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Stefanie Mackies sitzt für die Linkspartei im Stadtrat von Halle und gehört zum Landesvorstand ihrer Partei in Sachsen-Anhalt. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Frauen in der Kommunalpolitik"Wenn jede Menge ältere Herren diskutieren, fühlt man sich als junge Frau schnell unwohl"

21. März 2022, 19:55 Uhr

Stefanie Mackies sitzt für die Linken im Stadtrat von Halle und ist eine der jüngsten weiblichen Abgeordneten des Landes. Hier erzählt sie von ihren Erfahrungen in der männlich geprägten Kommunalpolitik und sagt, was passieren muss, damit sich mehr Frauen politisch engagieren.

Es hat etwas beinahe Sakrales, wenn der Stadtrat von Halle in der Ulrichskirche tagt, einer zur Konzerthalle umfunktionierten Kirche in der Nähe des Marktplatzes. Umrahmt von mächtigen Orgelpfeifen und angestrahlt vom Licht der Kronleuchter sitzen die Abgeordneten an ihren Corona-konformen Einzeltischen. Von der Empore kann man beobachten, wie viele von ihnen auf ihren Smartphones oder Tablets herumtippen, während Bürger fragen stellen und der Bürgermeister antwortet. Und noch etwas fällt beim Blick von oben auf den Plenarsaal auf: Die meisten Abgeordneten sind Männer mittleren Alters.

Tatsächlich täuscht dieser Eindruck nicht: Nur 31,6 Prozent der Abgeordneten des Stadtrates in Halle sind Frauen. Das zeigt eine Analyse von MDR Data. Was wenig klingt, ist im landesweiten Vergleich ein Spitzenwert. In allen anderen Kreistagen und Stadträten in Sachsen-Anhalt ist die Frauenquote noch niedriger als in Halle. Bei den Altersgruppen sind es die 50- bis 59-Jährigen und die 60- bis 69-jährigen, die in Sachsen-Anhalts Kommunalparlamenten am stärksten vertreten sind.

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Jüngere Frauen wie Stefanie Mackies, die ebenfalls an einem der Einzeltische in der Ulrichskirche sitzt, sind dagegen eine Rarität in den Kreistagen und Stadträten des Landes. Mit 33 Jahren ist die Juristin, die zur Fraktion der Linken im Stadtrat von Halle gehört, eine der jüngsten weiblichen Kommunalabgeordneten des Landes. Was es bedeutet, Kommunalpolitik in einem männlich und von älteren Generationen geprägten Umfeld zu machen, hat Stefanie Mackies MDR SACHSEN-ANHALT erzählt. Hier spricht sie über…

… ihre Anfänge in der Politik:

"Ich bin Ende 2018 bei den Linken eingetreten. Das war damals für mich eine Art Trotzreaktion auf das Schlechte in der Welt und das Erstarken der AfD. Politisch aktiv war ich bis dahin eher abends am Küchentisch. Uta Haupt, eine Stadträtin der Linken, hat mich dann eingeladen, mal eine Stadtratssitzung anzugucken. Das habe ich gemacht und kurz danach wurde im Kulturausschuss ein Posten als sachkundige Einwohnerin frei, den ich übernommen haben. Weil die Partei auch auf der Suche nach jungen und weiblichen Kandidaten für die Kommunalwahlen 2019 war, habe ich in Halle-Neustadt kandidiert und bin direkt gewählt worden. Vor meiner ersten Stadtratssitzung als Abgeordnete war ich sehr aufgeregt und nervös, was mich erwarten würde. Immerhin war ich die Einzige, die nach der Wahl neu dazu kam."

… Politik aus junger und weiblicher Perspektive im Stadtrat:

"Es gibt nicht nur in unserer Fraktion viele wortstarke Frauen, die sich trauen, eigene Themen gegen die Mehrzahl der Männer in den Stadtrat einzubringen. Das sind aber oftmals Themen, die sich um soziale oder kulturelle Belange drehen. Es geht dann eher selten um Themen, die nicht per se klassische Frauenthemen sind, die man aber auch aus einer weiblichen Perspektive betrachten könnte.

Ich selbst bin ursprünglich ohne einen bestimmten thematischen Schwerpunkt in den Stadtrat eingezogen. Inzwischen sitze ich im Bildungsausschuss, im Vergabeausschuss und im Sozial-, Gesundheits- und Gleichstellungsausschuss. Besonders soziale Themen und Jugendarbeit liegen mir am Herzen. Ich bin zwar mit Mitte 30 nicht mehr unbedingt Teil der Jugend, aber aufgrund der Altersstruktur in der Kommunalpolitik gibt es relativ wenige, die sich die Jugend auf das Banner schreiben und sich persönlich dafür stark machen.

Ich habe mich zum Beispiel dafür eingesetzt, dass Straßen in Halle öfter nach Frauen benannt werden. Außerdem habe ich einen Antrag verfasst, in dem wir gefordert haben, dass es an Schulen kostenlose Tampons und Slipeinlagen geben soll. Der Antrag ist in abgeschwächter Form durchgegangen, es sollte ein Pilotprojekt geben an einer Schule. Aber da die Stadt kein Geld hat, wurde die Umsetzung letztlich versagt."

… die Folgen der hohen Männerquote für die Debattenkultur im Stadtrat:

"Wenn da jede Menge ältere Herren sitzen und miteinander diskutieren, dann fühlt man sich als junge Frau in solchen Situationen schnell unwohl und überlegt dreimal, ob man sich in einem Parlament engagiert, aus sich rausgeht, selber Anträge formuliert und für die kämpft. Auch bei mir kommt es immer mal wieder vor, dass ich eine gewisse Hemmung habe, mich zu Wort zu melden. Wenn schon fünf Männer gesagt haben, wie gut oder schlecht sie etwas finden, überlege ich mir dreimal, ob es der Meinungsbildung irgendetwas bringt, wenn ich mich jetzt auch noch dazu melde. Vielleicht sollte ich das häufiger machen.

Dadurch, dass ich noch nicht so lange dabei bin, habe ich auch manches fachlich noch nicht auf dem Kasten – Dinge wie Bauplanungsverfahren zum Beispiel, da stecke ich nicht tief genug in der Materie. Wenn ich das Gefühl habe, ich kenne mich in einem Thema nicht gut genug aus, dann würde ich mich dazu im Stadtrat nicht äußern. Das Problem haben viele Männer im Stadtrat nicht. Die haben zu allem eine Meinung und können sich zu allem äußern – selbst zu Menstruationsprodukten."

… die Gründe für den Mangel an Frauen in der Kommunalpolitik:

"Es ist ganz einfach: Wenn man will, dass sich mehr Frauen in der Kommunalpolitik beteiligen, muss die Kommunalpolitik als Erstes frauenfreundlicher werden, zum Beispiel was die Zeiten und Länge der Sitzungen angeht.

Unsere Stadtratssitzungen fangen meistens 14 Uhr an und können durchaus sechs bis acht Stunden dauern, dazu kommen noch die diversen Ausschusssitzungen. Da Kinderbetreuung in vielen Familien nach wie vor oft an den Frauen hängen bleibt, lässt sich das nur schwer vereinbaren. Eine Lösung könnte sein, Stadtratssitzungen in zwei kürzere Termine zu teilen.

Am Ende des Tages haben Frauen einfach weniger Zeit, sich politisch zu engagieren. Das ist auch bei uns im Stadtverband ein Thema, wo viele junge Männer aktiv sind. Junge Frauen haben entweder weniger Zeit oder engagieren sich auf anderen Ebenen politisch, zum Beispiel an der Universität."

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… die Frauenquote in der Politik:

"Aktuell scheint mir eine Frauenquote notwendig zu sein. Wenn man will, dass mehr Frauen in die Parlamente kommen, muss man ihnen auch Platz auf den Listen geben. Bei der Linkspartei werden die Listen paritätisch aufgestellt. Die Stadtratswahl ist aber eine Personenwahl, wie viele Frauen oder Männer von der Liste letztlich ins Parlament einziehen, entscheiden also die Wählerinnen und Wähler."

… ihre politische Zukunft:

"Ich bin noch bis 2024 gewählt. Ob ich dann wieder für den Stadtrat kandidiere, weiß ich jetzt noch nicht, das hängt von vielen Faktoren ab. Aber es wäre auf jeden Fall schön, wenn sich viele junge Genossinnen und Genossen finden, die antreten wollen. Dann braucht es mich vielleicht gar nicht mehr."

Bildrechte: Magnus Wiedenmann

Über den AutorLucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über kleine und große Geschichten aus den Regionen des Landes.

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MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | 22. März 2022 | 05:30 Uhr

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