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Das "Du" als Anrede baut mehr Nähe auf. Doch ist das im Falle einer Ansprache eines Unternehmens nicht übergriffig? Bildrechte: IMAGO/Pond5

MarketingstrategieSollten Kunden geduzt werden?

24. Juli 2023, 13:53 Uhr

Ikea war vor 20 Jahren der Vorreiter, inzwischen gibt es immer mehr Unternehmen, die ihre Kundschaft auf ihren Webseiten und in der Werbung duzen. Doch warum und was halten die Kunden davon?

Ikea duzt seit 20 Jahren

"Wohnst du noch oder lebst du schon?" ist wohl die bekannteste Kunden-Ansprache eines Unternehmens in Du-Form. Der Werbespot des skandinavischen Möbelhauses ist Kult geworden. Sabine Nold ist die Unternehmenssprecherin von Ikea. "Wir wollten betonen, dass wir ein schwedisches Unternehmen mit schwedischen Kulturen und schwedischen Wurzeln sind. Und das ist in Skandinavien einfach ganz selbstverständlich mit dem 'du'", erklärt sie den Wandel.

Dabei werde dies nur im Marketingbereich so gehandhabt. "Wenn wir die Kunden direkt als Personen ansprechen, sind wir ja nach wie vor bei dem 'Sie'" sagt die Unternehmenssprecherin.

"Du" soll Nähe zum Kunden schaffen

Duzen schafft Nähe und baut Distanz zwischen den Gesprächspartnern ab. Das nutzen immer mehr Unternehmen in der indirekten Kommunikation mit ihren Kunden. Ikea tut es seit 2003. Auch Adidas, Otto, Apple und Aldi setzen inzwischen auf das "Du" zur Kundschaft. Mit der DKB-Bank ist selbst eine Kreditbank auf die vertrauliche Anrede übergegangen. "Um über den Faktor Sprache noch mehr Kundennähe auszubauen", erklärt der Finanzdienstleister auf Anfrage des MDR-Magazins "Umschau".

Auch Lidl erklärt die Praxis in der allgemeinen indirekten Kommunikation – also im Bereich der Werbung und in den Sozialen Medien – mit dem Erreichen von mehr Nähe: "Wir sind in jedem Landkreis vertreten und somit nah am Leben seiner Kunden. Daher duzen wir unsere Kunden."

Übergriffig oder nicht? – die Frage nach dem Persönlichkeitsrecht

Der Berliner Medienanwalt David Geßner sieht einen allgemeinen Trend vom "Sie" zum "Du" in der Medienkommunikation mit Kunden. Doch ist das übergriffig oder nicht? In Fernseh- und Radiosendungen müsse man das als allgemein angesprochene Zielgruppe wohl hinnehmen, in der direkten Kommunikation nicht. Hier müsse das Persönlichkeitsrecht gewahrt bleiben, so der Medienanwalt: "Wenn ich eine E-Mail bekomme, einen Newsletter, und dort geduzt oder mit Vornamen angesprochen werde und durch meine Antwort signalisiere, dass ich gesiezt werden möchte, ist das zwingend zu respektieren und Teil meines Persönlichkeitsrechts.“

Vielen würde das ungefragte Geduzt-Werden "aufstoßen", so Silke Schröder. Sie ist Vorstandsmitglied im "Verein Deutsche Sprache". "Wenn das Unternehmen sind, die Waren oder Dienstleistungen verkaufen, fühlt man sich als Kunde dann mitunter in die Pflicht genommen oder in eine Vertraulichkeit hineingezogen, die man sich vielleicht überhaupt nicht gewünscht hat", erklärt sie. In unserer Sprache seien wir es gewohnt, "mit dem 'Du' und dem 'Sie' Nähe und Distanz zu steuern".

Was hält die Kundschaft vom geduzt werden?

Das Meinungsbarometer "MDRfragt" hat im März die Frage gestellt "Wollen Sie als Kunde gesiezt oder geduzt werden?" Von den rund 30.000 Teilnehmern aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gab mit 61 Prozent die deutliche Mehrheit an, nicht geduzt werden zu wollen. Lediglich 15 Prozent bejahten die Frage, elf Prozent war es egal. Bei 13 Prozent käme es darauf an, wer sie duze.

Wird die Frage unter Berücksichtigung der Altersangaben ausgewertet, zeigen sich hier deutliche Verschiebungen. Teilnehmer der Umfrage, die 65 Jahre und älter sind, wollen sogar zu 70 Prozent nicht als Kunden geduzt werden.

Als Kunde gesiezt werden zu wollen, ist nach den Umfrage-Ergebnissen auch eine Frage des Alters. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Nicht verwunderlich ist auch, dass Unterschiede gemacht werden, bei welchen Unternehmen das "Du" als unangemessen empfunden wird. 87 Prozent der rund 30.000 Teilnehmer der Umfrage verwiesen darauf, von Behördenmitarbeitern ein "Sie" als Ansprache zu erwarten – dicht gefolgt von der Höflichkeits-Anrede in der Bank mit 84 Prozent. Lockerer wird es im Restaurant (71 Prozent), beim Lebensmittelhändler (69 Prozent) und auf einer Internetplattform (61 Prozent) gesehen.

Große Unterschiede gibt es, in welchen Bereichen das "Sie" erwartet wird. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

In der Altersgruppe über 40 Jahren, "wahrscheinlich schon bei über 30 Jahren", würden viele Kunden ein Duzen nicht nur als Übergriffigkeit, sondern sogar als Freiheitsverlust wahrnehmen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Armbrüster. Es gehe die Freiheit verloren, "nicht sofort mit allen Menschen Gutfreund sein zu müssen." Weiter erklärt er: "Das Siezen ermöglicht es, sich eine bürgerliche Distanz zu bewahren". Dieses Bedürfnis ist bei Frauen in der MDRfragt-Erhebung ausgeprägter: 65 Prozent der Frauen lehnen es ab, von Unternehmen geduzt zu werden, bei Männern sind es 56 Prozent.

Das Siezen ermöglicht es, sich eine bürgerliche Distanz zu bewahren.

Auf die Umsätze der Unternehmen scheint sich das Duzen der Kunden nicht auszuwirken. Jedenfalls wollte oder konnte uns keine der Firmen, mit denen wir Kontakt hatten, darüber Auskunft geben.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Umschau | 04. Juli 2023 | 20:15 Uhr