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"Bürger-Auftrag" an die neue LandesregierungFamilie Dürschke aus Gatersleben: "Die Grundschulen in den Dörfern halten"

29. April 2021, 18:55 Uhr

Sachsen-Anhalt wählt in wenigen Wochen einen neuen Landtag. Vorher spricht MDR SACHSEN-ANHALT mit Menschen über ihre Wünsche an die neue Regierung. Im vierten Teil der Reihe "Bürger-Auftrag" geht es um Bildung, die Vorzüge von Dorfschulen – und die Sorge vor Schulschließungen im ländlichen Raum.

Wer Matthias Dürschke zuhört, kann nur zu einem Schluss kommen: Bereut hat der 41-Jährige all das hier keine Sekunde lang. Der Umzug aus Halberstadt ins bedeutend kleinere Gatersleben im Salzlandkreis – für Familie Dürschke war dieser Schritt vor sieben Jahren genau der richtige. Dürschke bestätigt das. "Wir haben es nie bereut", sagt er. Der Familienvater schwärmt dann von der "komplett vorhandenen Infrastruktur" im Ort, dem guten Austausch zu Nachbarn, Freunden, Lehrern, dem kurzen Schulweg seiner Kinder. "Das hier ist eine große Familie, die alles viel lebenswerter macht", findet er.

Tochter Clea wird wohl woanders zur Grundschule gehen müssen

Matthias Dürschke und seine Frau Doreen haben drei Kinder, die Söhne Eric und Philip sowie Tochter Clea. Eric und Philipp gehen hier zur Grundschule. Tochter Clea wird das wohl nicht mehr tun können – fürchtet jedenfalls Familie Dürschke. Die Stadt Seeland, zu der Gatersleben gehört, will nämlich ein Grundschulzentrum bauen. So hat es der Stadtrat vergangenes Jahr in einem Grundsatzbeschluss entschieden.

Ortswechsel: die Stadt Seeland im Salzlandkreis, gelegen am Concordiasee. Heidrun Meyer ist hier die Bürgermeisterin. Die parteilose Politikerin sucht Ideen für die Schule der Zukunft. "Wir haben drei ländliche Schulen in unserer Stadt, die nicht zukunftsfähig sind", sagt sie. Auffangen will die Stadt das mit besagtem Grundschulzentrum. Das sei die beste Lösung, glaubt sie – auch für Lehrkräfte und die Schulleitungen. Die Lehrerinnen und Lehrer aus drei Schulen würden dann an einem Standort zum Einsatz kommen, könnten sich austauschen. Anders als bei einem Schulverbund – auch darüber wurde in Seeland nachgedacht – fiele kein Unterricht aus. In dem Fall würden Lehrerinnen und Lehrer mit dem Auto von Schule A zu Schule B fahren.

Nicht länger als 15 Bus-Minuten ins Schulzentrum

Heidrun Meyer sagt, eines sei doch klar: Kinder bräuchten die gleichen Bedingungen – egal, ob sie im ländlichen Raum zur Grundschule gehen oder in der Stadt. Aktuell sieht sie das als nicht gegeben an. Die Grundschule in Gatersleben zum Beispiel ist baulich gewiss in keinem guten Zustand. Das sieht schon, wer nur vor der Tür steht. Ein modernes Grundschulzentrum hätte auch in dieser Hinsicht Vorteile, sagt die Rathauschefin. Unterricht in modernen Räumen, eine der digitalen Zeit entsprechende Schule – so stellt sie sich das vor. Hinzu komme, dass kein Schulkind länger als 15 Minuten mit dem Bus zur Schule bräuchte, sagt Meyer.

Dazu ist wichtig zu wissen, dass der Standort für das Grundschulzentrum noch nicht geklärt ist. Das möge ein unabhängiges Büro entscheiden, hat der Stadtrat beschlossen – wohlwissend, wie emotional die Frage für viele Eltern ist.

Familie Dürschke ist zwiegespalten, was die Pläne angeht. Ein Neubau wäre gewiss gut, sagt Vater Matthias Dürschke und verweist auf den baulich nicht gerade guten Zustand der Schule in Gatersleben. Dann aber folgt ein Aber. "Die Kinder interessiert nicht, in welchem Zustand das Schulgebäude ist", sagt er. Ihnen sei viel wichtiger, nach Schulschluss Freiheiten zu haben. Mit dem Rad nach Hause zu fahren – oder eben gemeinsam mit einem Kumpel zum Supermarkt, noch ein Eis holen. Diese Freiheiten fielen für einen Großteil der Kinder weg, sagt Dürschke. "Wenn das Schulzentrum kommt, hieße das, dass Kinder aus fünf von sechs Dörfern fahren müssten."

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Dürschke, der sich auch im Elternrat engagiert, kann eines nicht verstehen: Dass Schulen geschlossen werden sollen, obwohl sich nach seiner Wahrnehmung immer mehr Menschen für ein Leben im ländlichen Raum entscheiden. "Wer einen Schulstandort aufgibt, wird kaum die Attrakvität des Standortes steigern", sagt er. Schulen sollten nicht aus Sparzwängen dicht gemacht werden, findet er.

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Anders als im landesweiten Durchschnitt ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Seeland in den vergangenen Jahren nach nicht komplett heruntergegangen.

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Kritik an dem Grundsatzbeschluss für einen Standort hat auch Mario Lange. Er ist der Ortsbürgermeister von Gatersleben und spricht von einer "verqueren Förderpolitik des Landes". Dass man Schulen in kleinen Orten schließe, obwohl die Zahl der lernenden Kinder das nicht erfordere, hält er für falsch. Die Schulen müssten eben nur besser gefördert werden, glaubt Lange.

Dass die Kommune gucken müsse, wo sie die meisten Fördermillionen bekomme, sei aber auch klar. Und das ist die Krux an der Sache: Während das Schulzentrum in Millionenhöhe von Bund und Land gefördert werden kann, gilt das für die einzelnen Schulen in der Stadt Seeland nicht. Bürgermeisterin Heidrun Meyer rechnet damit, dass das Schulzentrum eine zweistellige Millionensumme kosten wird.

Über die Reihe: Was der "Bürger-Auftrag" zeigen soll

Am 6. Juni ist Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Schon vorher will MDR SACHSEN-ANHALT wissen, was die Menschen im Land bewegt – und was sie von der neuen Regierung erwarten. Frauen und Männer aus sechs Wahlkreisen formulieren in dieser Reihe ihren Wunsch an die neue Landesregierung – den "Bürger-Auftrag". Die sechsteilige Serie erscheint noch bis Sonnabend jeden Tag.

Ohne Fördermittel wird das Schulzentrum nicht kommen. So viel ist klar. Heidrun Meyer verweist auf die "nicht besonders rosige Haushaltslage" ihrer Stadt. Aktuell tauschen Meyer und das Land Briefe aus, entschieden ist aber nichts. Im Rathaus von Seeland hoffen sie, dass das Schulzentrum 2024 stehen könnte. Käme es so, könnte Clea Dürschke wohl nicht mehr in Gatersleben zur Grundschule gehen. Clea ist gerade einmal fünf Monate alt, hat noch alles vor sich.

Unser Bürger-Auftrag

Von der neuen Landesregierung wünschen wir uns, dass bei bildungspolitischen Entscheidungen der Fokus auf das Kind gelegt wird – auf den Willen des Kindes und den Willen der Eltern. Das ist das Wichtigste und nicht die finanzpolitischen Entscheidungen, die im Vordergrund stehen. Die Grundschulen sollten in den Dörfern bleiben. Die Kinder haben kurze Beine und sollen auch kurze Wege haben.

Doreen und Matthias Dürschke | Eltern in Gatersleben

Doreen und Matthias Dürschke hoffen, dass auch ihre Tochter den familiären Umgang an der Grundschule noch genießen kann. Was Familie Dürschke dafür tut? Vater Matthias überlegt nicht lange. "Wir sind aufgefordert, die richtigen Leute zu wählen." Und wer ist das, wer sind die "richtigen Leute"? Dürschke: "Es sind die, die sich dafür interessieren, wie es den Kindern geht. Nicht, wie sie Einsparungen realisieren können."

Allgemein

Verbesserung der Betreuungsschlüssel in Kitas und eine Beitragsentlastung der Eltern? Ein Investitionsprogramm zur Schulsanierung? Welche Bildungsinitiativen die Parteien avisieren, erfahren Sie in diesem Beitrag.

CDU

Die CDU will die Neueinstellung von Lehrkräften weiter vorantreiben. Dazu sollen Schulen selbstständig befristete Vertretungskräfte einstellen können. Die Lernverluste der Schüler durch die Corona-Pandemie sollen durch zusätzliche Angebote ausgeglichen, das E-Learning ausgebaut werden. Die Partei will sich für eine Überprüfung der Lehrpläne einsetzen. Mittelfristig will sie im Land eine Pädagogische Hochschule errichten. Die verbindliche Schullaufbahn-Empfehlung nach der 4. Klasse soll nach dem Willen der CDU wieder eingeführt werden. Beratungsgespräche für Abschlussjahrgänge bei der Agentur für Arbeit sollen verpflichtend werden. Talent-Scouts sollen talentierte Kinder unabhängig vom Elternhaus suchen und unterstützen.

AfD

Die Partei setzt sich für ein leistungsdifferenziertes, mehrgliedriges Schulsystem ein und will die Wiedereinführung von Haupt- und Realschule prüfen. Das Gymnasium sollen maximal 25 Prozent eines Schuljahrgangs besuchen. Die Bildungspolitik der Inklusion soll nach dem Willen der AfD beendet werden,  Förderschulen dafür ausgebaut werden. Kinder von Geflüchteten sollen in "Sonderklassen" unterrichtet werden. In jeder Jahrgangsstufe sollen pro Woche mindestens vier Stunden Sportunterricht sowie Schwimmunterricht stattfinden. Pensionierte Lehrer sollen die Möglichkeit erhalten, in Voll- oder Teilzeit weiterhin an Schulen zu arbeiten. Eltern sollen grundsätzlich zwischen Schul- und Hausunterricht für ihre Kinder wählen können. An den Hochschulen will die AfD alle Programme zur Förderung von Frauen einstellen und alle Frauenquoten außer Kraft setzen. Die Partei strebt den Ausstieg aus dem Bologna-Prozess und die Rückkehr zu alten Studienabschlüssen wie dem Diplom an.

DIE LINKE

Für eine ganztägige Betreuung in der Kita soll es einen uneingeschränkten Rechtsanspruch geben. Der Elternbeitrag soll schrittweise abgesenkt und schließlich abgeschafft werden. Mittagessen in der Kita soll kostenlos sein. In den Schulen will die Linke 2.000 Lehrer, 400 pädagogische Mitarbeiter und 600 Schulsozialarbeiter neu einstellen. Schulen müssen der Partei zufolge für längeres gemeinsames Lernen umgestaltet und mit schnellen Glasfaseranschlüssen versehen werden. Jeder Schüler soll über ein internetfähiges Gerät und einen Internetzugang verfügen. Die Partei will eine zehnjährige Vollzeitschulpflicht für alle Schüler. Kopfnoten und Sitzenbleiben sollen abgeschafft werden, Wiederholen aber freiwillig möglich sein. Das Schulgeld für Ausbildungen soll vom Land übernommen werden. Azubis sollen pro Monat mindestens 1.050 Euro Vergütung erhalten. Das Budget der Hochschulen soll jährlich um drei Prozent erhöht werden. Die Gebühren für ein Zweitstudium will die Linke abschaffen.

SPD

Die Antwort der SPD auf das Problem der Bildungsgerechtigkeit ist nach eigener Aussage längeres gemeinsames Lernen. Sie will dafür mehr Gemeinschafts- und Ganztagsschulen schaffen, beginnend mit der Zusammenlegung von Grundschulen und Hort. Lehrkräfte sollen von Verwaltungsaufgaben entlastet und durch gleiche Vergütung gerechter bezahlt werden. Die SPD fordert ein Investitionsprogramm zur Schulsanierung, das auch Sportstätten und Schulhöfe berücksichtigt. Im Unterricht braucht es nach Ansicht der Partei gezielte Umwelterziehung und Umweltbildung. Jedes Kind soll ein mobiles Endgerät zur Verfügung haben. Die Landeszentrale für politische Bildung soll finanziell und personell besser ausgestattet werden. Im Bereich Hochschule soll das BAfÖG grundlegend reformiert und auf eine Rückzahlung verzichtet werden. Zweitstudiengebühren sollen abgeschafft werden.

GRÜNE

Die Grünen setzen sich grundsätzlich für längeres gemeinsames Lernen ein und wollen daher ein "dichtes und bedarfsgerechtes Netz von ganztägigen Gemeinschaftsschulen". Schülerinnen und Schüler mit schlechteren Voraussetzungen, sprachlichen Defiziten oder langsamerer Lerngeschwindigkeit sollen individuell gefördert werden. Konkret wollen die Grünen etwa bei allen Vierjährigen den Sprachstand testen, um dann Unterstützungsangebote zu unterbreiten. Für Kinder, die ohne Deutschkenntnisse an die Schulen kommen, will die Partei anfänglich auch den Einsatz von Dolmetscherinnen und Dolmetschern bezahlen. Lernmittel sollen ab der 1. Klasse kostenfrei sein. Schulen in sozialen Brennpunkten sollen überdurchschnittlich gut ausgestattet werden. Schulsozialarbeit wollen die Grünen dauerhaft über ein Landesprogramm etablieren. Die einzelnen Schulen sollen nach dem Willen der Grünen mehr Gestaltungsspielraum erhalten. Sie sollen unabhängig von ihrer Trägerschaft pro Schuljahr für jedes Kind einen festen Finanzbeitrag erhalten und dann selbst entscheiden, wie sie das Geld investieren. Dem Mangel an Lehrerinnen und Lehrern wollen die Grünen mit mehr Studienplätzen entgegentreten. Auch die Möglichkeiten zum Quereinstieg in den Lehrerberuf will die Partei verbessern, etwa durch mehr Weiterbildung.

FDP

Für Kitas fordert die FDP eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels und eine Beitragsentlastung der Eltern. Außerdem soll sprachliche Frühförderung wieder gesetzlich vorgeschrieben werden. Nach dem Selbstverständnis der Partei darf Bildungserfolg nicht von der sozialen Herkunft abhängen. Deswegen will die FDP an "Schulstandorten mit besonderen Herausforderungen" im Land 14 Talentschulen aufbauen. Für begabte Schüler soll die Webakademie des Landes ausgebaut werden. Dem Lehrermangel soll mit diversen finanziellen Anreizen und Ausbildungsmöglichkeiten begegnet werden. Die Partei ist für eine Abschaffung des Schulgelds sowie die Einführung einer Ausbildungsvergütung für angehende Erzieher. Alle Ausbildungen sollten auf die Frage überprüft werden, ob Schulgeld gezahlt werden muss. Die Partei will mehr Berufsschullehrer einstellen. Die Gehälter von Grundschullehrkräften sollen an die von Lehrern der Sekundarstufen angepasst werden. Die FDP will ein grundsätzlich elternunabhängiges BAföG sowie ein Gründer-BAföG einführen. Gegen Unterrichtsausfall und Lehrermangel setzt die FDP auf digitale Lehrangebote. So soll ein Konzept erarbeitet werden, wie der Unterricht für mehrere Standorte in digitaler Form angeboten oder ein Wechsel von Präsenzphasen und Onlineunterricht organisiert werden kann.

Hintergründe und Aktuelles zur Landtagswahl – unser multimediales Update

In unserem Update zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt geben unsere Redakteure einen Überblick über die wichtigsten politischen Entwicklungen – und ordnen sie ein.

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MDR/Heike Bade, Manuel Mohr, David Muschenich, Luca Deutschländer

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 29. April 2021 | 19:00 Uhr

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