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Weniger GeburtenArzt: Fehlende Routine führt zu mehr Kaiserschnitten in Sachsen-Anhalt

20. April 2023, 19:21 Uhr

Weil es immer weniger Geburten gibt, haben Klinikmitarbeiter deutlich weniger Routine als früher und entscheiden sich schneller für einen Kaiserschnitt, sagt ein Chefarzt vom Paul-Gerhardt-Stift in Wittenberg. Es gibt aber auch viele andere Faktoren, die die Entscheidung beeinflussen können. Damit die Zahl der Kaiserschnitte wieder zurückgeht, plant das Klinikum in Dessau einen von Hebammen geleiteten Kreißsaal.

Dass in Sachsen-Anhalt immer mehr Kinder per Kaiserschnitt zur Welt kommen, könnte auch mit der fehlenden Routine der Geburtshelfer zusammenhängen. Nach Aussage des Chefarztes Roger Rehfeld vom Paul-Gerhardt-Stift in Wittenberg liegt das daran, dass die Geburtenzahl seit Jahren zurückgeht. "Bis zur Wende gab es im Osten ungefähr dreimal so viele Geburten. Wenn die Zahl der Geburten unter eine am Tag rutscht, sinkt die Routine und es wird schneller ein Kaiserschnitt gemacht." Das sei im Zweifelsfall einfacher.

Stichwort: Immer mehr KaiserschnitteIn den vergangenen 30 Jahren hat sich der Anteil der Geburten per Kaiserschnitt mehr als verdoppelt. Mittlerweile ist fast jede dritte Geburt ein Kaiserschnitt. Sachsen-Anhalt liegt mit 31,3 Prozent im bundesweiten Vergleich auf Platz sieben.

recap-Folge: Krise im Kreißsaal

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Arzt: Entscheidung wird von vielen Faktoren beeinflusst

Auch zur rechtlichen Absicherung – beispielsweise im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau – führen Kliniken Rehfeld zufolge heute schneller einen Kaiserschnitt durch. "Geburtshelfer stehen da oft unter massivem Druck." Ob sich Eltern für einen Kaiserschnitt entscheiden, hänge dabei unter anderem vom Klientel und von der Herkunft der Patientinnen ab.

Der Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Städtischen Klinikum Dessau, Dr. Hermann Voß, glaubt, dass der Trend zu immer mehr Kaiserschnitten vor allem mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun hat. "Frauen kriegen heutzutage nur ein bis zwei Kinder und da muss alles klappen. Da geht man lieber den sicheren Weg", sagte er MDR SACHSEN-ANHALT. Ein weiterer Grund sei, dass Frauen immer später Kinder bekommen und deshalb ein erhöhtes Risiko in der Schwangerschaft haben. Außerdem werden die Babys Voß zufolge immer größer und passen im schlechtesten Fall nicht mehr durch den Geburtskanal. Manche Frauen wünschten sich aber auch direkt einen Kaiserschnitt. Zudem könnten Medienberichte über Prominente oder die Planbarkeit der Geburt die Entscheidung ebenfalls beeinflussen.

Wann ist ein Kaiserschnitt medizinisch notwendig?

Ein Kaiserschnitt sollte nur bei medizinischer Notwendigkeit der Mutter oder des Babys vorgenommen werden, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dies ist nach Schätzungen aber nur bei 15 Prozent der Geburten tatsächlich der Fall, also bei ungefähr der Hälfte der Kaiserschnitte. Neben zwingenden medizinischen Gründen, etwa einer falschen Kindslage, einer Sauerstoffunterversorgung des Babys oder einer vorzeitigen Lösung des Mutterkuchens, gibt es auch nicht zwingende Gründe, bei denen das Risiko einer spontanen Geburt allerdings erhöht ist.

Die Geburtshelfer entscheiden dann gemeinsam mit der Schwangeren, welches Vorgehen die größte Sicherheit bietet. Dazu zählen beispielsweise eine Beckenendlage des Kindes, Mehrlingsgeburten, ein vorheriger Kaiserschnitt oder auffällige Herztöne des Babys während der Geburt.

Dessau: Hebammen-Kreißsaal geplant

Um künftig besser auf die Wünsche werdender Mütter eingehen zu können, will das Klinikum in Dessau einen von Hebammen geleiteten Kreißsaal einrichten. Die Leiterin des Mutter-Kind-Bereichs, Susanne Bantel, sagte der Deutschen Presseagentur: "Als Hebamme ist es meine Aufgabe, die Frau zu motivieren und ihr klar zu machen, dass alles in absehbarer Zeit geschafft ist".

Bis heute sei nicht abschließend geklärt, welche Folgen ein Kaiserschnitt für ein Kind habe: "Die Mutter wird eben auch durch die Geburt geboren", so Bantel. Mit dem neuen Kreißsaal-Konzept wolle das Klinikum einen Kompromiss zwischen einer Hausgeburt und einer Geburt unter Leitung eines Arztes schaffen. Das soll Bantel zufolge Sicherheit geben und die Zahl der Kaiserschnitte senken.

Auch in Halle gibt es seit drei Jahren einen hebammengeführten Kreißsaal. Das Modellprojekt der Uniklinik wird noch bis Mitte 2024 durch das Land weiter gefördert. Nach Aussage von Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) sollen mithilfe hebammengeleiteter Kreißsäle wieder mehr Kinder auf natürlichem Wege zur Welt kommen. Weitere Hebammen-Kreißsäle sollen in Stendal und Wernigerode entstehen.

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dpa, MDR (Annekathrin Queck, Sarah-Maria Köpf)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 20. April 2023 | 09:11 Uhr

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