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Zur energieintensiven Branchen in Sachsen-Anhalt zählen neben der Chemie auch Glaswerke, Zuckerfabriken und Metallverarbeiter. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Waltraud Grubitzsch

StrukturwandelUmbruch oder Abbruch – Zeitenwende für Sachsen-Anhalts Industrie?

23. März 2024, 16:16 Uhr

Bundeswirtschaftsminister Habeck verkündete unlängst, dass Deutschland seine Klimaziele erreichen könnte. Was für Umwelt- und Klimaschützer eine positive Meldung ist, wird von Teilen der Wirtschaft eher kritisch gesehen. Denn die positive Klimameldung fällt in die Zeit einer schwierigen wirtschaftlichen Situation in Deutschland. Sachsen-Anhalt ist von dieser Entwicklung stark betroffen, denn hier ist die energieintensive Produktion besonders wichtig. Uli Wittstock zu einer schwierigen Debatte.

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Die Chemieindustrie kam nicht per Zufall nach Sachsen-Anhalt, sondern als Folge politischer Umstände, genauer gesagt wegen des Ersten Weltkriegs. Als im Jahr 1916 die BASF aus Ludwigshafen, also tief im Westen, den Grundstein für Leuna legte, hatte das zwei Gründe. Zum einen war das Werk seinerzeit weit von französischen Bomben entfernt, zum anderen bot die Region das, was man zu Herstellung für Sprengstoff vor allem brauchte – nämlich Energie, in Form von Braunkohle. Nach dem Krieg wurde die Industrie im mitteldeutschen Raum weiter ausgebaut, immer auch mit Blick auf die Vorräte an Braunkohle.

Die Folgen sind bis heute spürbar. Sachsen-Anhalt ist das Bundesland mit dem höchsten Anteil an energieintensiven Branchen in Deutschland. Von 130.000 Industriearbeitsplätzen fallen mehr als die Hälfte, nämlich 70.000, auf energieintensive Bereiche. Neben der Chemie zählen dazu auch Glaswerke, Zuckerfabriken und einige Unternehmen aus dem Metallbereich. Marco Langhof, Präsident der Arbeitgeberverbände in Sachsen-Anhalt, sieht das Land in einer schwierigen Lage: "Die Energiepreiserhöhungen schlagen hier auf das Wirtschaftswachstum besonders durch. Das führt zu Stagnation oder sogar zum Schrumpfen."

Gescheiterte Kohlepläne

2034 ist für den Tagebau in Profen Schluss. Bildrechte: Uli Wittstock/MDR

Nun kommt das Ende der Braunkohle nicht überraschend, wenn 2034 in Profen die letzten Bagger still stehen. Als Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) frisch ins Amt kam, also vor über 13 Jahren, da hoffte er noch, dass sich ein Investor finden ließe für ein neues Kraftwerk, denn rund um Lützen gibt es noch Kohle. Doch schon damals winkten die Energiekonzerne ab, zumal sich andeutete, dass es vor Ort massiven Gegenwind geben würde. Solange aber Deutschland auf billiges Gas aus Russland setzte, schien das Thema Energie für Sachsen-Anhalts Großindustrie kein größeres Risiko zu sein. Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine änderte sich das dramatisch, denn seitdem hat sich der Standortvorteil, nämlich billige Energie, in einen Standortnachteil gewandelt.

"Wirtschaftsweise" fordern Umdenken

Das sah wohl auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) so, weswegen er vorschlug, mit Steuergeld den Industriestrompreis zu senken. Mit dieser Idee stieß er allerdings auf Kritik, sowohl vom liberalen Bundeswirtschaftsminister Christian Lindner (FDP) wie auch von den Wirtschaftsweisen, die als Experten die Bundesregierung beraten. Die Vorsitzende der Sachverständigen, Monika Schnitzer, sagte es sei sinnvoller, bestimmte Grundstoffe in Zukunft aus Ländern mit günstigeren Energiepreisen zu beziehen. Stattdessen solle sich Deutschland auf Technologieprodukte konzentrieren, bei denen es einen Wettbewerbsvorteil gebe.

Das allerdings würde Sachsen-Anhalts Wirtschaft im Kern treffen. Denn vor allem in der Grundstoffindustrie ist das Land stark aufgestellt. Eine solche industriepolitische Neuausrichtung hätte also gravierende Folgen, so Marco Langhof: "Natürlich müssen wir den Klimawandel bekämpfen und die trivialste Lösung wäre es, die ganze Industrie einfach abzuschalten. Nur dann müssen wir uns die Frage stellen, wovon wollen wir morgen leben?"

Kein Steigerlied auf den Lippen

Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer der IHK Halle-Dessau, bestreitet nicht, dass CO2 eingespart werden muss. Auch aus diesem Grund müsse die Zukunft der energieintensiven Produktion in Deutschland stattfinden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Diese Frage stellt sich auch Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer der IHK Halle-Dessau. Dass es notwendig ist, CO2 einzusparen, bestreitet Brockmeier nicht. Der Volkswirt mit Doktortitel gehört nicht zu den Leugnern des menschengemachten Klimawandels. "Ich komme nicht jeden Tag mit dem Steigerlied auf den Lippen ins Büro, bestimmt nicht. Wir müssen umbauen." Allerdings falle Deutschland hinter seine eigenen Ziele zurück, sowohl beim Ausbau der erneuerbaren Energien wie auch bei der Entwicklung einer Wasserstoff-Infrastruktur. Als Hauptgeschäftsführer der IHK Halle-Dessau spricht er natürlich für die Großchemie, wenn er feststellt: "Die Steinzeit war klimafreundlich. Dorthin zurück will ich aber trotzdem nicht."

Es wundert nicht, dass Brockmeier wenig von der Idee hält, sich industriepolitisch von der Grundstoffindustrie zu verabschieden. Die Frage stellt sich ja auch deshalb, weil es in Sachsen-Anhalt weder Öl noch Gas gibt und inzwischen auch keine günstigen Energiequellen mehr, was natürlich die Abhängigkeit der Industrie besonders deutlich macht. Allerdings warnt Thomas Brockmeier vor einer zu einseitigen Betrachtung: "Dann findet die Produktion eben nicht mehr hier statt, sondern woanders, weil ja die internationale Nachfrage da ist."

Klima-Eigentor?

Doch nicht nur industriepolitisch, auch aus Klimagründen hält Brockmeier die Debatte um die Zukunft der energieintensiven Produktion in Deutschland für verfehlt: "Das Problem ist ja, dass diese Produktion woanders nicht energieeffizienter stattfinden wird." Tatsächlich gilt Deutschland bei den Themen Umwelt- und Verbraucherschutz im internationalen Vergleich als fortschrittlich. Deshalb gebe es keinen Grund, diese Standards nun aufs Spiel zu setzen, so Brockmeier: "Wir würden dann nicht nur Wertschöpfung und Arbeitsplätze exportieren, sondern vor allen Dingen auch CO2-Emissionen. Das Weltklima weint."

Strukturwandel als Chance

Nun wird der Kohleausstieg allein in Sachsen-Anhalt mit rund 4,8 Milliarden Euro flankiert, die jedoch nicht für direkte Wirtschaftsförderung ausgegeben werden können. Marco Langhof, Präsident der Arbeitgeberverbände in Sachsen-Anhalt sieht da allerdings bislang noch zu wenig Zukunftsweisendes in den Projekten: "Es wäre in dem Zusammenhang sehr wünschenswert, wenn man die Milliarden, die man für den Strukturwandel ausgegeben hat oder noch ausgibt, auch dafür einsetzt um der energieintensiven Industrie hier neue Perspektiven zu geben." Allerdings gelang es Anfang des Jahres, trotz des Sparhaushalts der Bundesregierung, Gelder für eine Forschungsanlage zu grünem Flugbenzin in Leuna zu sichern.

Es wäre in dem Zusammenhang sehr wünschenswert, wenn man die Milliarden, die man für den Strukturwandel ausgegeben hat oder noch ausgibt, auch dafür einsetzt um der energieintensiven Industrie hier neue Perspektiven zu geben.

Marco Langhof, Präsident der Arbeitgeberverbände in Sachsen-Anhalt

E-Autos statt Benzin und Diesel

Auch Sachsen-Anhalts größter Steuerzahler, die Total-Raffinerie in Leuna, muss umplanen, denn in Zukunft wird weniger Benzin und Diesel nachgefragt. Der Grund sind sparsamere Motoren und Elektro-Autos. Stattdessen soll nun "grünes" Methanol hergestellt werden, aus regenerativem Wasserstoff und Abgas-CO2. Doch zu den technologischen Herausforderungen gesellen sich auch noch soziale Fragen, denn die Produktionskosten für klimaneutrale Energie werden wohl auf absehbare Zeit hoch bleiben und das wiederum spüren vor allem jene, die selbst vergleichsweise wenig CO2 verursachen, nämlich Menschen mit schmalem Geldbeutel. Das dürfte die Zustimmung zur Klimapolitik nicht unbedingt beflügeln.

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MDR (Uli Wittstock, Sebastian Gall)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. März 2024 | 12:00 Uhr

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