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Früher Ausgehviertel, heute To-Go-OaseDer Hasselbachplatz in Magdeburg in der Identitätskrise

19. Dezember 2021, 19:21 Uhr

Der Hasselbachplatz in Magdeburg hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Wo früher Bars waren, ist heute Leerstand. Imbisse und To-Go-Essen gibt es an jeder Ecke. Nachts machen Lärm und Pöbeleien immer wieder Probleme. Es gab schon bessere Zeiten am Hasselbachplatz. Engagierte Anwohner und Geschäftsleute haben allerdings Ideen, wie das Image wieder aufgebessert werden könnte.

"Ein Ausgehviertel kann man den Hasselbachplatz nicht mehr nennen. Er ist eher ein 'Ausgehviertelchen'", sagt Daniel Riecke. Der 31-jährige Magdeburger lebt seit rund zehn Jahren direkt am Hasselbachplatz. Seitdem erlebt er die Veränderungen direkt vor seiner Haustür. "Als ich hergezogen bin, hieß es in der Verwandtschaft: Oh, du ziehst an den 'Hassel'. Das ist ja was. Fast wie die Hegelstraße." Damals gab es Schulterklopfer, heute wird er immer mal gefragt, ob er nicht manchmal Angst hätte, dort zu wohnen.

Angst hat Riecke nicht. Er ist zwei Meter groß und geht laut eigener Aussage selbstbewusst über den Platz. Er weiß aber, dass das nicht allen so geht. Nachts werde es schon mal laut, Alkohol fließe und der eine oder die andere würde sich dann nicht mehr über den Platz trauen. Der Hasselbachplatz hatte schon mal ein besseres Image – und die Geschäfte und vor allem Bars und Kneipen schon mal bessere Zeiten. Eine Datenanalyse von MDR SACHSEN-ANHALT bestätigt den Eindruck. Mittlerweile gibt es mehr Imbisse am "Hassel" als Bars, Kneipen und Clubs.

Der Gast ist selber schuld am Kneipensterben

Eine, die das Image des "Hassel", wie er von den Magdeburgern genannt wird, aufpolieren soll, ist Marianne Tritz. Sie ist seit einem Jahr die Hasselmanagerin. Angestellt bei der Stadtmarketingfirma Pro M, will und soll sie die Akteure rund um den "Hassel" vernetzen und Ideen für die Zukunft des Platzes entwickeln.

Dass es weniger Kneipen und Bars am Hasselbachplatz gibt, ist Tritz längst bewusst. Grundsätzlich sei das aber eine Entwicklung, die kein Alleinstellungsmerkmal sei. Das sei auch international zu beobachten – auch schon vor der Corona-Pandemie.

Und auch Riecke sieht das nicht als ein "Hassel"-spezifisches Problem: "Der Gast ist eigentlich selber schuld." Es liege an der veränderten Ausgeh-Mentalität der Menschen. In einer lauen Sommernacht säßen viele lieber mit einem Bier auf den Elbterrassen, statt in einer Kneipe. Und um sich über den Urlaub auszutauschen, müsse man in keine Bar mehr gehen. "Wir schreiben uns per WhatsApp und laden bei Facebook Urlaubsfotos hoch. Man weiß ja schon alles voneinander. Da haben wir keinen Grund mehr, uns in der Kneipe zu treffen", erklärt Riecke. Die Folge: Bars und Kneipen schließen.

Allerdings gibt es auch andere Beispiele. Es gibt durchaus Ausgehviertel mit Bars, Restaurants und Kneipen in Städten, die florieren – veränderte Ausgeh-Mentalität hin oder her.

Imbisse und To-Go-Essen kein Problem für Restaurants und Bars

Erdem Argüt betreibt seit gut zwei Jahren ein Waffel-Restaurant am Hasselbachplatz. Bei ihm kann man sich Waffeln individuell mit allerlei Süßem belegen lassen. "Es soll ein Erlebnis für die ganze Familie sein", sagt er über seinen Laden. Nach Feierabend würde er manchmal gerne selbst noch etwas erleben: "Aber ich habe auch schon festgestellt, dass ich gar nicht eine so große Auswahl habe, um dort mal irgendwo richtig essen zu gehen." Am Wochenende bekomme er manchmal nicht mal einen Sitzplatz, weil die wenigen verbliebenen Restaurants voll seien.

Das wachsende To-Go-Geschäft sehen Tritz, Riecke und Argüt dabei eigentlich nicht als das Hauptproblem. Das gehöre zu einem solchen Platz einfach dazu und die Corona-Pandemie habe das To-Go-Geschäft eben beflügelt. "Die Kneipen sind nicht wegen der Imbisse zu, die dafür vorhandenen Locations stehen trotzdem leer", sagt Anwohner Riecke. Die Stadt müsse es vielmehr den Gastwirten und denen, die es am "Hassel" werden wollen, einfacher machen, sich zu entfalten.

Parklücken als Terrassen und Straßen als Fußgängerzonen

Ein erster Schritt in diese Richtung war die Möglichkeit, dass die Restaurants und Bars im Sommer in der Sternstraße die Parktaschen vor ihren Läden als Außenterrassen nutzen konnten, um auch während der Pandemie Gäste empfangen zu können.

Gastronomen rund um den Platz hatten genau das seit Jahren verlangt. Auch Riecke hatte sich mit Briefen an das Dezernat für Stadtentwicklung dafür stark gemacht und fordert, dass das keine Zwischenlösung gewesen sein darf. Auch in den kommenden Jahren müsse den Gastronomen diese Möglichkeit gegeben werden, sagt er. Auch das hat er dem Dezernat vor einigen Wochen geschrieben – bisher aber noch keine Antwort erhalten.

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Auch Hasselmanagerin Tritz hatte die Entscheidung des Stadtrates für die Terrassen in den Parktaschen in der Sternstraße begrüßt. Auch für sie kann das nur ein Anfang sein. Es müssten vernünftige Regelungen für die Gestaltung der Außengastronomie gefunden werden, verlangt Tritz.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gar nicht mehr so viele Bars in der Sternstraße existieren, die davon profitieren würden. Das "Café Central" oder das "RIFF" sind die jüngsten Beispiele für das Kneipensterben, das vor allem in der Sternstraße sichtbar wird. Was es noch gibt, ist das "Hyde". Dort waren im Sommer die improvisierten Außenterrassen in den Parklücken ein voller Erfolg. Kevin Nitsche ist langjähriger Mitarbeiter im "Hyde" und sieht darin nicht nur einen wirtschaftlichen Faktor: "Die Terrassen entschleunigen den 'Hassel'", findet er. Autos und Fahrradfahrer hätten deutlich vorsichtiger durch die Straße fahren müssen.

"Verkehrsberuhigung ist in Magdeburg schwierig"

Das möchte die Hasselmanagerin in Zukunft gerne rund um den gesamten Hasselbachplatz erreichen. Neben guter, abwechslungsreicher Gastronomie, könnten laut Marianne Tritz auch größere verkehrsberuhigte Bereiche die Stimmung um den Platz verbessern. "Eigentlich wird in allen europäischen Metropolen Verkehrsberuhigung gut umgesetzt. In Magdeburg ist das noch schwierig", so Tritz. Die Gründe dafür kennt jeder Magdeburger und jede Magdeburgerin: Baustellen, Baustellen und Baustellen. "Der Hasselbachplatz ist außerdem im Moment ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in der Stadt."

Ihre Ideen: mehr Dreißiger-Zonen und den Fußgängerbereich in der Einsteinstraße vergrößern. "Städte leben nicht nur davon, dass man einkauft und umsteigt, sondern auch davon, dass man sich aufhält", erklärt Tritz. Der urbane Raum müsse von den Menschen ein Stück weit zurückerobert werden. Das aber sei kein kurzfristiges Projekt, Tritz sieht das eher als eine Aufgabe für die kommenden zehn Jahre. Es sei die Frage, ob die Stadt für solche Ideen Geld in die Hand nehmen wolle und ob es Unterstützung von den Händlern gebe.

Kein Mut im Stadtrat

Diese Frage beschäftigt auch Anwohner Riecke. Er ist eher skeptisch, was innovative Wege in der Verkehrsführung am "Hassel" angeht: "Ich beobachte immer mal den Stadtrat. Da scheinen einige, wenn die Worte Fahrrad, Fußgängerzone oder Verkehrsberuhigung fallen, Ausschlag zu bekommen."

Ihn störe, dass im Stadtrat eher nach Partei-Ideologie gehandelt werde. "Auch konservative Menschen fahren mit dem Fahrrad. Auch Menschen, die grün wählen, haben ein Auto. Wir machen alle dasselbe." Er plädiert dafür, in der Einsteinstraße mal eine größere Fußgängerzone zu testen. Funktioniere das und würden gar noch Gastronomen angelockt, solle man das dauerhaft machen. "Und wenn nicht, wird es halt wieder aufgehoben und eine normale Straße", so Riecke.  

In der Vergangenheit waren aber nicht nur fehlende Gastro oder zu viel Straßenverkehr ein Stimmungskiller am Hasselbachplatz, sondern auch Kriminalität. Es gab Überfälle auf Bars, Pöbeleien und Handgreiflichkeiten.

Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) brachte ein Alkoholverbot ins Spiel und über das Abschaffen der Bänke und kürzere Öffnungszeiten von Spätis wurde diskutiert. Alkohol sieht auch Kevin Nitsche vom "Hyde" als das Hauptproblem: "Wenn viele Menschen in Bars und Restaurants trinken und dann auf dem Kreisverkehr aufeinandertreffen, dann kann es zu Übergriffen kommen." In seiner Bar könne er das regeln und die Kundschaft im Auge behalten und schauen, dass sich niemand zu sehr "abschieße". Aber was die Menschen dann außerhalb der Bars und Restaurants treiben, dafür zeige sich niemand so richtig verantwortlich.

Auch Waffel-Verkäufer Erdem Argüt hatte schon Probleme mit lauten und unhöflichen Kunden: "Mein Personal wurde prollig angemacht. Es gibt viele Personen, die sich zu wohl am Hasselbachplatz fühlen und das ausnutzen."

Kritik an Polizeipräsenz

Daniel Riecke beobachtet ebenfalls immer wieder Pöbeleien und Lärmbelästigungen in der Nacht: "Wir als Anwohner haben uns noch nie über die Gaststätten beschwert. Wenn die bis ein Uhr die Terrassen bespielen, super. Das gehört dazu. Aber ich sehe nicht ein, dass ich als Anwohner ertragen muss, dass jemand um vier Uhr nachts mit seiner Box laut Musik abspielt und vor meiner Tür an den Baum pinkelt."

Die Polizeipräsenz sei zwar gestiegen in den vergangenen Jahren, er wundere sich aber manchmal, zu welchen Zeiten die Polizei am "Hassel" sichtbar sei. "Warum steht am Donnerstag um 16 Uhr ein Polizeiauto am 'Hassel', aber am Samstag um drei Uhr nicht?" Wenn nur einer grölt, müsse aus einer Mücke auch kein Elefant gemacht werden, aber wenn größere Gruppen sich danebenbenehmen würden, sei er für Platzverweise. Auch Erdem Argüt wünscht sich ein härteres Durchgreifen von Polizei und Ordnungsamt.

Der generelle Eindruck der Akteure rund um den "Hassel" ist aber dennoch, dass es ruhiger geworden ist in den letzten Jahren. Auch die Kriminalität sei ein Stück weit weniger geworden. Ob das aber eher an der Pandemie, besserer Polizei-Arbeit oder andere Grüne hat, vermag noch niemand zu beurteilen.

Die Polizei Magdeburg hat diesen Trend jedoch Anfang Dezember in der Volksstimme bestätigt. Seit 2015 ist die gesamte Stadt laut Polizeisprecher Sebastian Alisch sogar sicherer geworden – bezogen auf die Fallzahl pro Einwohner. Diese Entwicklung schreibe das Revier der ausgeweiteten Kooperation von Polizei und Ordnungsamt zu, schrieb die Zeitung vor wenigen Tagen.

"Es gibt noch Leute mit Ideen für den Hassel"

Was die Hasselmanagerin Marianne Tritz aber zu sagen vermag, ist, dass die Menschen, die am "Hassel" etwas einbringen wollen, wieder enger zusammenrücken. Durch die Pandemie konnte sie bisher nur wenige ihrer Ideen umsetzen, dafür umso mehr Gespräche führen: "Und es gibt durchaus noch junge Leute, die mit Ideen und Konzepten auf mich zukommen."

Einer davon könnte vielleicht auch irgendwann Kevin Nitsche vom "Hyde" sein. "Ich kann mir vorstellen, nach der Pandemie eventuell am 'Hassel' eine eigene Bar aufzumachen. Ich mag den Platz sehr, denn ich bin seit Jahren mit ihm verbunden", sagt Nitsche. Als er mal drei Jahre nicht dort gearbeitet hat, habe er ihn sogar vermisst. Und mit einer neuen Bar am "Hassel" wäre man einem Ziel schon ein Stück näher: wieder vom "Ausgehviertelchen" zum Ausgehviertel werden.

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MDR (Fabian Frenzel)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | 20. Dezember 2021 | 06:30 Uhr

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