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Unsere Verbraucherpreise haben nicht den gleichen Verlauf wie die Preise an der Strombörse - was nicht immer zu unserem Nachteil ist. Bildrechte: IMAGO/Rolf Poss

Der Redakteur | 25.01.2023Wieso Deutschland Strom ins Ausland "verschenkt"

24. Januar 2023, 18:33 Uhr

Jürgen Müller aus Bad Köstritz wollte wissen: "Wieso verschenken wir als Deutschland Strom ins Ausland und zahlen als Verbraucher gleichzeitig Rekordpreise?"

Wir müssen zunächst unterscheiden zwischen dem Strompreis, den wir als Verbraucher zahlen, den Erzeugerpreisen, den Preisen für Transport- und Speicherkapazitäten und den Preisen für die Regelung der Netze. Denn Strom hat die unangenehme Eigenschaft, genau dann produziert werden zu müssen, wenn er gebraucht wird. Doch leider ist er oft zur falschen Zeit am falschen Ort und das auch noch in der falschen Menge.

Unterschiedliche Entwicklung von Börsen- und Verbraucherpreisen für Strom

Unsere Energieversorger wissen aber so ungefähr, was wir als Kunden so übers Jahr verteilt verbrauchen und decken sich in der Regel langfristig ein. Zumindest für einen wesentlichen Teil der Bedarfsmengen. Kurzfristige "Nachkäufe" sind dann entweder richtig billig oder richtig teuer, wie wir in diesen Zeiten gelernt haben.

Diese Einkaufspolitik ist übrigens auch ein Grund dafür, dass die exorbitanten Preissprünge an den Strom- und Gasmärkten nie komplett bei uns angekommen sind. Unsere Preise mögen sich verdoppelt oder verdreifacht haben, Faktor 10 oder mehr hatten aber nur wenige. Das liegt einerseits daran, dass der Strom selbst nicht der einzige Kostenfaktor ist am Strompreis (Stichwort Steuern und beschriebene Abgaben) und andererseits hat eben ein langfristiger Beschaffungsvertrag des Versorgers dafür gesorgt, dass er einen Teil des Stroms noch relativ günstig beziehen konnte.

Risiko bei Konzentration auf Spotmarkt

Junge dynamische Händler hingegen, die jahrelang erfolgreich auf kurzfristige Billigangebote gesetzt haben und so auch sehr günstige Preise anbieten konnten, die hatten ein Problem, als plötzlich ihre Einkaufspreise durch die Decke gingen.

So wie auch der oberste Gaseinkäufer Uniper, der plötzlich das billige Gas aus Russland nicht mehr bekommen hat, mit dem er aber kalkuliert hatte. Er musste ein Vielfaches zahlen für das Ersatz-Gas am Weltmarkt, hatte aber langfristige Verträge mit seinen Kunden zu den eben bisher geringen Preisen aus kostengünstigen Pipelines abgeschlossen. Und dass diese Gaspreise auch auf die Strompreise durchgeschlagen haben, liegt eben daran, dass aus Gas eben auch Strom gemacht wird.

Warum ist Verschenken billiger als Abschalten?

Ein Gaskraftwerk kann Wärme und Strom produzieren. Das ist die sogenannte Kraft-Wärme-Kopplung, bei der die parallel zur Stromerzeugung produzierte Wärme zur Beheizung und Warmwasserbereitung oder für Produktionsprozesse genutzt wird.

Nun gibt es immer wieder Tage, da liefern unsere erneuerbaren Energiequellen Solarmodul und Windrad so viel Strom, dass mehr als genug für alle da ist. Wir brauchen für die Stromproduktion also weder Atomkraftwerke, noch Kohle- oder Gaskraftwerke. Ein Atomkraftwerk ist am unflexibelsten, das wird also am Netz bleiben. Ein Gaskraftwerk ließe sich recht schnell abstellen, nur gehen dann im benachbarten Wohngebiet die Heizungen aus. Also wird der Betreiber versuchen, den Strom kurzfristig anderweitig loszuwerden, was letztlich über die Strombörse auch passiert.

"Verschenkt" in 69 von 8.760 Stunden

Wenn aber alle zu viel haben, gehen die Preise runter und manchmal sogar ins Negative. Das heißt: Man legt sogar noch etwas drauf, damit einem der Strom abgenommen wird. Das mag absurd klingen, ist aber im Moment noch alternativlos und auch sehr selten. Ein Jahr hat 8.760 Stunden und an 69 Stunden davon haben wir 2022 Strom ins Ausland verschenkt, zum Beispiel nach Frankreich, wo die stolzen Atomkraftwerke entweder gewartet wurden oder wegen fehlender Kühlung nur eingeschränkt arbeiten konnten.

Französische Atomkraftwerke wie dieses bei Saint Alban du Rhone lieferten zuletzt viel weniger als erwartet und benötigt. Bildrechte: IMAGO / Dirk Sattler

Fabian Huneke von Energy Brainpool, einer Agentur die u.a. Machbarkeitsstudien für große Wind- oder Solarparks erstellt, warnt deshalb davor, sich für solche Schlagzeilen nur einzelne Stunden herauszupicken.

Im Mittel verschenken wir keinen Strom, sondern machen eigentlich einen riesigen Reibach damit, Strom in Deutschland zu produzieren und an unsere Nachbarländer zu verkaufen.

Fabian Huneke, Energy Brainpool

Trotzdem wurmt es natürlich die Erzeuger, wenn sie ihren Strom kostenlos abgeben müssen und das ist nach Auffassung von Fabian Huneke genau der richtige Anschub für die Innovationen, die wir im Energiesektor brauchen: Netzausbau, intelligente Systeme, Speichermöglichkeiten usw.

Wie kommen wir zu dem kostenlosen Strom?

Die Älteren werden sich noch an Nachtstrom erinnern. Der Begriff ist zwar nicht ganz korrekt, denn faktisch wurde auch in anderen Schwachlastphasen Strom genutzt, um die Nachtspeicheröfen aufzuheizen.

Das geschah zu einem günstigeren Preis, weil man genau den gleichen Effekt erreichen wollte, wie die Stromverschenker von heute. Nämlich, den Verbrauch möglichst ohne Spitzen oder Täler stabil zu halten und die Kraftwerke durchlaufen zu lassen. Das Angebot für die Nachtspeicherofen-Kunden: Ihr zahlt weniger. Und genau das können Smart-Meter noch viel besser, also die neuen Stromzähler, die bei den Deutschen so beliebt sind wie das E-Auto bei Dieselfans.

Wir sind in Deutschland noch meilenweit hinterher, die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt zu haben.

Fabian Huneke, Energy Brainpool

Wir stolpern vielmehr gerade – angestoßen durch Russlands Krieg gegen die Ukraine – in eine neue Energie-Zeit und das mit alter Technik.

Mehr Stromlieferanten machen es komplizierter

Strom muss nun einmal von A nach B gelangen können und dafür permanent geregelt werden, sozusagen "dirigiert" wie ein Orchester. Bisher gab es einen Dirigenten, der die wenigen großen Pauken (=Kraftwerke) gut im Blick hatte. Doch nun spielen plötzlich viele kleine Querflöten mit, die auch noch überall im Land und auf dem Wasser verteilt sind und denen manchmal die Puste ausgeht. Dafür müssen auch die Leitungsnetze angepasst werden.

Und dass das alles auf Dauer nur mit kluger Technik regelbar ist, das versteht sich von selbst. Und dazu gehören eben auch unsere intelligenten Stromzähler. Stellen wir uns vor, in einem Keller steht ein Stromspeicher und in der Garage steht ein E-Auto. Beide werden gewöhnlich mit der Solaranlage auf dem Dach gefüttert. Aber wenn die Sonne nicht scheint, gibt es Deckungslücken. Aktuell werden diese Lücken zum Preis von 40 Cent und mehr pro Kilowattstunde geschlossen. Ein teurer Spaß.

Was passiert aber, wenn dieser Bedarf gebündelt mit ähnlichen Fällen bei der Strombörse angemeldet werden würde? Also dort, wo auch die Franzosen ihre Angebote abgeben, weil gerade mal wieder ein Atomkraftwerk stillsteht? Dann geht der Zuschlag für den überschüssigen Windstrom in der Silvesternacht eben nicht kostenlos an Frankreich, sondern für 4 Cent nach Bad Frankenhausen. Auch andere Stromspeicher oder Produktionsanlagen für Grünen Wasserstoff werden in diesem Orchester einmal mitspielen. Denn Wasserstoff wird für längere Dunkelflauten von mehreren Tagen als Pufferspeicher genauso gebraucht, wie Pumpspeicherwerke Marke Goldisthal.

Deutschlands größtes Pumpspeicherwerk in Goldisthal Bildrechte: Pumpspeicherwerk 28193266.jpg

Und kurzfristig für die Nacht und für schnelle Regeleinsätze sind die Speicher effektiver, die aktuell noch mit Lithium- und künftig mit Natriumionen arbeiten. Entwickelt auch in Arnstadt und Hermsdorf am Fraunhofer Institut. Die erste Produktionsstätte entsteht gerade in Schwarze Pumpe.

Bei unseren Smart-Metern geht es hingegen nicht so gut voran. Weil wir Angst haben, es könnte uns jemand den Strom abdrehen, weil uns unsere Daten heilig sind und wir absolut nicht einsehen, dass das Teil im Jahr ein paar Euro mehr kostet als der schwarze Kasten bisher. Da verschenken wir doch lieber unseren Strom ins Ausland und erfreuen uns an unseren hohen Strompreisen.  

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MDR (jn/csr)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Mittag | 24. Januar 2023 | 13:45 Uhr

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