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Die Trauerfeier für Verstorbene ohne Angehörige findet einmal im Monat auf dem Gertraudenfriedhof in Halle statt. Bildrechte: MDR/Alex Gruner

Bestattungen ohne Angehörige"Jeder Mensch hat gelebt, jeder Mensch hatte sein Schicksal"

22. Mai 2023, 18:03 Uhr

Auf dem Getraudenfriedhof in Halle findet einmal im Monat eine Trauerfeier für Verstorbene ohne Angehörige statt. Ein Projekt, das in dieser Form ziemlich einmalig ist und zeigt, wie wichtig es ist, auch Fremden einen würdevollen Abschied zu gestalten.

Auf dem Getraudenfriedhof ist es an diesem Montagvormittag grau und still. Das Wetter ist eher ungemütlich, wesentlich weniger Menschen sind auf Halles größtem Friedhof unterwegs als sonst, um die Gräber ihrer Angehörigen zu besuchen, Unkraut zu jäten, Blumen zu gießen. Vor dem Eingang zur großen Trauerfeier versammeln sich gegen 10:30 Uhr nach und nach vereinzelt Menschen. Einige haben Blumen in der Hand. Sie wollen zur Trauerfeier für Verstorbene ohne Angehörige.

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Unter ihnen sind auch zwei ältere Herren. Sie sind gekommen, um sich von einem alten Freund zu verabschieden. Als sie jung waren, hatten sie zusammen Fußball gespielt. Von seinem Tod und der Trauerfeier haben sie aus der Zeitung erfahren. "Er muss im Altersheim gelegen haben. Und naja, ein bisschen ist das in dem Gespräch rausgekommen, schon ein paar Jahre. Und so ist das, gehts auseinander," erzählt Dietmar Schmidt.

Schon lange war der Kontakt abgebrochen. Trotzdem ist Dietmar Schmidt gekommen, um von einem alten Freund Abschied zu nehmen. Bildrechte: MDR/Alex Gruner

Abschied nehmen ist wichtig

Direkt neben ihm auf einer Bank sitzen Samira und Joy. Auch sie wollen zur Trauerfeier. Von den insgesamt elf Verstorbenen, die hier heute beigesetzt werden, kennen sie niemanden. "Wir haben das quasi einfach so durch unsere Kirche erfahren, über unsere Pfarrerin, die das hier mit organisiert, und wir finden das eine echt schöne Aktion. Deshalb dachten wir, wir gehen auch einfach mal hin," sagt Samira.

Beide finden es wichtig, dass es diese Trauerfeier, diesen Abschied gibt. "Jeder Mensch hat gelebt, jeder Mensch hatte sein Schicksal, jeder hatte seine Last zu tragen, jeder hat geliebt. Wir wissen nicht, was mit denen passiert ist, aber ich finde es wichtig, dass man denen dann doch etwas zurückgeben kann im Leben, dass man sie noch mal ehren kann und sie auf dem letzten Weg begleitet, dass sie nicht allein gehen," erklärt Joy.

Kurz vor 11 Uhr haben sich viele Trauergäste am Eingang zur großen Trauerhalle versammelt. Bildrechte: MDR/Alex Gruner

Ordnungsbehördliche Bestattungen sind keine Sozialbestattungen

Seit Oktober 2022 gibt es einmal pro Monat, immer montags die Trauerfeier für Verstorbene ohne Angehörige auf dem Gertraudenfriedhof. Initiiert hat sie City-Pfarrerin Ulrike Scheller vom Evangelischen Kirchenkreis Halle-Saalekreis. Es ist ein gemeinsames Projekt mit der Stadt Halle.

Denn es gibt viele Menschen, die einsam ohne Angehörige versterben und dann von der Stadt bestattet werden müssen. Allein im vergangenen Jahr gab es 135 dieser sogenannten "ordnungsbehördlichen Bestattungen". Die Kosten hierfür übernimmt die Stadt und holt sie sich gegebenfalls über den Nachlass oder bestattungspflichtige Angehörige zurück, die manchmal Monate nach der Beisetzung gefunden werden oder sich melden.

Vor dem gemeinsamen Projekt fanden diese Bestattungen im kleinen Abschiedsraum auf dem Gertraudenfriedhof statt, erzählt Pfarrerin Ulrike Scheller. "Sehr schön mit Blumen, mit ein bisschen Musik und wenn es Menschen gab, die daran teilnehmen wollten, konnten sie dahin kommen, haben ein paar Minuten Abschied genommen und dann wurden die Urnen beigesetzt." Nachbarn, Freundinnen und Freunde, die irgendwie vom Tod der Person erfahren hatten.

Gottesdienstbesucher und Zeitung unterstützen Trauerprojekt

Oft kam jedoch niemand. "Meine Idee war: Irgendwen wird es geben, der kommt zu diesen Feiern, wenn wir das öffentlich machen, und es können auch Leute sein, die die Menschen überhaupt nicht gekannt haben." Die Stadt konnte sie von dieser Idee schnell begeistern. Das Mehr an Ausgaben für die große Trauerhalle oder den Musiker finanziert sie über Spenden, die vor allem bei ihren Gottesdiensten gesammelt werden.

Auch die Mitteldeutsche Zeitung unterstüzt das Projekt mit einer Traueranzeige, die immer am Wochenende vor der Besetzung die Namen der Verstorbenen veröffentlicht und zur Trauerfeier einlädt. Viele der Menschen, die zu der Trauerfeier kommen, erfahren oft überhaupt erst durch die Anzeige, dass eine alte Bekanntschaft, eine Nachbarin oder ein Nachbar verstorben ist.

Elf Urnen für elf Fremde

Auch an diesem Montag ist eine große Gruppe dabei, die einen Arbeitskollegen verabschieden möchte. Er ist mit Anfang 50 völlig überraschend verstorben. Von der Nachricht wurden sie überrascht und finden es traurig, dass er offenbar keine Familie, keine engen Angehörigen hatte, die sich um die Beerdigung kümmern, und er jetzt von der Stadt bestattet wird.

Kurz vor 11 Uhr bildet sich eine Schlange vor dem Eingang zur großen Trauerfeier. Der Einlass hat begonnen. Wer möchte, kann sich in ein Kondolenzbuch eintragen. Etwa 40 Menschen sind gekommen. Es waren auch schon mal mehr, sagt Ulrike Scheller. In der großen Trauerhalle hüllen Kerzen alles in ein warmes Licht. Die Urnen sind mit kleinen Blumengestecken auf großen Holzstehlen aufgereiht. Es ist ein ebenso berührender wie erschreckender Anblick. Elf Urnen, elf verstorbene Menschen, die sich im Leben nicht gekannt haben, werden gleichzeitig beigesetzt.

Pfarrerin Ulrike Scheller hält die Trauerrede und liest dabei einmal die Namen der Verstorbenen laut vor. Bildrechte: MDR/Alex Gruner

Die Trauergäste nehmen nach und nach ruhig Platz auf den Holzbänken, die Tür nach draußen wird verschlossen und leise setzen die Klänge von Eric Claptons "Tears in Heaven" ein. Ein Musiker spielt den Song live auf einer akustischen Gitarre. Dann tritt Ulrike Scheller ans Pult und beginnt ihre Trauerrede. Laut liest sie dabei auch einmal die Namen der Verstorbenen vor. "Wir nehmen heute Abschied von Klaus-Dieter Krain, gestorben im Alter von 69 Jahren. Marlene Waltraud Eichfeld, gestorben im Alter von 79 Jahren..."

Halloren übernehmen das Grabgeleit

Im Anschluss werden die Urnen nacheinander von der Holzstehle gehoben, mit einer kleinen Verbeugung von Grabträgern in Empfang genommen und nacheinander hinaus auf einen Wagen getragen. Unter den Trägern sind auch Halloren, also die Mitglieder der Salzwirker-Brüderschaft in Halle. Sie übernehmen das ehrenamtliche Grabgeleit entsprechend ihrer Tradition.

Joy und Samira kennen die Verstorbenen nicht, trotzdem sind sie bei der Beisetzung dabei. Sie finden das Projekt wichtig. Bildrechte: MDR/Alex Gruner

Während dieser Prozedur ist es so still, dass ihre Bewegungen und Schritte zu hören sind. Nachdem die Urnen sicher auf dem Wagen vor der Trauerhalle verwahrt sind, erheben sich auch die Trauergäste. Als langer Trauerzug gehen sie gemeinsam ans hintere Ende des Gertraudenfriedshofs. Ein leichtes Murmeln ist zu hören, der Sand knirscht unter ihren Füßen. An einer grünen Wiese bleibt der Trauerzug stehen. Hier werden die Verstorbenen beerdigt. Anonym, wie es für ordnungsbehördliche Bestattungen üblich ist.

Keiner soll allein bleiben

Pfarrerin Ulrike Scheller hat sich entlang der Reihe mit den bereits vorbereiteten Urnenlöchern positioniert. Noch einmal nennt sie die Namen der Verstorbenen, deren Urnen nacheinander in die Erde gelassen werden.

Danach kann Abschied genommen werden. An manchen Grabstellen versammeln sich viele Menschen, an anderen nur einige wenige. Nacheinander treten sie vor, viele legen eine Blume ab. Manche bleiben etwas länger stehen, beobachten die anderen Trauergäste und kommen ins Gespräch.

Elf Verstorbene finden ihre letzte Ruhe auf der Grünen Wiese auf dem Getrauedenfriedhof. Bildrechte: MDR/Alex Gruner

Unter ihnen ist auch eine Frau, die mittlerweile zu fast jeder Trauerfeier kommt. Sie hat immer Blumen dabei. Beim ersten Mal kam sie, um Abschied von einer Bekannten zu nehmen, die hier ebenfalls bestattet wurde. Heute kommt sie, damit auch die Menschen, die sie gar nicht kannte, nicht allein bei ihrer Beisetzung sein müssen. Mit der Zeit werden es immer weniger Trauergäste. Es gibt kein Zeichen, dass die Trauerfeier jetzt vorbei ist. Sie löst sich auf bis am Ende nur noch die elf Grabstellen mit den abgelegten Blumen übrig sind.

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MDR (Marie-Kristin Landes)

Dieses Thema im Programm:MDR S-ANHALT | exactly | 22. Mai 2023 | 17:00 Uhr

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