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Mit Pflanz-Aktionen sucht der Grüne Wolfgang Aldag den Kontakt mit Hallenserinnen und Hallensern, wie hier auf dem Dautzsch. Bildrechte: MDR

Neustart seit LandtagswahlGrüne suchen Gespräch mit Menschen auf dem Land und am Stadtrand

21. Oktober 2021, 18:10 Uhr

So stark wie keine andere Partei sind die Grünen vom Wahlergebnis in den Großstädten abhängig. Bei der Landtagswahl ist es den Grünen nicht gelungen, Menschen auf dem Land von sich zu überzeugen. Nun sucht die Landtagsfraktion in der Börde nach den Themen der Landbevölkerung. Und der erfolgreiche Grünen-Kandidat Wolfgang Aldag aus Halle sucht nach Bürgerkontakt jenseits der Innenstadt. Zwei Ortsbesuche.

Erst hat Wolfgang Aldag Narzissen gepflanzt. Das sahen aber die Bienenfreude kritisch: Narzissen sind angeblich nichts für Insekten. Also nahm Aldag Krokusse. "Da gehen die Bienen sofort drauf." Aber waren die auch "Fair Trade"? Konnte er bei der Ware aus Afrika nicht sagen. Seitdem pflanzt der Grünen-Politiker niederländische Krokus-Zwiebeln auf Grünflächen in Halle.

300.000 Zwiebeln sollen so schon eingesetzt worden sein. An diesem Freitagvormittag im September kommen auf dem Dautzsch, einer kleinen Anhöhe im Nord-Osten Halles, die nächsten dazu. Spaten in die Dorfwiese, Zwiebeln drunter, fertig. Das Ergebnis sieht man am Ende des Winters – oder, wenn es nach Aldag geht, bei der nächsten Wahl.

Grünes Direktmandat knapp verpasst

Der Dautzsch grenzt an Aldags Wahlkreis. Bei der Landtagswahl im Juni hat der 53-jährige Landschaftsgärtner und -architekt das stärkste Grünen-Ergebnis in Sachsen-Anhalt geholt. In Halle III kam Aldag auf satte 21,2 Prozent der Erststimmen. Fast hätte er seine CDU-Konkurrentin geschlagen.

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Anderswo können die Grünen von solchen Werten nur träumen. Mit 5,9 Prozent blieb man landesweit unter den Prognosen und wurde in der Landesregierung durch die FDP ersetzt.

Auch, weil es offenbar eine Polarisierung zwischen Land und Partei gegeben hatte. Schaut man auf die Gemeinden, dann haben die Grünen es nur in rund jeder zehnten über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Aldag sagt: "Wenn Halle nicht zieht, stürzen wir ab."

Allerdings gibt es auch in Halle einige Flecken, in denen die grüne Anhängerschaft klein geblieben ist. Orte wie den Dautzsch. Doch der kann Aufmerksamkeit gut gebrauchen. Aldags Mitstreiterin, die Stadträtin Anne-Marleen Müller-Bahlke, sagt, man habe hier das Gefühl, die Leute würden wirklich darauf warten, "dass jemand zum Zuhören kommt". Über-den-Zaun-Hängen nennt sie das.

"Sehr tolle Ideen, aber mir zu teuer"

Doch zu dieser Zeit ist kaum jemand unterwegs. Nur eine ältere Dame samt Terriermischling fragt, wer denn die Truppe sei, die hier die Wiese umgräbt. Wolfgang Aldag sagt, dass alles mit dem Grünflächenamt abgeklärt sei und stellt sich als Landtagsabgeordneter vor.

Sehr tolle Ideen hätten die Grünen, "aber mir zu teuer" – so sieht die Frau seine Partei. Panische Angst hätte sie vor steigenden Gas- und Energiepreisen. Unterstützung würden doch eh nur Familien oder Alleinerziehende mit Kindern erhalten. Aber nicht jemand wie sie. Vor fünf Jahren sei mal die AfD hier gewesen, seitdem gebe es nur Flyer und Plakate zu Wahlkampfzeiten.

Das Gespräch dreht sich dann um Pläne, auf dem Dautzsch weitere Felder in Bauland umzuwandeln und den Einsatz chemischen Düngers auf dem verbliebenen Ackerland. Die Chemie könne sie als Anwohnerin "riechen und schmecken". Aldag hört ihr auf seinen Spaten gestützt zu, teilt das Unbehagen, gibt ihr einen Wahlkampf-Flyer mit.

Als sie weg ist, spricht er von der Kommunikation seiner Partei. Die sei "vielleicht manchmal auch zu kompliziert und komplex", das bekomme man nur im direkten Gespräch gelöst.

Dann geht es um Umfragen. Die haben gezeigt, dass bis auf Reiner Haseloff die Spitzenpolitikerinnen und -politiker aller Parteien gerade mal einem Viertel aller Sachsen-Anhalter und -Anhalterinnen bekannt sind. "Entweder interessiert es die Leute nicht oder man ist zu wenig bei den Leuten draußen", so Aldag. Er gehe von Letzterem aus. Also raus an den Stadtrand.

Bundestagswahlergebnis verstärkt interne Kritik

Dass das Not tut, zeigt sich zwei Tage später. Bei der Bundestagswahl wiederholt sich gewissermaßen die Landtagswahl: Wieder verbessern sich die Grünen leicht, wieder bleiben sie aber hinter den Erwartungen zurück. Weiterhin entsenden sie nur eine einzige Abgeordnete für das ganze Bundesland nach Berlin.

Es ist dann die hallesche Bundestagskandidatin Inés Brock, die als Erste offen Kritik an der Parteiführung übt. Brock fordert von ihrer Partei, sich thematisch breiter aufzustellen. Schon ihre Kandidatur hatte die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin damit begründet, dass es "nicht 300 Klimaschutzexperten" im Bundestag brauche. Auch, so Brock sagt der "Mitteldeutschen Zeitung", müsse ein Erststimmenwahlkampf möglich sein.

Den gibt es bislang nicht. Um sich als sachorientierte Partei zu inszenieren, haben die Grünen in beiden Wahlkämpfen auf Plakate ihrer Direktkandidierenden verzichtet. Selbst durchaus aussichtsreiche Leute wie Wolfgang Aldag konnten deshalb keine Plakate mit ihrem Gesicht aufhängen. Möglich, dass das entscheidende Prozentpunkte gekostet hat.

Brock will ihre Kritik ausführlicher auf einem Parteitag Ende November vortragen. Dann wählen die Grünen einen neuen Landesvorstand. Dass man sichtbarer werden muss, darüber herrscht in der Partei aber schon jetzt Konsens. Die Landtagsfraktion nimmt deshalb ein altes Format wieder auf: eine öffentliche Fraktionssitzung, die bewusst außerhalb der Großstädte stattfinden.

Landtagsfraktion tagt in der Börde

Erster Stop dafür ist am Dienstag Oebisfelde-Weferlingen in der westlichen Börde. Hier hat sich im Frühjahr ein Umweltverein gegen weiteren Gesteinsabbau in der Gegend gegründet. Über 700 Unterschriften für eine Petition wurden gesammelt. Die Grünen würden da gerne andocken.

Man spielt mit offenen Karten. In der gut gefüllten Gaststätte sagt die Fraktionsvorsitzende Cornelia Lüddemann, es gebe "ganz offensichtlich noch Defizite im Verständnis mit Menschen, die eher in ländlich geprägten Räumen wohnen".

Die Ko-Landesvorsitzende Susan Sziborra-Seidlitz sagt vorher im MDR-Interview: "Unsere Ansprache auf dem Land gelingt noch nicht immer." Gerade hier habe man verstärkt mit Klischees über Grüne zu kämpfen, die wolle man durch Gespräche ersetzen. Als Krankenpflegerin aus dem Harz will sie dazu beitragen, dass ihre Partei in Sachsen-Anhalt nicht als reine Umweltschutzpartei wahrgenommen wird.

Gesprochen wird dann auch. Über den Steinbruch, aber auch über Landschaftsschutzgebiete, Löschteiche, Pferdemist und Krankenversorgung. Die Stimmung scheint konstruktiv, die großen Angriffe gegen die Grünen bleiben an diesem Tag aus.

Vor der Feuerwehr in Halle-Diemitz, dem zweiten Stop der Pflanz-Aktion, bekommt Wolfgang Aldag Unterstützung von Sachsen-Anhalts einziger grünen Bundestagsabgeordneten, Steffi Lemke Bildrechte: MDR

Auch Wolfgang Aldag sitzt da, hört zu, diskutiert mit. Die Veranstaltung dürfte ganz in seinem Sinne sein. Die Krokus-Pflanz-Aktion in Halle Ende September hat er mit einem Instagram-Video dokumentieren lassen. "Was sollen wir sagen, wie viele wir noch pflanzen?", hatte Aldag vor der Aufnahme gefragt. "Bis eine Million", sagte seine Mitarbeiterin. "Uff, dann muss ich noch so lange Politik machen."

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MDR/Thomas Vorreyer/Roland Jäger

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. Oktober 2021 | 19:00 Uhr

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