das Stimmungsbild bisher relativ eindeutige Meinungstendenzen in der MDRfragt-Gemeinschaft ergeben hat, sind die Befragten in einer Frage gespalten: Sollte es im Rahmen der Europäischen Union nicht nur eine Zusammenarbeit in Verteidigung geben, sondern tatsächlich eine gemeinsame EU-Armee?

Ja oder eher ja: Das finden 46 Prozent. Und ein genauso hoher Anteil nimmt die Gegenposition ein und meint: nein oder eher nein.

Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Für Reinhard (75), der im vorherigen Absatz schon als Gegner des Zwei-Prozent-Zieles zu Wort kam, ist auch eine EU-Armee nicht realistisch: "Zu viel Kleinstaaterei, zu viele unterschiedliche Waffensysteme, hohe Bürokratie, zu viele wirtschaftliche Interessen." Gerade letzteres hält er für einen großen Hemmschuh. Auch andere haben vor allem praktische Bedenken. So meint Peter (66) aus Leipzig einerseits: "Eine EU-Armee ist sinnvoll", um gleich zu ergänzen: "Das Problem: Wer hat im Ernstfall das Sagen?"

Für Conrad (25) aus dem Jerichower Land ist eine EU-Armee wenn überhaupt Zukunftsmusik: "Eine europäische Armee ist in so weiter Ferne und die Kosten dafür wären immens. Gleichzeitig ist der 25-Jährige dafür, dass die europäischen Staaten eng zusammenarbeiten: "Ein gutes bis sehr gutes Zusammenspiel der einzelnen Armeen halte ich aktuell für effektiver." Und Georg (27) aus Dresden meint, wenn gemeinsame Armee, dann nicht mit allen EU-Staaten: "Falls die USA die Nato verlassen oder diese sich auflöst, wäre für Deutschland das Allerbeste ein kleines europäisches Militärbündnis mit Frankreich, Italien, Polen, Tschechien. Ungarn und Türkei wären eher schlecht, da diese andere Interessen haben."


Über diese BefragungDie Befragung vom 15. bis 19. Februar 2024 stand unter der Überschrift: "Zwei Jahre Krieg in der Ukraine - Wo stehen wir?" Darin haben wir auch Fragen zur Verteidigungspolitik Deutschlands gestellt.

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 27.527 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemographischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein durchaus belastbares Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

Alle Ergebnisse zum Thema in der Übersicht:

Einschätzungen zum Thema im Podcast "Der General"

Mehr zum Thema

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Fakt Ist! | 04. März 2024 | 22:10 Uhr