Interview"Nachhaltige Landwirtschaft geht ökologisch und konventionell"
Ist ökologische Landwirtschaft nachhaltiger als konventionelle? Nicht unbedingt, sagt Hermann Swalve, Direktor des Instituts für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Martin-Luther-Universität in Halle.
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Professor Swalve, was bedeutet Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft?
Hermann Swalve: Nachhaltigkeit ist heutzutage ein überstrapazierter Begriff. Gemeint ist damit, zukunftsfähig mit Ressourcen umzugehen. Nachhaltigkeit steht auf drei Säulen: Ökonomie, Ökologie sowie gesellschaftliche und soziale Ansprüche. Die Ökonomie ist dabei ganz wichtig. Denn alles, was sich nicht rechnet, kann auch nicht nachhaltig sein. In der Landwirtschaft müssen wir Boden, Luft und Wasser vor Emissionen etwa durch Pflanzenschutzmittel, Tierarzneimittel und klimaschädliche Gase schützen. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir damit sparsam umgehen und wie wir heute alles so organisieren können, damit in der Zukunft kein Schaden angerichtet wird.
Zur Person: Hermann Swalve
Hermann Swalve ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Martin-Luther-Universität in Halle. Dort ist der gebürtige Ostfriese auch Professor für Tierzucht.
Ökologische Landwirtschaft hat den Ruf, nachhaltiger als konventionelle Landwirtschaft zu sein. Entspricht das den Tatsachen?
Das kann man überhaupt nicht pauschal sagen. Ökologie ist ja nur ein Baustein der Nachhaltigkeit. Nachhaltige Landwirtschaft ist immer dann gegeben, wenn wir Ressourcen für die Zukunft sparen. Das kann man sowohl ökologisch als auch konventionell machen. Und wenn es um die Produkte geht, kann man mit wissenschaftlichen Methoden häufig keine krassen Unterschiede feststellen.
Warum ist es so kompliziert, konventionelle und ökologische Landwirtschaft in Sachen Nachhaltigkeit zu vergleichen?
Weil sich die Ziele zum Teil widersprechen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bei der Nutztierhaltung strebt man bei Rindern heutzutage zur Verbesserung des Tierwohls offene Ställe an. Wenn ich aber an den Emissionsschutz denke, sollte der Stall am besten voll verkapselt und mit Luftfiltern ausgerüstet sein. Da beißt sich das also: Will ich Emissionen in der Luft vermeiden oder will ich es den Tieren angenehm machen?
Oder im Ackerbau: Das Spritzen gegen Unkraut vereinfacht die Bewirtschaftung der Ackerflächen und spart Bearbeitungsgänge. Wenn ich einmal spritze und im gleichen Arbeitsgang säe, dann habe ich Ressourcen gespart, weil ich nur einmal fahren muss und weniger Diesel verbrauche. Aber ich habe eben Spritzmittel verwendet. Der ökologische Landwirt, der das Unkraut mechanisch entfernen will, braucht dagegen viel mehr Arbeitsgänge und viel mehr Treibstoff. Es gibt häufig solche Konflikte. Was letztlich nachhaltiger ist, lässt sich so pauschal nicht beantworten, das muss man im Einzelfall präzise untersuchen.
Wie nachhaltig arbeiten Deutschlands Landwirte im globalen Vergleich?
Ich denke, wir sind schon nachhaltiger unterwegs als in vielen anderen Ländern. Gerade in Schwellenländern, die große Agrarproduzenten sind, wird über Nachhaltigkeit meist nicht viel nachgedacht. Schauen Sie zum Beispiel nach Südamerika, wo große Flächen Regenwald abgeholzt werden, um Ackerflächen zu gewinnen, und wenn die nach ein paar Jahren ausgelaugt sind, zieht man einfach weiter. So etwas wäre hier undenkbar.
In einigen gar nicht so weit entfernten Jahrzehnten wird es darum gehen, wie wir die Ernährung der Weltbevölkerung sicherstellen können.
Hermann Swalve | Agrarwissenschaftler
Die Bundesregierung will den Anteil der Öko-Landwirtschaft bis 2030 auf 30 Prozent erhöhen, doch für viele Landwirte kommt ein Umstieg nicht infrage. Sie begründen das unter anderem mit den geringeren Ertragsmengen. Ein nachvollziehbares Argument?
Tatsächlich haben wir in der ökologischen Landwirtschaft auf die Fläche umgerechnet deutlich kleinere Produktionsmengen. Man könnte sagen, wir sind in Deutschland ein reiches Land, wir können uns das leisten, weniger zu produzieren. Ich persönlich würde diesen Standpunkt aber nicht unterstützen. Denn in einigen gar nicht so weit entfernten Jahrzehnten wird es darum gehen, wie wir die Ernährung der Weltbevölkerung sicherstellen können. Die ersten Krisen haben wir schon erlebt, und wir sehen beispielsweise auch die Abhängigkeit von Getreideexporten, die aus der Ukraine oder Russland kommen.
Was kann denn ein konventioneller Betrieb dann machen, um nachhaltiger zu wirtschaften?
Da gibt es ganz viele kleine Schritte. Beim Ackerbau geht es zum Beispiel darum, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu begrenzen. Anbauverfahren zu nutzen, bei denen man seltener über die Äcker fahren muss, ist also eine gute Idee. Oder Pflanzen anzubauen, die trockenresistent sind.
In der Tierzucht kommt das Sojaextraktionsschrot als Bestandteil des Futters für Schweine und Rinder heutzutage noch oft aus Südamerika. Inzwischen gibt es aber auch in Sachsen-Anhalt eine Reihe von landwirtschaftlichen Betrieben, die das Futter komplett selbst produzieren und damit einen großen Schritt zu mehr Nachhaltigkeit gegangen sind.
Und was können Verbraucherinnen und Verbraucher tun, die möglichst nachhaltige Produkte konsumieren wollen?
Man kann es nicht immer zu 100 Prozent schaffen, nachhaltig zu kaufen. Aber man kann, wann immer es geht, auf regionale Produkte setzen. Das bedeutet, dass die Transportwege kurz waren, also weniger fossile Brennstoffe verbraucht worden sind. Bei vielen tierischen Produkten ist das recht einfach, weil es dort schon eine Pflicht zur Kennzeichnung der Herkunft gibt. Die wäre auch für pflanzliche Produkte hilfreich. Denn es ist bislang schwer möglich, als Verbraucher herauszufinden, woher das Mehl in meinem Brot kommt.
Die Fragen stellten Lucas Riemer und Georg Hölting.
Mehr zum Thema nachhaltige Landwirtschaft
MDR (Lucas Riemer, Georg Hölting)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 14. Mai 2023 | 19:00 Uhr
Kommentare
{{text}}