Studierende schreiben für den MDRAlles für das Klima: Der Alltag eines Vollzeit-Aktivisten in Halle
Yannick Seuthe aus Halle engagiert sich schon lange für Klimagerechtigkeit. Der 25-Jährige ist Teil der Gruppe "Letzte Generation". Anders als seine Mitstreiterinnen und Mistreiter ist er als einziger in Vollzeit im Einsatz. Die neuen Strategien der Gruppe bringen neue Protestformen – und für Yannick einen ganz neuen Alltag. Ein Gastbeitrag eines Studenten aus Halle.
Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.
- Yannick Seuthe ist der einzige Vollzeit-Aktivist der Gruppe "Letzte Generation" in Halle. Das ist viel Arbeit, auch durch die flachen Hierarchien der Organisation.
- Die Klebe-Aktionen, wie man sie von der "Letzten Generation" kennt, sind seit Anfang 2024 Geschichte. Die Gruppe startet nun neue Protestformen.
- Bei den Straßenblockaden hat Yannick mehrfach brenzlige Situationen erlebt. Geld bekommt er für seinen Einsatz nicht.
Yannick Seuthe aus Halle hat einen besonderen Alltag: Der 25-Jährige ist der einzige Vollzeit-Aktivist der Klimaschutz-Gruppe "Letzte Generation" in der Stadt. Protestaktionen, Verkehrsblockaden, aber auch Fortbildungs- und Organisationsarbeit bestimmen seit knapp drei Jahren sein Leben. Spaß mache es nicht, sich auf die Straße zu kleben, berichtet er: "Ich werde beleidigt, rumgeschubst, geschlagen und sitze anschließend noch vor Gericht."
Was ist die Letzte Generation?
Die "Letzte Generation" ist ein Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern aus Deutschland und Österreich, der sich, so beschreibt es Yannick, dafür einsetzt, dass die Bundesregierung sich an die verfassungsrechtlichen Ziele und internationalen Verträge zum Thema Klimaschutz hält. Die spendenfinanzierte Organisation ist Teil des internationalen A22 Netzwerks. Dieses beinhaltet Protestbündnisse aus 13 Ländern.
Dennoch ähnelt Yannicks Arbeitstag dem eines klassischen Nine-to-five-Jobs. In den Tag startet er um neun Uhr. Er ist Teil des "Regio-Team-Ost", erklärt er. Das sei eine von sechs regionalen Untergruppen, die unter anderem die "Widerstandsgruppen" Leipzig und Halle organisatorisch unterstützen. "Danach haben wir einzelne Arbeitsgruppen, in denen wir zum Beispiel versuchen, neue Konzepte zu schreiben, führen Telefonaten oder beschäftigen uns mit Presseanfragen", sagt er. Gegen 15 Uhr ist seine regionale Arbeit getan. Dann kümmert sich Yannick um die Widerstandsgruppe Halle. Oft sind noch Protestaktionen geplant – entweder innerhalb der Stadt, oder auf Großdemonstrationen in Berlin.
Neben regionalen Gruppierungen und Ortsverbänden gibt es laut Yannick das Strategie- und das Strategieerweiterungsteam. Dort würden die wesentlichen Entscheidungen der Letzten Generation getroffen – die Formen der Proteste, die Zeit- und Maßnahmenplanung, die Budgetverteilung und auch die Mobilisierung vor Ort. Diese unterstützt er mit der Planung von Unterkünften für Aktivisten bei Großdemonstrationen.
Die neue Strategie der Letzten Generation
Die Proteste, wie man sie von der Letzten Generation kennt, sind für Yannick und seine Mitstreiter mit der neuen Strategie für 2024 Geschichte. Am 29. Januar veröffentlichte die Bewegung ein neues "Wertepapier", welches "ungehorsame Versammlungen statt Kleben und Straßenblockaden" vorsieht. Berichten von MDR investigativ zufolge will man zukünftig etwa öffentliche Auftritte von Politikern als Bühne für den eigenen Protest instrumentalisieren.
"Das Kleben lenkt mittlerweile von der Debatte ab. Wir wollen uns mit vielen Menschen an einem Ort versammeln. Wie das aussehen soll, das erarbeiten wir gerade noch", sagt Yannick. Außerdem hofft er, dass sie so noch mehr Menschen für sich gewinnen können. Am 16. März sind die ersten, wie die Letzte Generation sie nennt, "ungehorsamen Veranstaltungen" in zehn Städten in Deutschland geplant. Die Protestgruppe hat bundesweit in zehn Städten zu diesen Protesten aufgerufen. Städte in Sachsen-Anhalt sind bislang nicht darunter.
Klimaschützer gegen Rechtsextremismus
Ein Teil des neuen Gesichts der Letzten Generation zeigte sich am 3. Februar in Berlin. Beinahe 2.000 Anhängerinnen und Anhänger der Organisation – sechs davon aus Halle – versammelten sich vor Beginn der Demonstration gegen Rechtsextremismus am Potsdamer Platz in Berlin.
Anschließend zogen sie gemeinsam zur Wiese vor den Bundestag. Kein Kleben, keine Blockade. Lediglich die orangefarbenen Westen ließen darauf schließen, dass es sich um die Letzte Generation handelt.
Wenn die Rechten in Deutschland an die Macht kommen, dann können wir Klimaschutz sowieso vergessen.
Yannick Seuthe, Klima-Aktivist
Yannick kennt hier so gut wie jeden und weiß, dass nicht alle von der neuen Strategie überzeugt sind. "Das wird kontrovers diskutiert bei uns. Es ging alles sehr schnell", sagt er, "Im November hat sich diese Taskforce erst gegründet. Vielleicht kam das alles etwas früh. Ich bin mir aber sicher, dass es funktionieren wird."
Die letzte Generation ändert nicht nur die Art des zivilen Ungehorsams, sondern stellt neben dem Klima auch andere Themen wie den Rechtsextremismus in das Zentrum des Protests. Laut Yannick ist dies wichtig, da es sich bei der Klimakrise um ein Problem handle, das viele Faktoren bedingt: "Wenn die Rechten in Deutschland an die Macht kommen, dann können wir Klimaschutz sowieso vergessen."
Gefahren und Folgen des Widerstands
Mit der neuen Strategie sieht sich Yannick weniger Gefahrensituationen ausgesetzt. Die unkonventionellen Protestaktionen haben den Klima-Aktivisten oft in brenzlige Situationen gebracht. "Vor ein paar Wochen haben wir die Straße Richtung Trotha blockiert", erinnert sich Yannick, "Ich war dabei und habe Fotos gemacht, als plötzlich ein Autofahrer versucht uns auszuweichen und dabei mich, einen Journalisten und den Landtagsabgeordneten der Grünen Sebastian Striegel anfährt." Er kommt unbeschädigt davon.
Aber nicht nur mit wütenden Passantinnen und Passanten hat Yannick bei den Sitzblockaden zu tun, sondern auch mit der Polizei. Insgesamt 15 Tage hat er bereits nach Klebeaktionen in Regensburg und München in Präventivhaft verbracht. Laut einem Bericht von BR24 gehen Klimaaktivisten im Freistaat immer wieder nach Straßenblockaden ins Gefängnis. Der Grund: Hier ist es der Polizei nach dem Polizeiaufgabengesetz (PAG) seit 2017 möglich Menschen bis zu zwei Monate präventiv in Gewahrsam zu nehmen. Deshalb gibt es bei der Letzten Generation extra Legal- und Protesttrainings. Es gilt: Ohne Training kein Festkleben.
Klima-Aktivismus: Ein Vollzeit-Job ohne Bezahlung
Geld bekommt Yannick für all das nicht. Derzeit finanziere er sich durch Ersparnisse, sagt er. "Ich habe längere Zeit in einer Bar gearbeitet und auch sonst nie viel Geld ausgegeben. Bis jetzt komme ich noch gut über die Runden", sagt er. Wenn das Geld knapp wird, werde er sich einen Nebenjob suchen müssen. "Ich will gerne wieder arbeiten. Aber aufgrund der Dringlichkeit des Problems [der Klimakrise, Anm. d. Redaktion] muss ich mir das gerade erlauben."
Trotz der ganzen Widrigkeiten, die Yannicks derzeitiger Job als Vollzeit-Aktivist mit sich bringt, verliert er sein Ziel nicht aus den Augen: "Ich will, dass wir diese Krise mit so wenig Toten wie möglich überwinden. Und dafür bin ich auch bereit, so lange es nötig ist, Aktivist zu bleiben."
Über den AutorOscar Krimm studiert seit 2023 den Master Multimedia und Autorschaft an der MLU in Halle (Saale). Nebenbei arbeitet er als Reporter für die Nürnberger Nachrichten und wirkte als Redakteur bei "dibido.tv" an mehreren SWR-Formaten, wie der "Kurzstrecke" oder "Gute Unterhaltung", mit. Sein Bachelorstudium der Journalistik absolvierte er an der Universität Eichstätt-Ingolstadt. Am liebsten schreibt und spricht er über Themen rund um Kultur und Politik.
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MDR (Maren Wilczek) | Erstmals veröffentlicht am 17.03.2024
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