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Im Stadtrat Magdeburg liegt der Frauenanteil bei rund 28 Prozent und damit deutlich über dem landesweiten Durchschnitt von 19,3 Prozent. (Archivbild) Bildrechte: MDR/Sören Thümler

InterviewFrauen in der Kommunalpolitik: "Da muss man sich erst mal durchkämpfen"

21. März 2022, 19:55 Uhr

Nur knapp jedes fünfte Mitglied in Sachsen-Anhalts Kommunalparlamenten ist eine Frau. Im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT spricht Politikwissenschaftler Dr. Hendrik Träger von der Universität Leipzig über mögliche Gründe für die geringe Beteiligung von Frauen an der Kommunalpolitik. Außerdem geht es um Lösungsansätze und die Frage, ob eine paritätische Besetzung der Parlamente überhaupt nötig ist.

MDR SACHSEN-ANHALT: Wir haben in einer Datenanalyse herausgefunden, dass die Kommunalparlamente in Sachsen-Anhalt einen Frauenanteil von lediglich 19,36 Prozent haben. Wo sollte man denn dafür erst mal ganz allgemein die Ursache suchen?

Dr. Hendrik Träger, Politikwissenschaftler der Universität Leipzig: Wir wissen aus der Parteienforschung, dass der Frauenanteil in den Parteien relativ gering ist. Unter den Mitgliedern sind deutschlandweit je nach Partei zwischen knapp 20 und 40 Prozent Frauen. Das variiert von Bundesland zu Bundesland. Dass Frauen relativ selten in Parteien sind, führt dazu, dass in den Parteien auch wenige Frauen vorhanden sind, die bei Kommunalwahlen kandidieren können. Das wird noch dadurch verstärkt, dass sich von den Frauen, die in einer Partei sind, einige auch gar nicht aktiv engagieren. Das Problem ist letztlich, dass der Personenpool mit potenziellen Kandidaten relativ klein ist.

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Das deckt sich auch damit, dass bei der letzten Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt nur 25 Prozent der Bewerberinnen überhaupt weiblich waren. Woran könnte es denn liegen, dass Frauen sich eher weniger in Parteien engagieren?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen engagieren sich Frauen anderweitig – häufig für soziale und karitative Zwecke. Und auch für Frauen hat der Tag nur 24 Stunden. Da kann man nicht im Elternbeirat sitzen, sich in der Musikschule und im Förderverein engagieren und dann noch ein Kommunalparlamentsmandat innehaben. Zumal das ja auch, obwohl es ehrenamtlich ist, mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Es ist ja nicht so, dass man nur drei Stunden im Monat im Stadtrat sitzt. Man muss sich vorbereiten, es gibt Ausschusssitzungen und so weiter.

Und im Gegensatz zur Landes- und Bundespolitik ist die Kommunalpolitik ehrenamtlich. Sie bekommen maximal eine kleine Aufwandsentschädigung. Zeit ist also auf jeden Fall ein Faktor. Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass aus diesem Grund eine gewisse Altersgruppe von Frauen für die Kommunalpolitik gewissermaßen verloren ist.

Der promovierte Politikwissenschaftler Dr. Hendrik Träger arbeitet als Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit den Parteien und Wahlen auf kommunaler, Landes-, Bundes- und europäischer Ebene sowie mit den Entscheidungsprozessen im deutschen Föderalismus. Bildrechte: Hendrik Träger

Wie meinen Sie das?

Es lässt sich vermuten, dass sich sehr junge Frauen, die sich noch im Studium oder in der Ausbildung befinden, eher politisch engagieren, weil sie in der Regel noch nicht der Doppelbelastung durch Beruf und Familie ausgesetzt sind. Dann kommt das Alter ab Mitte zwanzig vielleicht, in dem sich Frauen bereits um ihre Karriere und Familie kümmern müssen und mit einem kommunalen Ehrenamt dann einer Dreifachbelastung ausgesetzt wären. Deshalb werden Frauen in dieser Altersgruppe wahrscheinlich nicht auch noch zusätzlich in der Kommunalpolitik aktiv.

Weil Sie zu einem Großteil die "Care"-Arbeit wie Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen übernehmen und Ihnen daher die Zeit fehlt?

Genau. Und sobald diese Arbeit nicht mehr so aufwendig ist, weil die Kinder zum Beispiel aus dem Haus sind, dann ist auch wieder mehr Zeit für ehrenamtliches Engagement da – zum Beispiel in der Kommunalpolitik. Selbstverständlich gibt es auch positive Vorbilder für Frauen – Ministerpräsidentinnen und Ministerinnen – die zeigen, dass Familie, Beruf und Politik miteinander vereinbar sind. Das ist aber auf kommunaler Ebene wegen der Ehrenamtlichkeit oft nicht so einfach.

Gibt es denn noch andere Gründe dafür, dass sich Frauen weniger oft in der Kommunalpolitik engagieren?

Die Parteistrukturen. Parteistrukturen sind auf der kommunalen Ebene häufig nicht nur sehr männerlastig, sondern haben auch einen sehr hohen Altersdurchschnitt. Jetzt stellen Sie sich vor, eine oder mehrere junge Frauen wollen in diesen kommunalen Parteistrukturen neue Projekte umsetzen. Die stoßen dann eventuell auf Vorbehalte – gerade von den älteren Männern – die das die letzten 30 Jahre eben "so und nicht anders" gemacht haben. Da muss man sich erst mal durchkämpfen. Und wenn man dann trotz hohem Zeitaufwand nicht das beabsichtigte Ziel erreicht, kann das auch davon abschrecken, sich weiterhin zu engagieren.

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Was müsste denn passieren, damit mehr Frauen in die Kommunalpolitik gehen? Welche Maßnahmen wären sinnvoll?

Da gibt es keinen Masterplan für. Und es wäre auch vermessen zu denken, ich als Wissenschaftler im akademischen Elfenbeinturm wüsste, was gemacht werden müsste. Es braucht grundsätzlich wesentlich mehr Frauen in den Parteien. Und diese Frauen müssten sich dann auch aktiv einbringen. Dafür muss innerhalb der Partei ein Umfeld geschaffen werden, in dem sich Frauen auch engagieren wollen. Stellen Sie sich vor, Sie sind als 30-jährige Frau allein in einem Ortsverband voller Männer, vielleicht noch mit ein, zwei Frauen, die aber 30 oder 40 Jahre älter sind als Sie. Und aus Ihrer eigenen Gruppe ist da niemand - das wirkt unter Umständen nicht beteiligungsfördernd.

Aber das klingt ja wie ein Teufelskreis: Junge Frauen gehen nicht in die Kommunalpolitik, weil es dort nur alte Männer gibt. Und es gibt dort nur alte Männer, weil junge Frauen nicht hingehen.

Ja, der Frauenanteil in den Parteien steigt nur sehr geringfügig, wenn überhaupt. Die CDU hatte 1991 bundesweit einen Frauenanteil von knapp 26 Prozent, 2020 waren es knapp 27. Da ändert sich nichts. In der SPD waren 1991 bundesweit 27 Prozent der Mitglieder Frauen, 2020 waren es 33 Prozent. Das ist nach oben gegangen, aber auch nicht exorbitant. Bei der Linken ist der Frauenanteil sogar zurückgegangen: von 44 Prozent 1991 auf 37 Prozent 2020.

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Ein Parité-Wahlrecht wird häufig als mögliche Lösung für die ungleiche Besetzung unserer Parlamente angeführt. Was halten Sie davon?

Das Problem bei einem Parité-Gesetz wäre, dass es letztlich nur kosmetische Arbeit ist und über das eigentliche Problem hinwegtäuscht.

Inwiefern?

Das Parité-Gesetz tut ja nichts dafür, dass mehr Frauen in Parteien eintreten. Es öffnet höchstens den Frauen in den Parteien die Tür zu einem politischen Amt. Und in Parteien mit Frauenmangel werden dann unter Umständen Frauen, die eigentlich gar nicht kandidieren wollen, als Zählkandidatinnen auf die Liste gesetzt. Außerdem würde ein Parité-Gesetz nur auf Landes- oder Bundesebene funktionieren, weil nur dort mit der Zweitstimme eine ganze Liste gewählt wird. Auf der kommunalen Ebene werden hingegen einzelne Personen gewählt.

Der Anteil an weiblichen Kreistags- und Stadtratsmitgliedern in Sachsen-Anhalt liegt ja bei vielen Parteien noch unter dem der Bewerberinnen. Die AfD hatte beispielsweise bei den letzten Kreistagswahlen in Sachsen-Anhalt 18 Prozent weibliche Bewerberinnen. Unter den tatsächlich gewählten AfD-Kreistagsmitgliedern waren aber nur 7 Prozent Frauen. Heißt das, dass deren Wähler grundsätzlich eher Männer wählen?

Ich weiß nicht, ob das eine bewusste Entscheidung für Männer ist oder ob es eher darum geht, wen die Wähler kennen. Und sehr oft ist der Kandidat, den sie kennen, ein Mann. Der wird dann gewählt, weil er eben schon seit 20 Jahren im Stadt- oder Gemeinderat sitzt. Da beißt sich dann, umgangssprachlich formuliert, der Hund in den Schwanz. Die bekannten Personen sind häufig Männer, die dann mit guten Ergebnissen gewählt werden.

Besonders deutlich ist der Frauenmangel ja auch in Führungspositionen. In Sachsen-Anhalt ist nur einer der elf Landräte eine Frau. Auch beim Amt des Bürgermeisters sind von 218 nur 27 weiblich.

Ja, da sieht man einen kaskadenförmigen Effekt. Wenige Frauen in den Parteien heißt noch weniger in den Kreistagen und Stadträten und das führt zu wenig potenziellen Kandidatinnen für Bürgermeister- oder Landratsämter. Ein weiterer Punkt könnte sein, dass männliche Bürgermeister bzw. Landräte oftmals einen Mann als Nachfolger aufstellen. Frauen schrecken eventuell davor zurück, eine Frau aufzubauen. Und zwar aus Angst vor der Unterstellung, dass diese Frau nur wegen ihres Geschlechts aufgestellt wurde und nicht, weil sie die Beste für den Job ist.

Das "Geschlechter-Ticket" kann politische Karrieren zerstören, bevor sie überhaupt angefangen haben. Um ernst genommen zu werden, müssen Frauen ohnehin tendenziell besser sein als Männer. Und so müssen sie dann auch noch mit diesem Vorwurf aufräumen und beweisen, dass sie es aus eigener Kraft und nicht wegen einer Quote geschafft haben.

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Wir haben jetzt so viel über Frauenquoten gesprochen: Ist es denn überhaupt wichtig, einen Frauenanteil in der Kommunalpolitik zu haben, der den Frauenanteil in der Bevölkerung widerspiegelt?

Das kommt drauf an. Laut Hannah Pitkin, einer Politikwissenschaftlerin, gibt es unterschiedliche Formen der Repräsentation. Eine nimmt an, dass ich mich nur durch diejenigen, die meiner eigenen sozialen Gruppe angehören, gut repräsentiert fühle. Das würde heißen, junge Frauen könnten sich nur durch junge Frauen, Ostdeutsche nur durch Ostdeutsche, Leute mit Hauptschulabschluss nur durch Leute mit Hauptschulabschluss richtig vertreten sehen. Nach dieser Logik bräuchten wir eigentlich Parlamente, die ein Spiegelbild der Gesamtbevölkerung darstellen.

Es gibt aber noch ein anderes Repräsentationsverständnis. Pitkin nannte es "acting for". Dieses Modell nimmt an, dass es nicht darum geht, welcher Bevölkerungsgruppe man angehört, sondern darum, wofür man sich einsetzt. Da kann sich auch ein 50-jähriger Mann für Themen stark machen, die jungen Frauen wichtig sind. Die Konsequenz dieses zweiten Ansatzes wäre, dass das Geschlecht nicht so wichtig und eine Frauenquote nicht zielführend wäre.

Da könnte man natürlich entgegnen, dass es unwahrscheinlich ist, dass sich ein 50-jähriger Mann für die Belange einer 20-jährigen Frau einsetzt. Einfach, weil es nicht seine Lebensrealität ist.

Das ist richtig. Aber man kann es nicht per se ausschließen. Man könnte ja zum Beispiel auch sagen, dass der 50-jährige Mann eine 25-jährige Tochter hat und durch sie weiß, in welcher Situation junge Frauen sind. Und deswegen hat er auch ein Interesse daran, dass sich bestimmte Sachen ändern, die für Frauen wichtig sind. Auch wenn er davon gar nicht unmittelbar betroffen ist. Ebenso bei anderen Bevölkerungsgruppen: Ich muss nicht ostdeutsch sein, um ostdeutsche Interessen vertreten zu können. Aber für das Gefühl, jemanden zu haben, der wirklich weiß, wovon ich rede – dafür ist es schon gut, einen Vertreter oder eine Vertreterin zu haben, mit dem oder der ich mich identifizieren kann.

Das Interview führte Elisabeth Winkler.

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | 22. März 2022 | 05:30 Uhr

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