Fehlender sozialer WohnraumMieterbund-Präsident: "Bauen allein löst das Problem nicht"
Sozialer Wohnraum wird immer mehr zu Mangelware. Zugleich ächzt auch die Baubranche unter der Last stetig steigender Preise. Lukas Siebenkotten, der Präsident des Deutschen Mieterbunds, pocht unter anderem auf eine dauerhafte Sozialbindung, um günstige Mieten zu erhalten. Im Gespräch mit MDR AKTUELL macht er deutlich: Bauen allein löst das Problem nicht. Auch der Wohnungsbestand muss bezahlbar bleiben.
MDR AKTUELL: Was Sozialwohnungen angeht, befinden wir uns in einer Abwärtsspirale: Immer weniger wird gebaut, der Bestand fällt aus der Bindung. Wie blicken Sie auf dieses Problem?
Lukas Siebenkotten: Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht, dass man eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit anstrebt. Alle drei Parteien. Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1990 bereits eine Wohnungsgemeinnützigkeit, und jetzt soll so etwas wiedereingeführt werden. Wir befürworten das als Mieterbund sehr, weil man in einem Segment dieser neuen Wohnungsgemeinnützigkeit auch Wohnungen unterbringen könnte, die nicht nach 30 Jahren aus der Sozialbindung fallen, sondern wo man sagen kann: Solange diese Wohnung existiert, existiert auch ihre Sozialbindung und sie darf nur an Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins vermietet werden. Das kann nicht alle Probleme lösen, aber es ist ein Ansatz.
Wie realistisch ist es, dass diese Wohnungsgemeinnützigkeit tatsächlich wiedereingeführt wird?
Gar nicht so unrealistisch. Es steht im Koalitionsvertrag und das Bauministerium ist zurzeit damit beschäftigt, entsprechende Eckpunkte zusammenzustellen. Ich bin ganz guter Dinge, dass diese Eckpunkte bis Juni stehen. So jedenfalls hat es Bauministerin Geywitz öffentlich angekündigt.
Wenn es um Wohnungsgemeinnützigkeit geht, blickt man auch gerne in Städte wie Wien, wo es aber auch sehr viel mehr städtischen Wohnraum gibt…
Genau, das ist ein Punkt, der uns auch sehr am Herzen liegt, dass man den Anteil der Wohnungen in öffentlicher Hand erhöht. In den letzten Jahrzehnten haben viele Kommunen ihre Wohnungen teilweise an alle möglichen privaten Investoren oder Konzerne verscherbelt. Und jetzt stellt man fest, dass es viel besser wäre, wenn man wieder mehr Wohnungen in öffentlicher Hand hätte. In Wien ist mehr als die Hälfte der Wohnungen tatsächlich in öffentlicher Hand, bei uns sind es weniger als 20 Prozent. Das macht keine Marktmacht aus.
Aber das lässt sich auch nicht von heute auf morgen wieder ändern.
Ein Beispiel, das ich immer vor Augen habe, ist die Stadt Dresden. Die haben 2006 an einem einzigen Tag ihren kompletten Wohnungsbestand an einen Investor verkauft, an GAGFAH – die Vorläuferin der heutigen Vonovia. Würde Dresden diese Wohnungen nun wieder zurückkaufen wollen, weiß man nicht, wie viel mehr investiert werden müsste…
In der Presse haben Sie sich bereits dazu geäußert, dass es dringend mehr Fördergelder für Neubauten braucht. Aber sehen Sie auch eine Chance, über den Wohnungsbestand mehr Sozialwohnungen zu generieren?
Wir sind fest davon überzeugt, dass Bauen allein das Problem nicht löst. Wir müssen bauen, aber wir müssen auch etwas für den Bestand tun. Das eine ist, dass Bestandswohnungen, die bezahlbar sind, auch bezahlbar bleiben, zum Beispiel durch mietrechtliche Maßnahmen. Das zweite ist, dass man die Klimaschutzanforderungen, die an den Bestand gestellt werden, versucht umzusetzen, zuallererst bei den Wohnungen, die die schlechteste Effizienz haben – und das sind natürlich die, in denen die Leute mit den geringsten Einkommen wohnen. Und wenn man das entsprechend fördert, kann auch den Klimazielen nähergetreten werden und gleichzeitig sichergestellt werden, dass die Mietpreise nicht deutlich ansteigen. Wir brauchen beides. Bauen und das Kümmern um den Bestand.
Wie kann man Investoren den sozialen Wohnungsbau schmackhafter machen?
Ganz profan: durch Fördermittel. In den 1980er-Jahren, als wir in Deutschland noch ungefähr drei Millionen Sozialwohnungen hatten, haben auch eine ganze Reihe Private in Sozialwohnungen investiert. Das hat sich damals gerechnet. Wir müssen auch wieder die Privaten, die viel mehr Wohnungen unter ihren Fittichen haben, dazu bekommen, dass sie in den sozialen Wohnungsbau investieren. Und ich höre inzwischen erste Anzeichen, dass private Investoren sagen: Wir wollen das mal versuchen. Dann müssen aber auch die Förderkonditionen stimmen. Und in Deutschland gibt es 16 unterschiedliche Förderrichtlinien in 16 Bundesländern. Die muss man möglicherweise anpassen, damit auch wieder private Investoren dazu bereit sind, in den sozialen Wohnungsbau einzusteigen. Die Wohnungen, die in den 80er-Jahren gebaut worden sind, sind die, die jetzt aus der Bindung fallen.
MDR AKTUELL
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 23. Mai 2023 | 07:30 Uhr