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"Unser Rathaus ist auch ein Zeichen der Demokratie", sagt Jörn Weinert. "Es steht noch, aber es bröckelt." Bildrechte: MDR/Daniel George

Bürgermeister Jörn Weinert aus BarbyKommunalpolitik in Krisenzeiten: "Viele Menschen fühlen sich fremdbestimmt"

20. Februar 2024, 00:04 Uhr

Seit 23 Jahren engagiert sich Jörn Weinert für die CDU in der Kommunalpolitik. Nun auch hauptberuflich als Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Barby. Wie hat sich die Stimmung verändert? Und warum übernimmt er in Krisenzeiten noch mehr Verantwortung? Ein Besuch im Rathaus von Barby.

Jörn Weinert steht auf dem Balkon des Rathauses von Barby. Kleine Risse sind an den Wänden zu sehen. Und der Bürgermeister erkennt ein Sinnbild: "Unser Rathaus ist auch ein Zeichen der Demokratie – es steht noch, aber es bröckelt." Dass beides erhalten bleibt, dafür will sich der 47-Jährige einsetzen.

Seit 23 Jahren engagiert sich der CDU-Mann bereits in der Kommunalpolitik. Unter anderem im Gemeinde- und Ortschaftsrat, später neun Jahre lang als Ortsbürgermeister des Dörfchens Zuchau. Dort wurde Weinert einst geboren. Anfang Februar begann ein neues Kapitel für ihn: Weinert arbeitet nun als Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Barby.

Er weiß also, wie Kommunalpolitik funktioniert, hat sogar ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben – und will in diesen so schwierigen Zeiten noch mehr Verantwortung übernehmen. Warum? "Weil ich mich als Patriot sehe, zuallererst als Lokalpatriot", sagt Weinert. Und: "Dieses Wort Patriot muss nicht negativ besetzt sein, denn ich bin auch ein Verfassungspatriot."

Fehlende Partizipation: Menschen auf dem Land fühlen sich vernachlässigt

Die erste Woche als Bürgermeister von Barby liegt hinter dem 47-Jährigen, als MDR SACHSEN-ANHALT ihn zum Interview trifft. Weinert sitzt am großen Holztisch seines Büros im Rathaus und vergleicht die Vergangenheit mit der Gegenwart: "Die Stimmung hat sich verändert", sagt er. "Wir haben in den vergangenen drei Jahren einen Umschwung erlebt. Paradoxerweise in einer Phase, in der viele Menschen auch Arbeit haben und es ihnen in vielerlei Hinsicht nicht so schlecht geht. Vor allem, wenn man das mit der Phase vor 20 Jahren vergleicht, als ich angefangen habe mit der Kommunalpolitik."

Trotzdem habe sich die Stimmung stark verändert, nicht unbedingt zum Positiven, sagt Weinert. "Dabei geht es nicht zuallererst darum, was die Wahrheit ist, was richtig und was falsch ist. Sondern es geht vor allem darum, wie die Menschen etwas empfinden", sagt der Bürgermeister. "Viele Menschen in unserer Gemeinde sind mit der großen Politik nicht zufrieden und fühlen sich hier in diesem Mikrokosmos fremdbestimmt."

Weinert sagt: "Dass wir uns in dieser Gesellschaft natürlich damit beschäftigen, wie es den Minderheiten, wie es den Individuen geht, ist ganz, ganz toll. Das findet die große Mehrheit der Menschen hier auch toll. Allerdings hat eine Mehrheit der Menschen hier auch den Eindruck, dass eine Minderheit, nämlich die Menschen, die im ländlichen Raum leben, nicht berücksichtigt wird, während alles andere thematisiert wird. Das führt tagtäglich zu einem Spagat."

Elberadweg und Saaleradweg, die Saalemündung: "Unsere Region hat unheimlich viel Potenzial", sagt Bürgermeister Jörn Weinert über die Einheitsgemeinde Stadt Barby. Bildrechte: MDR/Daniel George

Das Problem mit der Sprache

Ein Beispiel? "Das fängt mit der Sprache an", erklärt der 47-Jährige. In der Vergangenheit arbeitete Weinert unter anderem als Vertretungsprofessor an der Universität Magdeburg und der Universität Halle-Wittenberg. "Ich habe an den Universitäten ganz anders mit den Menschen gesprochen als hier auf der Straße", sagt er. "Dabei geht es nicht nur um das Gendern. Es ist diese ganz besondere Vorsicht, die dazu führt, dass man mittlerweile Angst hat, etwas zu sagen", beschreibt Weinert seinen Eindruck.

Das gehe vielen in seiner Gemeinde ähnlich: "Ich habe den Eindruck, dass der Gedankenaustausch weniger sachlich geworden ist und die Menschen in der Kommunikation, auch in der lokal- und kommunalpolitischen Diskussion, vorsichtiger geworden sind. Sie überlegen sich ganz genau, was sie sagen, weil sie Angst haben, dass sie aufgrund einer großen ideologisierten Debatte in Deutschland etwas falsch machen. Das empfinde ich als sehr unangenehm." Der 47-Jährige sagt: "Ohne die Systeme im Ansatz vergleichen zu dürfen, habe ich dieses Gefühl als ganz junger Mensch schon einmal gehabt. Da gibt es eine gewisse Ähnlichkeit." Weinert spielt offensichtlich auf die fehlende Meinungsfreiheit zu DDR-Zeiten an. "Das darf in einer Demokratie nicht so sein, dass ich die ganze Zeit überlege: 'Oh, habe ich gerade etwas Falsches gesagt.'"

Bei uns ist es noch so, dass man nach der Stadtratssitzung gelegentlich ein Bier zusammen trinkt – egal, ob man Mitglied der Linken, der CDU, der Freien Wähler, der FDP oder der Grünen ist.

Jörn Weinert, Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Barby

Auch die Politik auf Bundes- und Landesebene nimmt der Kommunalpolitiker dabei aber in die Pflicht: "Wir Kommunalpolitiker sind ein Scharnier zwischen der großen Politik und dem, was die Menschen hier in ihrem Alltag bewegt", sagt Weinert. Dabei sei die Kommunikation mitunter schwierig: "Das liegt schon manchmal an der Sprache der großen Politik, die nicht die Sprache der Mehrheit der Bevölkerung ist. Und das ist schon schwer, jemanden mit wichtigen Themen erreichen zu wollen, wenn man ihn nicht in seiner Sprache anspricht." Weinert sagt: "Es wird eine Attitüde der moralischen Erhebung wahrgenommen."

Der Bürgermeister nennt ein Beispiel: "Um ein ganz heißes Eisen aufzugreifen: die Faschingsveranstaltungen, eine Tradition bei uns. Wenn dort beispielsweise das Lied 'Lustig ist das Zigeunerleben' gesunden wird, ist mir manchmal nicht ganz klar, wie ich zu reagieren habe, wie ich es richtig mache. Kann man das so weiterhin singen oder nicht? So etwas muss in Ruhe und mit Gelassenheit besprochen werden. Aber die fehlt mir in der Diskussion. Das heißt nicht, dass man sich zurücklehnt, sich alles anhört und dann weitergeht und schläft. Sondern das heißt, dass man den anderen auch dann anhört, wenn er etwas sagt, was einem nicht passt."    

Tourismus soll gefördert werden – doch Geld fehlt

Vom Rathaus geht es mit dem Bürgermeister zur Elbfähre Barby. Das Schiff legt gerade an der anderen Uferseite an. Hier werden Pendler transportiert, im Sommer auch Touristen. Doch es gibt Personalprobleme. Der Fährmann hat Überstunden, viele Überstunden. Denn das Geld für ausreichend Personal fehlt. Es zwickt im Haushalt der Einheitsgemeinde Stadt Barby – wie fast überall in diesen Krisenzeiten.

Auch das muss Jörn Weinert managen und mit seinen Zielen in Einklang bringen. Eigentlich will er seine Heimat touristisch weiterentwickeln. Elberadweg, Saaleradweg – Weinert sieht großes Potenzial. "Ich möchte, dass die Menschen, die zukünftig den Elberadweg oder den Saaleradweg nutzen, an der Saale-Mündung ein wichtiges, ein schönes Erlebnis in ihrem Leben wahrnehmen und die Zeit bei uns genießen", sagt er. Aber: "Für das, was wirklich wichtig wäre in unserem wunderschönen Barby, nämlich auf den Tourismus zu setzen, dafür haben wir kein Geld. Da sind uns völlig die Hände gebunden."

Bürgermeister Jörn Weinert (r.) im Gespräch mit dem Fährmann der Elbfähre Barby Bildrechte: MDR/Daniel George

Gemeinsames Bier als Zeichen des Miteinanders

Doch trotz der komplizierten Situation: Es gibt noch Menschen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren wollen. "Es gibt bereits in fast allen Ortschaften genug Bewerberinnen und Bewerber, obwohl die Meldefrist erst am 2. April ist", sagt Jörn Weinert mit Blick auf die diesjährige Kommunalwahl. "Die Tendenz ist eine gute. Die Leute wollen sich einbringen."

Obwohl die Stimmung teils aufgeheizt ist. Ob er in den vergangenen Jahren schon einmal Bedrohungen oder Anfeindungen erlebt hat? "Nein, in meinem Umfeld nicht", sagt der Bürgermeister. "Natürlich ist der Austausch manchmal einspurig und sehr direkt und manchmal auch ein bisschen laut. Es gibt auch Choleriker auf der Welt – die muss man dann nehmen, wie sie sind. Aber oft haben sie das Herz am rechten Fleck. Natürlich gibt es auch Gespräche, in denen es unsachlich wird. Aber ich bin nie bedroht worden. Das, was man so liest, in anderen Sphären, in denen die Menschen anonymer sind. Das ist glaube ich ein Schlüssel. Ich will nicht sagen, dass ich alle kenne, aber ich kenne doch viele hier. In diesem familiären Umfeld ist es schwieriger, richtig Feind zu sein."

Überhaupt: Das Miteinander sei die große Stärke der Kommunalpolitik, sagt Jörn Weinert. "Bei uns ist es noch so, dass man nach der Stadtratssitzung gelegentlich ein Bier zusammen trinkt – egal, ob man Mitglied der Linken, der CDU, der Freien Wähler, der FDP oder der Grünen ist. Da sitzen wir doch öfter zusammen. Unabhängig von unserer unterschiedlichen Wahrnehmung der Welt und unabhängig davon, was gerade der Bundeskanzler oder der Oppositions-Führer im Bundestag gesagt hat. Ich will das nicht romantisieren, aber dieses familiäre An-einem-Strang-ziehen zeigt uns doch, dass das Glas halbvoll ist. Das ist ein großer Schatz. Mögen wir uns das bewahren."

Weinert sagt: "Natürlich ist die Gefahr da, dass wir durch die Kommunalwahl auch in diesem Stadtparlament mit radikaleren Gruppe konfrontiert sein werden." Aber: "Aktuell ist in der Einheitsgemeinde Stadt Barby kein einziges Mitglied der AfD im Stadtrat vertreten. Das muss an irgendetwas liegen. Also haben wir in der Hinsicht nicht so viel falsch gemacht." Die Demokratie solle gewahrt werden. Und auch die Blumenkästen auf dem Balkon des Rathauses werden bald wieder bepflanzt.

Mehr zum Thema: Kommunalpolitik und Teilhabe

MDR (Daniel George) | Erstmals veröffentlicht am 18.02.2024

Dieses Thema im Programm:FAKT IST! aus Magdeburg | 19. Februar 2024 | 22:10 Uhr

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